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Was von 1968 bleibt

Frauen sind Verlierer, Männer Gewinner

Die Sexuelle Revolution brachte Frauen Freiheit, Verhütung und Gelegenheitssex. Oder? Das neue Buch „The Case against the Sexual Revolution“ von Louise Perry gibt ein dröhnendes „Nein“ zur Antwort – und deckt auf, was ihrem Urteil nach von der Sexuellen Revolution übrigblieb: Hypersexualisierung, eine von Pornographie infizierte Gesellschaft und „Hook up“-Kultur. Damit nicht genug der Provokation. Die Hauptthese der 30-jährigen Engländerin lautet, Frauen sind die Verlierer der 1968er Jahre. Ihre Gewinner sind Männer.

Dies veranschaulicht Perry gleich zu Beginn anhand zweier „Ikonen der Sexuellen Revolution“: dem Sexsymbol Marylin Monroe und dem Gründer des Playboy, Hugh Hefner. Beide begegneten sich nie, wurden aber im selben Jahr geboren und liegen Seite an Seite in Los Angeles begraben. Für die Nacktfotos, die ohne die Einwilligung Monroes in der ersten Ausgabe des Playboy veröffentlich wurden, erhielt das It-Girl keine Gage.

Sie ließ die Aufnahmen einige Jahre zuvor von einem Fotografen für wenig Geld schießen, da sie verzweifelt Geld benötigt hatte. Monroe starb jung, psychisch labil und von ihren unzähligen Liebhabern verlassen an einer Überdosis Schlaftabletten. Als Folge der vielen unprofessionell durchgeführten Abtreibungen hätte sie keine Kinder hinterlassen.

Hugh Hefner, der Feminist

Hugh Hefner zeigte nie Reue für seine Ausbeutung von Frauen. Er verteidigte seinen Lebensstil in guter liberaler Manier: „Es ist ein kleiner Preis, den man für seine persönliche Freiheit zu bezahlen hat.“ Einige Journalisten schrieben, Hefner habe mitgeholfen, den Feminismus vorwärtszubringen, da er sich für die Verbreitung von Pille und legaler Abtreibung einsetzte. Was waren seine Motive dafür? Perry schreibt

„Aber auch Leute wie Hefner wollten diese Technologie (Verhütung und Abtreibung, Anm.) und brauchten sie, um ihr Ziel zu erreichen: die Befreiung der eigenen Libido, indem sie so taten, als ging es ihnen um die Befreiung der Frauen“.

Feministische Bücher sind „in“

Die These, dass die Sexuelle Revolution Frauen geschadet hat, muss man in der Masse der aktuell wie am Fließband erscheinenden feministischen Literatur wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Die Autorinnen dieser Bücher vertreten entweder einen liberalen Feminismus à la „Du kannst alles schaffen, wenn du hart genug an dir selbst arbeitest“ oder einen sozialistisch angehauchten, in dem die Devise lautet, dass das System umgekrempelt werden müsse hin zu einer gerechten Welt für heute angeblich diskriminierte Personen. Dazu zählen nicht nur Frauen, sondern auch POC („People of colour“) und LGBTQs („lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer“). Der Einsatz für diese Personengruppen wird meist als Vorhaben verstanden, das von einem linken Weltbild ausgeht.

 

Louise Perry zeigt auf, dass sowohl ein liberaler Feminismus als auch ein sozialistisch anmutender auf ein- und derselben Prämisse beruhen: der Sexuellen Revolution. Diese wiederum fußt auf dem liberalen Leitsatz: „Alles ist dem Individuum erlaubt, solange es niemandem schadet.“ Feministisch übersetzt bedeutet das: „Im Bereich der Sexualität ist alles erlaubt, solange Handlungen einvernehmlich sind.“

Louise Perry, die 2022 Mutter eines Sohnes wurde, weiß, wovon sie redet. Die Journalistin, die für die konservative englische Tageszeitung Daily Mail und New Statement, eine eher linksgerichtete Wochenzeitung, schreibt, glaubte früher, gleich ihren städtischen Universitätskollegen, dass alles, was nicht „sexpositiv“ ist, prüde, sexfeindlich oder verinnerlichte Scham sei. Um nicht dementsprechend gebrandmarkt zu werden, müssten postmoderne Frauen Pornos gutheißen, harten Sex genießen und Prostitution als „Sexarbeit“ anerkennen. Das alles sollten sie als hart erkämpfte Gleichberechtigung feiern.

