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Interview mit Pfarrer Peter Fuchs

„Wir stehen einem erstarkenden Islam in Europa völlig blank gegenüber“

Während gläubige Christen im Westen mit der Ideologie der Wokeness konfrontiert werden und christliche Werte zusehends verfallen, sind Christen im Nahen Osten ganz anderen Gefahren ausgesetzt.

Auch in Ländern oder Gegenden, wo die Lage nicht direkt lebensbedrohlich ist, schlägt Anhängern der christlichen Kirchen offener Hass entgegen. Ein Geistlicher geht in Jerusalem spazieren? Er rechnet damit, angespuckt zu werden. Diskriminierung, Demütigungen, Gewalt: Für Christen in Syrien – wo sie in der Tat um ihr Leben fürchten müssen – ist das mittlerweile an der Tagesordnung.

Im Corrigenda-Interview in München erklärt Pfarrer Peter Fuchs, Leiter der christlichen Hilfsorganisation Christian Solidarity International (CSI), warum sich die Lage für die Christen nach dem Regierungswechsel in Syrien massiv verändert hat, warum er jetzt bezüglich der Migrationswelle umdenkt – und vor welchen Herausforderungen Christen in den anderen Ländern des Nahen Ostens stehen.

Pfarrer Fuchs, für Sie sind die deutschen Christen im Vergleich zu den Christen in Syrien, die für ihren Glauben so viel erdulden müssen, wahrscheinlich nur furchtsame, feige Waschlappen ... 

Das würde ich nicht so sagen. Ob in Deutschland oder Syrien: Jede christliche Gemeinschaft hat ganz eigene Herausforderungen, die sich zwar in vielerlei Hinsicht unterscheiden, aber doch auch wieder sehr ähnlich sind. Man muss sich in seiner Umwelt zurechtfinden. Man muss versuchen, sein christliches Leben in einer Gesellschaft zu leben, die nicht unbedingt immer dem Christentum freundlich gesinnt ist. Auch in Deutschland sind Christen, die ihren Glauben leben wollen, vielerlei Anfeindungen ausgesetzt. 

Die da wären?

Beispielsweise der Apotheker, der die Pille danach nicht herausgibt, weil er das mit seinem Glauben nicht verbinden kann. Die Lehrerin, die ihre Schüler nicht der Genderideologie aussetzen will. Und die Familien stehen vor der Herausforderung, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie wirklich im Glauben feststehen und das Christentum ohne Menschenfurcht leben. Ich glaube, da sind sich die Christen in Syrien und in Deutschland sehr ähnlich. 

Hier hat man mit Ideologien zu kämpfen, während es in Syrien um den Glauben selbst und um Leben und Tod geht.

Auch in Syrien müssen Christen sich mit einer Ideologie auseinandersetzen. Es ist die sunnitische Ideologie eines radikalen Islams. In Deutschland ist es aktuell die Ideologie der Wokeness, denen die Familien ausgesetzt sind und der gegenüber man sich als Christ standhaft zeigen muss. Das christliche Leben ist immer ein Kampf. Gleichzeitig muss man betonen, dass Christen in Deutschland sehr viel leisten für ihre verfolgten und notleidenden Schwestern und Brüder in allen Teilen der Welt. Ich sehe das bei den Spendern und Freunden von Christian Solidarity International. Da gibt es viele, denen es materiell nicht gut geht, und doch unterstützen sie zum Beispiel Christen in Syrien. Das ist buchstäblich das Scherflein der armen Witwe. 

„Wir brauchen eine junge Generation, die für ihren Glauben einsteht und bei Kritik am Christentum nicht sofort umfällt“

In Aserbaidschan hat die Internationale Konferenz zur Bekämpfung von Islamophobie stattgefunden, an der unter anderem auch Vertreter des Zentralrats der Muslime teilnahmen. Dabei wurde behauptet, Muslime seien in der westlichen Welt zunehmend von Bildung, Arbeitsmarkt und Wohnraum ausgeschlossen. Was man auch immer von diesem Vorwurf halten mag, muss man den Muslimen vielleicht eines lassen – und zwar, dass sie besser zusammenhalten und ihren Glauben besser verteidigen, als wir Christen es tun?

