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Kolumne „Mild bis rauchig“

Abba versus Allah

Wenn der Name ABBA fällt, denkt kaum jemand an den hl. Apostel Paulus und seinen Römerbrief, sondern – wenigstens die reifere Jugend, die sich noch an die 1970er und 80er erinnern kann – an Agnetha Fältskog (75 Jahre), Anni-Frid Lyngstad (Jahre 77), Björn Ulvaeus (80 Jahre) und Benny Andersson (77 Jahre) und ihre legendäre schwedische Popgruppe. 

Ihr Name ABBA entsteht beim Zusammenziehen der Vornamen der Sänger und ist damit eigentlich – abgesehen von den Erfolgen der Gruppe mit 400 Millionen verkauften Tonträgern – recht sinnfrei.

Und doch mag es einige Bibelfeste geben – vielleicht sogar unter den Lesern dieser Kolumne –, die doch an den hl. Paulus und seinen Römerbrief denken. Mit Recht, denn er hat den Begriff Abba lange vor der zündenden Idee der vier Schweden geprägt. Als er sich müht, den Römern das Gottesbild nahezubringen, das Jesus Christus verkündet hat, greift er zu einer sprachlichen Nuance, die prägend sein sollte. 

Keine Sorge, der Gott Jesu Christi ist kein ferner Gott

Er sagt den Römern: Keine Sorge, der Gott Jesu Christi ist kein ferner Gott, kein versteinerter Götze, Er ist jemand, den man mit Fug und Recht als „Vater“ bezeichnen kann. Und zwar in der liebevoll vertraulichen Art und Weise, mit der kleine Kinder ihren Vater bezeichnen, wenn sie „Papa“ zu ihm sagen. Paulus nutzt dazu den aramäischen Kosenamen Abba und schreibt: 

„Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, so dass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm 8,15)

Schon Jesus selbst hatte Gott so bezeichnet als er in der Nacht vor Seinem Tod mit Ihm um das rang, was unausweichlich war. Er bittet den Vater mit der Anrede Abba, diesen Kelch an Ihm vorübergehen zu lassen (vgl. Mk 14,36). Selbst wenn die Exegeten darüber streiten, wie diminutiv das gemeint sein mag und ob „Papi“ wirklich die angemessene Übersetzung ist, sicher ist, dass sie eine große Vertrautheit zum Ausdruck bringt.

Gott ist wie ein liebevoller Vater

Paulus empfiehlt der Gemeinde in Rom und damit auch allen heutigen Christen, diesen Namen zu benutzen, wenn sie zu Gott sprechen. Denn alle sind sie Kinder Gottes und damit dürfen sie auch wie Kinder in ein vertrautes, kindliches Verhältnis zu Ihm eintreten.

Man darf Ihn bei allem Respekt Abba, Papa, nennen, weil man weiß, dass Gott wie ein liebevoller Vater ist. Er ist der, von dem die Menschen stammen, der ihnen aus Liebe das Leben geschenkt hat, der barmherzig ist und der sich um alle – ohne Ausnahme – sorgt. Paulus wäre natürlich nicht Paulus, wenn er alles auf eine solch einfache Formel herunterbrechen würde. 

Denn trotz der Abstammung von Gott als Vater, muss für den Menschen, der zu Ihm ein vertrautes Verhältnis pflegen will, noch etwas hinzukommen, um mit Ihm dieses vertraute Verhältnis pflegen zu dürfen. Gott bietet keine banale Kumpanei an. Kinder respektieren den Papa als Vater immer mit dem Hintergrundwissen, dass die Rollen geklärt sind und die Kleinen auch zum Papa aufschauen und ihm zu gehorchen haben. 