Soziologie vs. Evolutionsbiologie

Doch durch ihre Arbeit in einer Beratungsstelle für vergewaltigte Mädchen und Frauen begann sich Perrys Meinung zu ändern. Es fing damit an, dass sie das allgemein verbreitete Narrativ anzweifelte, der Grund für Vergewaltigung sei Macht und nicht Sexualität, nachdem sie in Berührung mit einer evolutionsbiologischen Erklärung für Vergewaltigung kam. Nach und nach entdeckte sie, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind, auch in ihrer Sexualität. Die Feministen der 60er und 70er Jahre negierten die biologischen und evolutionstheoretischen Unterschiede. Stattdessen war Männlichkeit und Weiblichkeit, und somit auch männliche und weibliche Sexualität, ein rein soziales Konstrukt.

In der unendlichen Landschaft der feministischen Literatur sticht es heraus, wenn in einem Werk die ideengeschichtliche Wurzel eines gesellschaftlichen Phänomens ausgegraben wird. Genau das tut Perry, indem sie mit dem Liberalismus und dem von ihm ausgehenden Kapitalismus hart ins Gericht geht.

„Der liberale Feminismus verspricht Frauen Freiheit. Wenn dieses Versprechen auf biologische Grenzen stößt, ordnet die Ideologie den Frauen an, diese Grenzen mittels Geld, Technologie und die Körper ärmerer Leute zu beseitigen“,

kritisiert die Autorin. Damit spielt sie auf die ausbeuterische Praxis der Leihmutterschaft an. Perry tritt den Marsch durch die Institutionen Pornografie, BDSM und Prostitution an und liefert gut recherchierte sowie auf wissenschaftlichen Untersuchungen basierte Fakten, warum diese Gegebenheiten Frauen nicht „empowern“, sondern sexhungrige Männer sowie die Konsumgesellschaft stützen.

Eine konservative Sichtweise auf Sexualität

Die Journalistin plädiert für eine konservative Sichtweise auf Sexualität, die die „Anything goes“-Mentalität in die Schranken verweist. Sie kritisiert, angelehnt an den Soziologen Max Weber, die „Entzauberung der Sexualität“. Sex habe sehr wohl einen intrinsischen Wert und sei nicht einfach eine „Freizeitbeschäftigung, der nur dann Bedeutung zukommt, wenn die Teilnehmer ihr eine Bedeutung geben“. Denn warum sind westliche Gesellschaften sonst derart empfindlich gegen jede Art von erzwungenem Sex und sexueller Belästigung (#metoo lässt grüßen)?

Worum es der Autorin nicht geht, ist eine plumpe Rückkehr in die 1950er Jahre. Ihr geht es darum, darüber nachzudenken, wie beide Geschlechter glücklich werden können unter den Voraussetzungen ihrer Unterschiede und verschiedenen Interessen, die manchmal in Spannung zueinanderstehen. Im letzten Kapitel ihres Buches, das bisher nur in englischer Sprache erhältlich ist, äußert Perry etwas wahrlich Radikales für postmoderne Leser: Sie bewirbt die monogame Ehe. Zum Schluss tätigt sie den fast prophetisch anmutenden Satz: „Der Feminismus muss die Mutter wiederentdecken, in jeder Hinsicht.

Das im Sommer erschienene „The Case against the Sexual Revulotion“ stieß bisher auf überwiegend positive Reaktionen im englischsprachigen Raum. Perry ist ein gefragter Gast in Podcasts. Im Oktober hatte sie einen Auftritt in dem erfolgreichen Podcast von Mikhaila Peterson, der Tochter von Jordan Peterson. Der große Aufschrei von linksradikalen Feministen und der LGBTQ-Szene blieb bisher aus. Man darf gespannt sein, ob das Buch in der Flut an liberaler und sozialistischer feministischer Literatur Aufsehen erregen wird und ob es dazu beitragen wird, dass der feministische Diskurs andere Wege einschlägt.

Louise Perry, The Case against the Sexual Revolution: A new guide to sex in the 21st century, Polity-Verlag 2022, 200 Seiten, ISBN-10: 1509549994, EUR 17,78

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