Auch die muslimische Welt ist sehr zerrissen. Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, begegnet uns beispielsweise das für Schiiten traumatische Ereignis der Schlacht von Kerbela und die vielen Angriffe durch Sunniten. Die muslimische Welt ist sich gar nicht so einig, wie wir das vielleicht hier im Westen denken würden. Der große Unterschied ist wohl, dass Muslime häufig sehr viel selbstbewusster auftreten als Christen und manchmal auch ein großes Überlegenheitsgefühl an den Tag legen. Das begegnet uns bei muslimischen Jugendlichen im Westen immer wieder. 

Beispielsweise in den Schulen.

Ja, und das ist natürlich abzulehnen. Andererseits würde man sich manchmal wünschen, dass auch unsere christlichen Jugendlichen mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen würden. Wir wollen keine überheblichen, keine arroganten Christen. Aber wir brauchen eine junge christliche Generation, die von ihrem Glauben ganz überzeugt ist, die für ihren Glauben einsteht und bei Kritik am Christentum nicht sofort umfällt, sondern stark und fest stehen bleibt. 

Peter Scholl-Latour hat einmal gesagt, er fürchte sich weniger vor der Stärke des Islams als vor der Schwäche des Christentums. Hatte er recht?

Sicherlich! Unser Problem ist doch, dass wir hier in Deutschland unsere christlichen Wurzeln vergessen haben, dass wir unsere christliche Kultur vergessen haben, dass wir in weiten Teilen gar nicht mehr in der Lage sind, christlich zu denken oder Christentum überhaupt zu verstehen, geschweige denn christlich zu leben. Wir stehen einem erstarkenden Islam hier in Europa völlig blank gegenüber. Ja, die Schwäche des Christentums ist ein größeres Problem als die Stärke des Islam. 

Über Pfarrer Fuchs und CSI

Christian Solidarity International (CSI) ist eine 1977 in der Schweiz gegründete christliche Menschenrechtsorganisation für Religionsfreiheit und Menschenwürde. CSI ist aktuell in 15 Ländern tätig und setzt sich für die Rechte verfolgter Christen ein. Weitere Themenbereiche von CSI sind: Genozid-Warnung, religiöse Minderheiten, Sanktionen, Sklavenbefreiung, Menschenhandel, Binnenflüchtlingshilfe, Not- und Katastrophenhilfe. Seit 2016 ist Pfarrer Peter Fuchs Geschäftsführer von CSI Deutschland. Fuchs ist 1977 in Tegernsee geboren. Er studierte Kirchenrecht an der Universität Straßburg Die Priesterweihe erhielt er 2002 für die Erzdiözese Vaduz.

Kommen wir zu Ihrer Arbeit bei Christian Solidarity International (CSI). Sie haben sich dazu entschieden, sich mit ganzer Kraft für Ihre verfolgten Glaubensbrüder einzusetzen. Wie kam es dazu und was hat Sie in Ihrer momentanen Tätigkeit bisher am meisten überrascht?

Seit 2016 bin ich Geschäftsführer von Christian Solidarity International in Deutschland und war vorher schon als Beiratsvorsitzender tätig. Ich war immer sehr beeindruckt von den Sklaven-Befreiungsaktionen im Sudan, deren 30-jähriges Jubiläum wir in diesem Jahr feiern.  Seit 1995 hat CSI über 160.000 Menschen aus der Sklaverei befreit. Die meisten von ihnen sind Christen, die im Rahmen des sudanesischen Bürgerkriegs zu Sklaven gemacht worden waren. Es ist eine große christliche Tradition im Sudan, Sklaven zu befreien. CSI ist die einzige Organisation, die diese Sklavenbefreiungen systematisch durchführt.

Konkrete Hilfe: CSI finanzierte etwa einen Schulbus für die armenisch-katholische Schule in Damaskus

CSI ist besonders, weil wir auch Themen anpacken, die politisch schwierig sein könnten und deshalb von anderen Organisationen so nicht angegangen werden. Man hofft ja immer, dass man in seinem Leben etwas tun kann, was „einen Unterschied macht“. 

