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Bekenntnisse im Wandel der Zeiten

Was glauben unsere Abgeordneten?

Üblicherweise werden zu Beginn einer Wahlperiode die Mitglieder des Bundestages mittels eines Fragebogens um persönliche biografische Auskünfte gebeten für die Präsentation auf der Internetseite des Deutschen Bundestages. Liegen die Daten aller Abgeordneten vor, können diese auch statistisch ausgewertet werden.

In diesen Tagen hat der Bundestag die Angaben der Abgeordneten zu ihrem religiösen Bekenntnis beziehungsweise zu einer kirchlichen Mitgliedschaft auf seiner Internetseite veröffentlicht. Auch bei diesen Angaben steht die Frage nach der Repräsentativität der Abgeordneten im Fokus. Denn nur weil jemand Christ oder religionslos ist, macht er ja noch keine bessere oder schlechtere Politik.

Immer wieder vernimmt man die Forderung, dass Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen oder das Geschlecht entsprechend dem Bevölkerungsanteil auch im Bundestag vertreten sein sollten. Derlei Wünsche widersprechen jedoch zugleich dem Wunsch nach einem „Parlament der Besten“ (wie es die ehemalige Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth für den Bundestag beanspruchte) und der zunehmenden Professionalisierung des Politikbetriebes, demzufolge erkennbar Juristen bevorzugt Zugang zur Politik und in politische Spitzenämter haben.

Grundmuster aus dem Kaiserreich, die weiterwirken

Die Angaben zur Konfessions- beziehungsweise Religionszugehörigkeit der Mitglieder des Deutschen Bundestages sind wie fast alle biografischen Angaben der MdB freiwillige Selbstauskünfte. Dieser Hinweis ist deswegen bedeutsam, weil seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahre 1953 eine hohe Anzahl der Abgeordneten keine Angaben zu ihrem Glauben macht. Die Zahl schwankte seit der deutschen Wiedervereinigung (1990, 12. Wahlperiode) zwischen 28 und 38 Prozent und lag im Mittel bei 33 Prozent.

Selbstverständlich fragt sich, ob es sich angesichts einer solchen Datengrundlage überhaupt lohnt, zuverlässige statistische Angaben zu machen, wenn ein Drittel aller Abgeordneten keine Angaben macht. Die Gründe, warum Abgeordnete keine Angaben über ihren Glauben machen, können sehr unterschiedlich sein. Es ist deswegen schwierig, Verallgemeinerungen zu formulieren.

Immerhin bestehen bei einigen Parteien Grundmuster für das Fehlen von Religionsangaben. Bei den Sozialisten und Sozialdemokraten war es schon im Kaiserreich verpönt, sich zu einem Glauben zu bekennen. Die Solidarisierung mit der Arbeiterklasse war Anlass des parteipolitischen Zusammenschlusses. Individuelle Unterschiede wurden zugunsten der Parteidisziplin negiert.

Unionsparteien und FPD: Beide nicht bekenntnisfreudig – aus unterschiedlichen Gründen

Das änderte sich erst, als 1957 die CDU/CSU im Deutschen Bundestag die absolute Mehrheit erlangt hatte und die SPD im Jahre 1959 mit dem „Godesberger Programm“ sich von ihren marxistischen Grundlagen trennte und durch ein Bekenntnis zu christlicher Ethik, Humanismus und der klassischen Philosophie ersetzte; sie wandelte sich nun zu einer bürgerlichen sozialdemokratischen Partei.

Eine besondere Entwicklung nahmen die 1945 als überkonfessionelle Zusammenschlüsse gegründeten „Schwesterparteien“ CDU und CSU. Deren Abgeordnete verzichteten bis in die 1960er-Jahre häufig auf die Angabe ihrer Konfession, um den innerparteilich angestrebten „Konfessionsfrieden“ nicht unnötig zu gefährden. Bis Ende der sechziger Jahre waren noch weit über 70 Prozent der CDU-Mitglieder katholisch. Führungsämter, und dazu zählen auch die Landtags- und Bundestagskandidaten, wurden konfessionell paritätisch vergeben, auch wenn es Konfessionsquoren und -quoten in den Satzungen der Landesparteien nie gab.

