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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Streik gegen die Eigenverantwortung

Der 14. Juni 1981 war ein denkwürdiger Tag in der Schweizer Geschichte. Seit damals ist die Gleichstellung von Frau und Mann in der Verfassung verankert. Kurz hatte die Politik damals darüber nachgedacht, diesen Weg konsequent zu gehen und die Militärpflicht auf die Frauen auszudehnen. Das fanden diese allerdings nicht besonders prickelnd und gingen dagegen auf die Straße. Man muss das mit der Gleichstellung ja nicht gleich übertreiben – oder sogar wörtlich nehmen.

Seither wird am 14. Juni in der Schweiz immer mal wieder gestreikt. Am größten und lautesten 1991 zum zehnten Jahrestag der erwähnten Abstimmung, mit deren Umsetzung viele Frauen nicht zufrieden waren. Das Motto hieß: Die Verfassung spricht Klartext, passiert ist nichts. Seither ist der Termin periodisch Schauplatz von weiblichen Aufmärschen. 

So auch dieses Jahr: Am Samstag fanden in diversen Schweizer Städten „feministische Streiks“ statt. Die Themen waren dieselben wie immer. Ganz vorn: Die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau, die angeblich strukturelle Gründe haben soll. Mehr Betreuungsangebote für Kinder stehen auch weit oben auf der Liste. Der Inhalt der Streiks sind also Begehrlichkeiten, und ihre Basis bildet ein ganz bestimmtes Staatsverständnis.

Der Staat soll es richten

Das wird klar, wenn man einer gewissen Olivia Borer zuhört, einer der Organisatorinnen. Sie beschwert sich in einem Interview, die Schweiz lasse „junge Eltern im Stich“ und behandle „die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Privatangelegenheit“. Leider wird nicht nachgefragt, was sie denn sonst sein soll. Ob und wie sich die verschiedenen Rollen im Leben miteinander vereinbaren lassen, ist eine Frage des Wegs, den man eingeschlagen hat. Sich frei entscheiden zu können, dann aber den Staat als Retter rufen, wenn sich daraus Schwierigkeiten ergeben: Da schwingt ein Hauch Sozialismus mit.

Ob die bezahlte Zeit der Mutterschaft ausreicht, ob die Lohnschere zwischen Mann und Frau wirklich zur Hauptsache aus strukturellen und nicht doch individuellen Gründen entsteht: Man darf es gern diskutieren. Anlässe wie der „feministische Streik“ sind aber ganz prinzipiell ein Unding aus der Sicht der Gruppen, die sie zu schützen vorgeben. Sie machen aus Beteiligten Betroffene, sie reduzieren Frauen zu Bittstellerinnen, statt sie als aktive Mitgestalterinnen von Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen und ernst zu nehmen.

Vor allem aber: Die Streikenden gehen davon aus, dass ihnen aktiv etwas vorenthalten wird. Weist man sie darauf hin, dass es nichts gibt, was Männern vorbehalten ist, verweisen sie auf gewachsene Strukturen, die theoretische Rechte in der Praxis verunmöglichen. Aber wo sind diese?

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„Ufe mit em Feminismus, abe mit em Patriarchat!“ heißt auf Schweizerdeutsch so viel wie „Hoch mit dem Feminismus, runter mit dem Patriarchat!“

Konsequenz der eigenen Entscheidung

Frauen werden in der Schweiz nicht daran gehindert, beruflich Karriere zu machen. Seit Jahren ist der Anteil an Frauen und Männern an den Universitäten ausgewogen, inzwischen sind es sogar mehr Frauen, welche die akademische Laufbahn einschlagen. 

Große Unterschiede gibt es aber bei der Frage, was studiert wird. Die Lust am Ingenieurswesen oder der Informatik beispielsweise ist bei den Frauen nicht besonders ausgeprägt. Dafür stürzen sie sich überdurchschnittlich oft auf Soziale Arbeit, Germanistik sowie Studien in Bereichen wie Erziehung und Gesundheit. 

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Eine solche Wahl hat Auswirkungen auf die weitere Laufbahn. Aber nicht als Folge von Ungleichheit oder Diskriminierung, sondern von freien Entscheidungen. Eine solche haben auch die besagte Olivia Borer und ihr Mann nach der Geburt des ersten Kindes gefällt. Sie verlängerte die Mutterzeit um einige unbezahlte Wochen, er reduzierte sein Arbeitspensum für mehrere Monate stark. Statt sich darüber zu freuen, aus eigener Kraft und nach einem selbst gewählten Modell Zeit für das gemeinsame Kind gehabt zu haben, überwiegt nun die Empörung darüber, dass das nicht der Staat ermöglicht hat.

Da fehlt offenbar der Blick fürs große Ganze. Schon heute investiert die Schweiz über einen Drittel ihrer Gesamtausgaben in die soziale Wohlfahrt. 2022 waren es über 200 Milliarden Franken. Wer einen weiteren Ausbau, beispielsweise mit flächendeckender Kinderbetreuung, finanzieren soll, weiß niemand. Doch selbst wenn es möglich wäre: Ist es die Aufgabe des Staats?

Echte Probleme bleiben unbenannt

Als weiteres Themenfeld hat der „feministische Streik“ die Gewalt gegen Frauen entdeckt. Die Zahl der Femizide, also der Ermordung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, habe stark zugenommen. Auch hier wird nach dem Staat gerufen, der Abhilfe schaffen müsse. 

Das könnte er in der Tat. Denn Gewalt gegen Frauen beispielsweise in einer Beziehung entsteht überdurchschnittlich oft in migrantischen Verhältnissen mit Tätern, die ein anderes kulturelles Verständnis über die Rolle der Frau in ihre neue Heimat bringen. Eine restriktivere Zuwanderung könnte ein Mittel dagegen sein. Aber das ist eine Forderung, die keiner Feministin je über die Lippen käme.

Ein Staat, der Frauen ihre individuellen Wünsche ermöglicht, indem er dafür bezahlt: Es gab in der Geschichte der Schweiz wirklich schon Streikbewegungen, die hehreren Zielen dienten. Der Landesstreik 1918, als Hunderttausende von Arbeitern auf die Straße gingen, leitete maßgebende Veränderungen ein, die bis heute Bestand haben und wahre Ungerechtigkeiten aus der Welt schafften. Der „feministische Streik“ hingegen ist ein Leierkasten, der seit Jahren dieselbe Melodie ausspuckt, ohne bisher belegt zu haben, dass das, was beklagt wird, wirklich einer Lösung harrt.

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