Im vergangenen Jahr hat in Syrien ein Regierungswechsel stattgefunden, und der langjährige Krieg ist beendet. Wie bewerten Sie die jetzige Regierung und das neue Regime? War es für die Christen unter dem vorherigen Machthaber Assad besser als jetzt? 

Das Syrien, das wir vor November 2024 kannten, war ein ganz anderes als heute. Nicht weil andere Menschen dort leben würden, sondern weil eine andere Regierung, eine andere Ideologie dort herrscht. Seit den 60er Jahren war Syrien geprägt von der Politik der Baath-Partei, die 1947 von einem Sunniten und einem Christen gegründet wurde. Man hatte damals verstanden, dass man dem Nahen Osten und besonders Syrien Stabilität, Ruhe und Sicherheit nicht auf der Basis einer Religion geben kann. Syrien ist ein multireligiöses Land. 

„Unter Assad genossen Christen Religionsfreiheit“

Was war dann die gemeinsame Basis der Menschen in Syrien vor dem Regimesturz, wenn es nicht die Religion war? 

Die gemeinsame Basis – so lautet die Ideologie der Baath-Partei – ist das Arabertum. Obwohl auch in Syrien Menschen leben, die keine Araber sind, wie zum Beispiel die christlichen Aramäer, so leben doch alle in der arabischen Kultur. Es gab Menschenrechtsverletzungen gegenüber nicht-arabischen Menschen unter dem Baath-Regime. Und doch hat die säkulare Ausrichtung der syrischen Regierung dazu geführt, dass es weitgehend Einheit im Land gab, Sicherheit und vor allem auch Religionsfreiheit. Syrien war bis 2011 ein stabiles Land. Natürlich auch, weil es ein ausgeprägtes Geheimdienstsystem hatte, das wir natürlich in keiner Weise als demokratisch ansehen können. Es war so ähnlich wie in der damaligen DDR. Aber Sie fragen mich in Bezug auf die Christen, und da muss man sagen, dass sie wie alle Religionsgemeinschaften unter Assad Religionsfreiheit genossen. 

Wenn Sie die Assad-Regierung mit der DDR vergleichen, war das Leben für die Christen ja nicht ganz frei.

Eines durfte man nicht tun: Sich politisch gegen die Baath-Partei oder gegen Assad stellen. Das war lebensgefährlich und deswegen ist es natürlich zu begrüßen, dass mit dem Umsturz im November 2024 auch viele politische Gefangene freikamen. Problematisch ist, dass das Assad-Regime ersetzt wurde durch ein dschihadistisches Regime, was dazu geführt hat, dass die nicht-sunnitischen Minderheiten in Syrien wie Alawiten, Drusen, Christen und Ismailiten heute in ihrer Existenz bedroht sind. Wir haben das in den vergangenen Wochen und Monaten, insbesondere im März mit den genozidhaften Ausschreitungen gegen Alawiten an der syrischen Mittelmeerküste ganz deutlich gesehen. Oder zuletzt, am 22. Juni, als in der St.-Elias-Kirche in Damaskus – im Herzen der syrischen Hauptstadt – ein Selbstmordattentat stattfand mit 25 Toten und 60 Verletzten. 

Im Westen wurde das Assad-Regime von den Medien fast ausschließlich negativ bewertet. 

Unter Assad gab es Korruption und schwere Menschenrechtsverletzungen. Das Assad-Regime hat sich immer auf die Minderheiten Syriens gestützt und diesen vermittelt, dass sie ohne seinen Schutz untergehen würden. Tragischerweise wird diese Voraussage jetzt wahr. Denn wir sehen, dass das neue Regime in Damaskus nicht gewillt ist und auch nicht fähig ist, den Minderheiten im Land Sicherheit zu garantieren, ob es sich nun um Alawiten, Drusen oder Christen handelt. 

Die Regierung verspricht es. Aber es ist es auch ehrlich gemeint?

