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Kolumne „Ein bisschen besser“

Apokalypse now

Judith und ich reden über die Apokalypse. Zum Beispiel diese Dürre, über die gerade viele gestöhnt haben, und Bilder von rissig-ausgedörrter Erde zogen durch die Köpfe. Heute regnet es. Aber der Regen wurde uns als „Temperatursturz“ angekündigt, so dass wir schon Sorge hatten, bei diesen stürzenden Temperaturen ohne Helm rauszugehen. Tatsächlich genügt ein Pulli, und der Weltuntergang ist wieder verschoben.

Es ist ja so, dass nach der Seuche Corona die übrig gebliebene Menschheit durch die Naturkatastrophe Klimawandel dahingerafft werden sollte. Bislang ist das nicht eingetreten, weswegen anschließend die Teuerung das war, was uns den Garaus machen sollte, bevor es nun der ewige Krieg ist, der garantiert den Untergang herbeiführen wird.

Biblisch-bildhaftes aus der Bibliothek

„Ach Judith“, seufze ich, „ich fühle eine gewisse Apokalypsenmüdigkeit.“ „Mein Lieber“, sagt meine Frau, „heute ist nicht Apokalypse, heute ist Wochenende.“ Wenn auch ein regnerisches.

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Dürer: Die vier apokalyptischen Reiter

Und an regnerischen Wochenenden können wir natürlich tief in unsere Bibliothek klettern. Ich suche den Bildband über Albrecht Dürer heraus, puste so, dass Judith es nicht sieht, den Staub vom Buch auf den Teppich und schlage nach: 1497 hat der Meister des Pinsels auf seiner Leinwand die vier apokalyptischen Reiter ins Rennen geschickt: einen mit Pfeil für die Pest, einen mit Schwert für den Krieg, einen mit Waage für die Teuerung und einen auf einem dürren Klepper für den Tod. Mit flatternden Gewändern galoppieren sie in geschlossener Phalanx heran. Auweia.

Gottvertrauen und Gelassenheit sind ein bisschen besser

Gediehen ist die Menschheit seit dem halben Jahrtausend, das zwischen dieser Vision und der Gegenwart liegt, dennoch ganz prächtig. Ihre Zahl hat sich verachtfacht, aber immer mehr werden satt und immer weniger krank. „Apokalypse ist Quatsch“, sage ich zu Judith. Gottvertrauen und Gelassenheit seien auf jeden Fall ein bisschen besser. „Aha“, sagt Judith, was sie nur sagt, wenn sie Zweifel hat.

Der Tag neigt sich dem Abend zu. Ich öffne den Kühlschrank, um das Mahl für die Familie zuzubereiten. Welker Salat, Essensreste in Plastikdosen oder auch daneben gähnen mich an. Aus einer entkorkten Flasche entströmt das letzte Weißwein-Aroma und mischt sich mit der strengen Würze des endreifen Camemberts. „Apokalypse now“, entfährt es mir laut, und während sich Judith ganz entspannt die Nägel macht, rase ich zum Kaufmannsladen.

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