Die FDP gab sich in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens vor der Wiedervereinigung nicht nur areligiös, sondern in Teilen auch kirchenfeindlich. Entsprechend wurden Bekenntnisse zu einer Religionszugehörigkeit mit großer Zurückhaltung gehandhabt.

Die deutsche Einheit brachte einschneidende Veränderungen

Bemerkenswerterweise weisen die offiziellen Statistiken des Deutschen Bundestags einen jüdischen Abgeordneten auf, obwohl es in den ersten zwei Wahlperioden immerhin drei jüdische Abgeordnete gegeben hat.

Muslimische Abgeordnete waren im Bundestag erstmals in der 14. Wahlperiode (1998-2002) vertreten, was auch in der zeitgenössischen Presse große Aufmerksamkeit erhielt.

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Zu einer einschneidenden Veränderung in der Religionsstatistik kam es infolge der deutschen Einheit im Jahre 1990. Die vielfach zum Ausdruck gebrachte Beobachtung, dass mit der Wiedervereinigung Gesamtdeutschland weniger christlich wurde als die frühere Bundesrepublik, war das eine, doch zum ersten Mal seit 1949 war die Anzahl der Protestanten im (jetzt gesamtdeutschen) Wahlvolk höher als die der Katholiken.

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Das spiegelte sich auch prompt in der Religionsstatistik der Bundestagsabgeordneten wider. In der 12. Wahlperiode (1990-1994) waren 37,6 Prozent der Abgeordneten protestantisch und 31,5 Prozent katholisch. Bis zur 20. Wahlperiode (2023-2025) blieb das so. Erst mit der gegenwärtigen 21. Wahlperiode (2025) gab es wieder mehr katholische (26,1 Prozent) als protestantische (22,7 Prozent) Abgeordnete im Deutschen Bundestag.

Starke Zunahme der Religionslosen

Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der konfessionslosen Abgeordneten kontinuierlich gestiegen. 1990 bekannten 0,5 Prozent aller Abgeordneten, religions- bzw. konfessionslos zu sein. Im Jahr 2023 (20. Wahlperiode) waren schon zehn Prozent religionslos, und heute sind es 17 Prozent. Das bedeutet, dass von aktuell 630 Mitgliedern des Bundestags insgesamt 107 Abgeordnete bekennend religionslos sind. Hinzu kommen noch die 205 Abgeordnete (32,5 Prozent), die keine Angaben machen.

Ab der 15. Wahlperiode (2002-2005) bekannten sich erstmals Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion als religionslos. In der gegenwärtigen, 21. Wahlperiode (2025) sind es vier CDU/CSU-Abgeordnete, die sich als religionslos bekennen; die vier bleiben innerhalb der eigenen Fraktion indes unter zwei Prozent.

Statistisch fallen die wenigen freikirchlichen oder orthodoxen Abgeordneten nicht ins Gewicht.

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Die eingangs thematisierte Frage nach der Repräsentativität bekommt bei der Religionszugehörigkeit in der laufenden 21. Wahlperiode eine besondere Bedeutung. Demzufolge sind die Muslime in Deutschland mit etwa sieben Prozent vertreten, jedoch nur mit 0,9 Prozent im Bundestag. Die christlichen Abgeordneten waren in den letzten vier Wahlperioden stets etwas höher als der prozentuale Gesamtanteil an der Bevölkerung in Deutschland. Demzufolge sind die christlichen Abgeordneten überrepräsentiert gewesen.

Zum Vergleich die vier jüngsten Wahlperioden:

  • 2017: 54,7 Prozent Kirchenmitglieder in der Bevölkerung und 65,1 Prozent christliche MdB;
  • 2021: 49,7 Prozent Kirchenmitglieder in der Bevölkerung und 53,2 Prozent christliche MdB;
  • 2023: 45,9 Prozent Kirchenmitglieder in der Bevölkerung und 53,9 Prozent christliche MdB;
  • 2024/25: 45,2 Prozent Kirchenmitglieder in der Bevölkerung und 48,8 Prozent christliche MdB.

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