Ahmed al-Scharaa, dem neuen syrischen Präsidenten, oder besser gesagt Diktator, dem Gründer der al-Nusra-Front, wollen die syrischen Minderheiten nicht abnehmen, dass er sich heute zu einem demokratischen Präsidenten verändert habe. Sie erinnern sich an das, was er während des Kriegs gesagt hat, was seine al-Nusra-Front getan hat, wie sie christliche Dörfer wie zum Beispiel Maalula, überfallen und viele Christen und Alawiten getötet haben. Ich denke nicht, dass man dieser syrischen Regierung zutrauen kann, Religionsfreiheit für ihre nicht-sunnitischen Bürger zu garantieren. 

Die St.-Georg-Kirche der meltikisch griechisch-katholischen Kirche im Libanon wurde im Oktober 2024 durch einen israelischen Luftangriff zerstört

Die neue Übergangsverfassung spricht eine islamistische Sprache. Man kann dieser Regierung nicht zutrauen, westliche Werte in irgendeiner Weise umzusetzen oder zu verstehen. Christen und alle, die nicht in das Weltbild eines radikalen sunnitischen Islams passen, leben jetzt in großer Gefahr. Damit meine ich auch viele gemäßigte Muslime, die sich nicht an die Vorstellungen der jetzigen Machthaber in Syrien anpassen wollen. 

Gibt es im Sinne der islamistischen Herrscher schon Veränderungen im Alltagsleben?

Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten beobachtet, wie dschihadistische Patrouillen in Damaskus, Aleppo und in vielen kleinen Dörfern die Straßen kontrollieren und Paare voneinander trennen, wenn sie nicht verheiratet sind. In Aleppo gehen Patrouillen in Restaurants und sagen: „Ihr sollt aufhören, Alkohol zu trinken und Alkohol soll hier auch künftig nicht mehr ausgeschenkt werden. Wir sind ein muslimisches Land.“ So etwas gab es in Syrien vor der Machtübernahme der Dschihadisten nicht. Also ein sehr markantes Beispiel von Mangel an Religionsfreiheit und ein Hinweis auf den Umbau Syriens hin zu einem islamischen Staat. Christliche Jugendgruppen fahren diesen Sommer nicht ans Meer, weil sie Angst davor haben, dass diese dschihadistischen Patrouillen und Milizen eingreifen, wenn Jungen und Mädchen gemeinsam schwimmen.

„Kinder werden jetzt gezwungen, Koransuren zu rezitieren“

Wie äußert sich die neue, christenfeindliche Atmosphäre denn in den Schulen und für die Kinder?

An öffentlichen Schulen werden jetzt Kinder gezwungen, Koransuren zu rezitieren. In den Klassen gibt es selbstverständlich auch christliche Kinder, die sich zu ihrer Religion bekennen und sich weigern, da mitzumachen. Es kommt vor, dass dann die Lehrer bei den Eltern anrufen und drohen, ihre Kinder von den Schulen zu verweisen. Die Luft für Christen in Syrien wird immer dünner. 

Wir reden jetzt gerade einmal von den Veränderungen innerhalb eines halben Jahres. Es ist sehr viel für diese kurze Zeit! 

Ja, und man muss betonen, dass gerade das Attentat auf die St.-Elias-Kirche in Damaskus, im Herzen Syriens, im Herzen der Hauptstadt und damit sogar im Herzen des syrischen Christentums, viel mehr war als nur ein Zwischenfall, wie es die syrische Regierung darzustellen versucht. 

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Die Botschaft des Attentats wurde von den Christen und allen Minderheiten des Landes verstanden. Man will sie nicht in Syrien haben. Sie sollen sich nicht sicher fühlen. Sie sollen verschwinden. Und das ist eben die Devise der von al-Scharaa 2012 gegründeten al-Nusra-Front: „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut!“

Das war also der Kampfruf? Deutlicher könnte die Botschaft ja gar nicht sein.

Ja, das war der Kampfruf. Und dieser Kampfruf wird jetzt ganz tragisch Realität! 

Sie sprachen vorhin die Wirtschaftssanktionen an.