Sie gehorchen nicht aus Angst, sondern aus Respekt

Aber sie gehorchen nicht aus Angst, sondern aus Respekt. Ein Respekt, der etwas mit Dankbarkeit dafür zu tun hat, dass der Vater seine Kinder unendlich liebt und immer für sie da ist. Und deswegen hat die Berechtigung, den Vater nicht alttestamentlich-feierlich Vater zu nennen, sondern Abba, diese Voraussetzung. Paulus sagt: „Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes.“ 

Das darf nicht überhört werden. Denn darin liegt ein Anspruch. Und der lautet: Wenn du ein wirklich tragfähiges Gottesverhältnis haben willst, dann darfst du dich nicht nur auf deiner Herkunft aus Gottes Hand ausruhen. Du musst mit Ihm dann auch leben und darfst Ihn nicht nur für besondere Anlässe, für die Krankheit, die schwierige Klausuren, die große Prüfung oder die zerbrochene Beziehung nutzen und Ihn ansonsten links liegen lassen.

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Um sich ein „Kind Gottes“ nennen zu dürfen, erklärt Paulus, muss man „sich vom Geist Gottes leiten lassen“, und das heißt, man muss ein lebendiges Suchen und Danken, Sehnen und Gehorchen, Bitten und Anbeten leben. So wie ein Kind, das den Papa ja auch nicht nur zu Weihnachten beachtet oder, wenn es ein Eis haben will.

Eine Verpflichtung, sich würdig zu erweisen

So sehr revolutionär die Haltung Jesu also ist, die alttestamentarische Strenge im Verhältnis zu Gott aufzubrechen, wenn Er ermutigt zu Gott Abba, Papa zu sagen, so sehr liegt darin auch eine Verpflichtung, sich dieser Nähe und Vertrautheit würdig zu erweisen. Hier sind die Ansprüche der großen monotheistischen Religionen ähnlich. 

Und doch gibt es da diese Scheidelinie, die die Christen radikal von den anderen unterscheidet, vor allem von der muslimischen Vorstellung von Allah, der über alle Maßen erhaben ist, so erhaben, dass man sich eigentlich vor ihm nur noch zu Boden werfen kann, weil er streng und allgewaltig ist. 

Die Vorstellung, Allah „Abba“ zu nennen, widerstrebt einem Moslem nicht nur, es ginge an den Rand der Blasphemie, so etwas zu tun. Denn Allah ist so wenig Papa wie er auch nicht Mensch wird und sich kreuzigen lässt. Als Allah macht man so etwas nicht!

Die Nähe Gottes

Vielleicht ist das zu wenig präsent, wenn es um die Frage nach dem Unterschied von Islam und Christentum geht. Denn im Islam gibt es diese ganz andere Vorstellung von Gott, die nicht nur eine Stilistik betrifft, etwas Äußeres oder gar nur Ästhetisches, sondern das in die Tiefe des Gottesverhältnisses reicht: Ob ich einem Abba oder einen Allah gegenüberstehe. 

Ob ich ihm – bei allem Respekt – in die Augen schauen darf oder mich vor ihm in den Staub werfen muss, um ihn zu beruhigen. Ob seine Barmherzigkeit ein unverschuldetes Geschenk für diejenigen ist, die Gott lieben ist oder nur denen zuteilwird, die Seine Regeln befolgen. 

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Ob Gott nah ist und ich mich mit Ihm verbinden kann oder ob Er mir bei aller Zuwendung äußerlich bleibt. Ob er der ganz andere in der Distanz der Unerreichbarkeit bleibt oder ob es eine existentielle Verbundenheit gibt, in der ich Ihn in mir finden und ich in Ihm sein kann. Ob ich Gott – wie im Ruf „Allahu akbar“ – als „stets größer“ begreife oder ob Er mir „zu Betlehem geboren“ in „meinem Fleisch und Blut“ begegnet. 

Ob Gott mir in einem Buch entgegenkommt oder als Person in der Unmittelbarkeit meines eigenen Menschseins, das nicht nur als anthropomorphes Sprechen über Ihn, sondern in der Realität des gottmenschlichen Lebens Jesu Christi der Ort wird, an dem der Schöpfer ein Teil Seiner Schöpfung wird.

Christen und Moslems glauben nicht an denselben Gott

In all dem sind „Abba“ und „Allah“ grundverschieden und am Ende jenseits aller Harmonisierungsversuche nicht derselbe Gott. Ambiguitätstolerante Versuche der Identifizierung grundverschiedener Gottesbilder scheitern nicht nur intellektuell, sie scheitern vor allem dort, wo die Lebenswelten von Islam und Christentum die Koexistenz verlassen und im clash of civilisations jenseits der Unverbindlichkeit westlicher Talkshows aufeinanderprallen und das zutage fördern, was Abba von Allah unterscheidet. 