CSI hat sich seit vielen Jahren für die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien eingesetzt. - Trotz negativer Auswirkungen für uns. Es ging uns niemals darum irgendein Regime zu unterstützen, sondern es ging uns immer nur um die einfachen Menschen in Syrien. Selbst die UN-Sonderberichterstatterin für die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Alena Douhan, hat mehrmals vor den verheerenden Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf die Zivilbevölkerung gewarnt. Uns haben unsere Projektpartner in Syrien gesagt, dass die Wirtschaftssanktionen wie Massenvernichtungswaffen wirken. Sie trafen das ganze Land, insbesondere die Armen. Diese Wirtschaftssanktionen haben wesentlich dazu beigetragen, dass 90 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt.

CSI organisiert Nahrungsmittel für verfolgte Christen in Nigeria

Die medizinische Infrastruktur in den Krankenhäusern ist desaströs, weil ja nicht einmal Überweisungen von und nach Syrien möglich waren. Das hat deutlich gemacht, dass diese Wirtschaftssanktionen ungerecht sind. Wir haben sehr viel politische Lobbyarbeit betrieben. Wir haben offene Briefe und politische Veranstaltungen in Berlin mit Partnern aus Syrien organisiert. Und Gott sei Dank gab es vor wenigen Wochen den Beschluss, die Wirtschaftssanktionen seitens der EU und der USA aufzuheben. 

Die Wirtschaftssanktionen haben die Migrationswelle befeuert – doch jetzt gibt es völlig andere Gründe zur Flucht. Was sehen Sie als mögliche Lösung?

Die Wirtschaftssanktionen waren sicher der größte Faktor, der die Migrationswelle aus Syrien angefeuert hat. CSI wollte dazu beitragen, dass die Syrer in ihrer Heimat verwurzelt bleiben und deshalb mussten die Wirtschaftssanktionen weg. Heute sind wir in einer völlig anderen Situation. Täglich rufen uns christliche Freunde aus Syrien an und sagen: „Ihr müsst auf eure Politiker einwirken, dass sie ein Aufnahmeprogramm für syrische Christen einrichten, denn aufgrund der Verfolgung unter diesem neuen Regime haben wir keine Zukunft mehr in Syrien. Wir müssen raus. Es geht um unser Leben. Helft uns!“ 

„Was soll ich einem Vater antworten, der sagt: ‘Mein Sohn wurde schon zweimal zusammengeschlagen, weil er ein Kreuz trägt’“

Das heißt, Sie denken jetzt völlig um?

Was soll ich einem Vater antworten, der sagt: „Mein Sohn wurde schon zweimal zusammengeschlagen, weil er ein Kreuz trägt, weil er als Christ erkannt worden ist?“ Oder einer Mutter, die beim Attentat auf die St.-Elias-Kirche ihren Mann, ihren Sohn und ihre Tochter verloren hat. Soll ich ihr noch sagen, dass sie eine Zukunft in Syrien hat und bleiben soll? Das kann ich ehrlich gesagt nicht mehr tun. Ich kann aufgrund der Geschichte al-Scharaas, seiner Kämpfer und seiner Anhänger, nicht sehen, dass sich die Situation verbessern könnte. Und trotzdem laufen unsere humanitären Projekte für die Christen in Syrien unvermindert weiter. 

Kommen wir jetzt zur Lage in Israel. Dort wurde vor kurzem der Ort Taybeh im Westjordanland von israelischen Siedlern angegriffen. Ein Dorf, wo ausschließlich Christen wohnen. Wie sehen Sie die Situation für die Christen dort und in Israel? 

Taybeh ist vielleicht ein typisches Beispiel für das Leben der Christen in Palästina und im Orient im Ganzen. Taybeh wurde 2005 von muslimischen Gruppen aus einem Nachbardorf angegriffen, genau vor 20 Jahren, weil man einem Bewohner von Taybeh vorgeworfen hatte, eine unerlaubte Beziehung mit einer muslimischen Frau unterhalten zu haben. Jetzt erleben wir die Bedrohung durch zionistische Siedler. 

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Abt Nikodemus Schnabel meinte kürzlich, dass es für ihn mittlerweile keine Frage mehr ist, ob er angespuckt und beschimpft wird, sondern wie oft am Tag ...