Allah ist unvermittelt transzendent, hat deswegen keinen Sohn, wird also auch kein Teil der von Ihm geschaffenen Welt und stirbt schon einmal gar nicht zur Sühne für die Sünden der Menschen. Wohingegen das Christentum an einen Gott glaubt, der „die Welt so sehr geliebt“ hat, „dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16).

Die frühe Geschichte der Ausbreitung des Christentums hilft, die genannten unterschiedlichen Profilierungen von Abba und Allah besser zu verstehen – als Argumente aus einer Zeit, in der der Islam noch sechshundert Jahre vor seiner Geburt stand. Da wird nämlich vom Auftreten des hl. Paulus in Ephesus berichtet, der dort den Gott Jesu Christi verkündet und dabei auf das zu sprechen kommt, was so radikal neu an der christlichen Botschaft von der individuellen und existentiellen Verbindung zwischen Mensch und Gott durch die Erfüllung mit den Heiligen Geist ist.

Den Heiligen Geist fragen

Paulus konfrontiert die Menschen in Ephesus mit der Frage, ob sie bereits den Heiligen Geist empfangen haben und stellt sie mit der Direktheit, mit der in unseren Tagen Umfragen in den Fußgängerzonen unserer großen Städte arbeiten. Die Befragten antworten – ähnlich wie es die heutigen verunsicherten Frageopfer tun würden mit „Wir haben noch nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt“ (Apg 19,2).

Aber daraufhin folgt keine Diskussion oder der Versuch einer Erklärung, sondern die Entscheidung der ahnungslosen Befragten, sich für den Heiligen Geist zu öffnen. Denn der Heilige Geist wird offensichtlich nicht dadurch verständlich, dass man fragt, wer Er ist, sondern dadurch, dass man Ihn erbittet und Ihm das Herz aufschließt, damit Er in einem wirken kann. 

Die Jünger in Ephesus waren da ganz spontan, wie wir lesen können: „Als sie das hörten, ließen sie sich auf den Namen Jesu, des Herrn, taufen. Paulus legte ihnen die Hände auf und der Heilige Geist kam auf sie herab“ (Apg 19,5).

Mit dieser Botschaft werden wir Jahr für Jahr nach den Feierlichkeiten von Ostern und Pfingsten in die Sommerpause entlassen: dass es gut ist zu wissen, was uns Jesus Christus schenkt – bei aller dialogischen Bereitschaft zum Respekt einem sich massiv (und zuweilen auch aggressiv) ausbreitenden Islam gegenüber, der weniger durch katechetische Unternehmungen als durch den Einmarsch muslimischer Gläubiger in unserer Alltagswelt hoffähig wird. 

Das Geschenk Jesu Christi prägt auch die agnostische Baerbock-Reichinnek-Welt

Und dennoch: Das Geschenk Jesu Christi, als Gott in dieser irdischen Sphäre gelebt zu haben und auf eine himmlische Weise auch geblieben zu sein, prägt im tiefsten Unterbewusstsein auch die agnostische Baerbock-Reichinnek-Welt. Es besteht in der Annäherung Gottes in Jesus Christus an die Welt, die Er geschaffen hat, in der Synthese von Transzendenz und Immanenz, die grundlegend ist für das Christentum. 

Diese Synthese, die wir als Christen als das Wirken des Heiligen Geistes begreifen, wird indes nur der erfahren, der sich auf ein wirklich kindliches und vertrautes Verhältnis zu Gott einlässt, in dem er mit Gott wie mit einem „Abba“, mit einem „Papa“ leben kann. 

Vielleicht erlangen wir ja das, was als „christliches Abendland“ deutlich mehr war als die vermeintlich übergriffige Exklusivwelt eines intoleranten Christuskalifats eines Tages wieder zurück. Die Zusage steht, dass es funktionieren kann, wenn man beim Glauben weder in der Distanz des Zuschauerraumes bleibt noch selbst zum Gott avancieren möchte.

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