Und er bestätigt, dass zionistische Siedler jetzt auch Taybeh angegriffen und Autos und Häuser angezündet haben. Es gab auch Tote. Die israelische Armee hat sich nach Medienangaben auf die Seite der Siedler gestellt. Eine israelische Zeitung schrieb, dass diese zionistischen Siedler von ausgeprägtem Christenhass angetrieben würden. Blinder Hass gegen friedliche Menschen.

Und gerade Taybeh, ein urchristliches Dorf.

Taybeh gilt als das biblische Ephraim und ist heute vor allem wegen seiner Brauerei im Nahen Osten sehr bekannt. Die Brauerei wird übrigens mit bayerischem Hopfen beliefert. Gerade war Bundesinnenminister Dobrindt von der CSU in Israel, und ich hätte mir sehr gewünscht, dass er das Schicksal von Taybeh öffentlich angesprochen hätte. Die Bürger von Taybeh müssen in Sicherheit leben können und dürfen weder von Muslimen noch von zionistischen Siedlern angegriffen werden. Die Schuldigen der jüngsten Übergriffe müssen ermittelt und bestraft werden! 

Bald schon Bilder der Vergangenheit? Gläubige zünden am Vorabend des Fests der heiligen Barbara in der Kirche St. Barbara im Dorf Aboud in der West Bank Kerzen an

„Christen leiden unter dem Krieg zwischen der Hisbollah und Israel“

Blicken wir noch auf den Libanon. Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten der Christen im Zedernstaat ein? 

Der Anteil der Christen an der libanesischen Bevölkerung liegt nach Schätzungen bei etwa 35 Prozent. Der Libanon ist schwer gezeichnet vom jüngsten Krieg zwischen der Hisbollah und Israel. In Beirut, im Süden und in der Bekaa-Ebene sind die Zerstörungen unübersehbar. In Baalbek hat das israelische Militär in unmittelbarer Nähe des UNESCO-Weltkulturerbes bombardiert.

Die Menschen haben Häuser und Verwandte verloren, Kinder leiden unter Traumata aufgrund des gruseligen Lärms der israelischen Drohnen. Viele sind zudem das dominante Auftreten der Hisbollah innerhalb der libanesischen Politik leid. Alle leiden unter der desaströsen wirtschaftlichen Situation des Libanon. Ich kenne Lehrerinnen, Polizisten und Soldaten, die zusätzlich noch zwei oder drei Nebenjobs haben, um ihre Familien ernähren zu können. Es ist wesentlich die wirtschaftliche Not, die die meist gut ausgebildeten Christen aus dem Libanon treibt. Viele gehen nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate, um dort zu arbeiten. Mit einem Teil ihres Lohns unterstützen sie ihre Eltern und Verwandten im Libanon. Ich bin aber optimistisch, denn die verfassungsrechtliche Ausgangslage ist im Libanon weiterhin auf eine multireligiöse Gesellschaft ausgerichtet. Eine vom Westen unterstützte wirtschaftliche Erholung würde gewiss zu einer neuen Blüte des multireligiösen Zedernstaates führen.

Wie sieht es im Irak aus?

Im Irak ist die Situation weiterhin angespannt. Die Sicherheitslage ist besser als in den vergangenen Jahren. Aber auch im Irak nimmt die Zahl der Christen ab und man glaubt nicht mehr daran, eine politische Rolle in der Gesellschaft spielen zu können. In Teilen des Irak gibt es Milizen, die christliche Dörfer verunsichern. Die christlichen Gemeinden in den Kurdengebieten erstarken aber schon wieder.

„Die politischen Entscheidungsträger kommen teilweise aus einem Umfeld, das das Christentum gar nicht mehr kennt“

Haben Sie den Eindruck, dass die Dringlichkeit des Themas Christenverfolgung in Brüssel und Berlin eigentlich so richtig ankommt? 

Die heutigen politischen Entscheidungsträger kommen teilweise aus einem Umfeld, das das Christentum gar nicht mehr kennt oder versteht. Deswegen werden wir immer wieder von Interessenvertretern, Medien, aber eben auch von politischen Entscheidungsträgern angesprochen, die uns um Einschätzungen in Bezug auf die Lage der Religionsfreiheit im Nahen Osten, Asien und Afrika bitten.

Viele Mitarbeiter unserer Politiker wissen nicht, was beispielsweise die griechisch-orthodoxe oder die griechisch-katholische Kirche ausmacht. Wer sind Alawiten? Wie gestaltet sich die christliche Präsenz im Nahen Osten? Warum ist es für Christen so unerträglich, Koransuren zu zitieren? Es ist schon wichtig, dass christliche Organisationen wie die unsrige auch Aufklärungsarbeit leisten. 

Können Sie denn von einer Begebenheit aus ihrer Arbeit berichten, die sie in den vergangenen Jahren erlebt haben und die uns allen Mut machen kann, was internationale Solidarität unter Christen zuwege bringen kann?

Wenn ich jetzt konkret auf unsere Arbeit schaue, dann ist es auf jeden Fall das erwähnte 30-jährige Jubiläum der Sklavenbefreiung mit insgesamt 160.000 Befreiten!

Also ein Erfolg, der Ihnen Kraft und Hoffnung gibt. 

Ja, das ist etwas Wunderschönes. Es sind 160.000 gerettete Leben. Darunter beispielsweise eine Frau, die 30 Jahre lang von ihrem Besitzer und seinen Söhnen vergewaltigt wurde. Sie ist jetzt frei und kann frei leben. Sie muss nachts nicht mehr bibbernd auf ihrem Lager liegen und Angst haben und sich fragen: Wann kommt mein „Besitzer“ und seine Söhne? Die Zwangsislamisierte kann wieder am christlichen Gottesdienst teilnehmen.

Ich denke auch an unsere Arbeit in Pakistan, wo wir Opfer der Blasphemiegesetzgebung juristisch unterstützen. Ich freue ich mich, wenn der junge Mann, der da im Gefängnis sitzt, durch uns Unterstützung erhält, Mut bekommt, weil er sieht, da gibt es Menschen im Westen, die sich für sein Schicksal interessieren. Er ist nicht vergessen in seiner Todeszelle. Man betet für ihn. Wir haben den Freispruch von Opfern der Blasphemiegesetzgebung erreicht.

Und ich bin froh, wenn eine krebskranke Frau in Aleppo durch Spendengelder aus Deutschland die notwendige Behandlung erhält und gesund wird.

„Wir sind Glieder am mystischen Leib Christi. Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“

Jeder Einzelne zählt und jeder einzelne Erfolg. 

Richtig und deswegen dürfen wir uns über diese ganz konkreten Erfolge auch wirklich freuen und müssen vor allem dankbar sein, auch unseren Unterstützern gegenüber. Denn ohne diese könnten wir nichts bewirken. Ja, es gibt viele kleine Geschichten, die man erzählen könnte und die davon zeugen, dass wir mit Gottes Hilfe schwere Schicksale zum Guten wenden konnten. 

Was wünschen Sie sich von uns Christen in Mitteleuropa und wie wir diesen verfolgten Christen helfen?

Zunächst einmal, dass wir überhaupt Interesse zeigen. Wir sollten uns dafür interessieren, dass es Christen gibt, die in Pakistan, im Sudan, im Irak und in Syrien leben und dann nicht nur an die negativen Dinge denken, sondern auch an die große christliche Kultur, die uns begegnet. Von diesen uralten christlichen Traditionen können wir viel lernen.

Da denke ich besonders an die sehr schönen Riten und Kirchen …

Genau! Die christlichen Riten, die antiken Kirchenbauten und die großen Gestalten, die uns das Christentum vorgelebt haben. Natürlich sollen wir Anteil an den Nöten unserer Schwestern und Brüder nehmen. Als Christen sind wir aufgerufen zu helfen. Da ist das Gebet unser erstes Mittel. Und wenn es möglich ist, sollten wir auch materielle Unterstützung leisten. Almosen zu geben, ist ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe. 

Wir gehören zusammen. Wir sind Glieder am mystischen Leib Christi. Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit. Letztlich stärken wir die Kirche, wenn wir die leidenden Glieder unterstützen.

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