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Kolumne „Mild bis rauchig“

Vandalissimo

Nicht nur in „Dunkeldeutschland“ gibt es sie, sondern auch im Westen der Republik: die Schändung von Kirchen. Beinahe wöchentlich berichten die Medien über Vandalismus, besprühte Kirchenmauern, Madonnen mit abgeschlagenen Köpfen, Schwelbrände mit Verrußungsfolge, von Urin und Kot in Beichtstühlen und Weihwasserbecken und von nächtlichen Diebeszügen mit nicht geringer Erfolgsquote.

Trotz Alarmanlagen, Anti-Graffiti-Schichten über dem Anstrich an Gebäuden und ehrenamtlichen Präsenzdiensten ist die Welle der unerzogenen bis gotteslästerlichen Aktionen kaum zu stoppen. Eine aktuelle Erhebung ergab laut Evangelischem Pressedienst allein in Sachsen in den vergangenen zwölf Monaten fast 70 Fälle von Vandalismus, 55 auf dem Gebiet der Sächsischen Landeskirche und zwölf im katholischen Bistum Dresden-Meißen.

Im Umfeld werden entsprechend zuzuordnende Gebäude nicht verschont. Friedhöfe, Schaukästen, Kindergärten sind ebenso Ziel mutwilliger Zerstörung. Selten ist damit eine inhaltliche Äußerung verbunden. Die Tat als solche gilt als Botschaft. Wenn einem das Heilige nicht mehr heilig ist und man die Gefühle derer, denen das Heilige heilig ist, mit Füßen tritt, dann liegt in dieser Aggression an sich schon genug Bekundung.

Und weil man den lieben Gott wegen seiner mangelnden Sichtbarkeit ja nicht direkt in Seiner Sichtbarkeit treffen kann, muss man es mit Seinen Abbildern oder Seinen Anhängern tun. „Man schlägt den Sack und meint den Esel!“ – so sagt es ein bekanntes Sprichwort.

Anruf bei der Polizei: „Einmal wie immer!“

Allein, es gibt das Aufkommen von Vandalismus gegen Kirchen – wie gesagt – nicht nur im ungetauften Osten des Landes, sondern auch in meiner Heimat im äußersten Westzipfel der Republik. In unserer täglich von 9 bis 18 Uhr mit weit geöffnetem Portal zugänglichen Pfarrkirche gibt es immer wieder kleine und größere Zeugnisse kleiner und großer Störenfriede, die Altarkerzen entzünden, Plakate herunterreißen, Wände mit Kugelschreiber- und Wachsmalstiftkunst bereichern und sich an Opferstöcken zu schaffen machen.

Und weil man nicht alles und jedes nach dem Gottesdienst einschließen kann, sind auch schon einmal Leuchter einfach verschwunden oder werden dreist am Sonntagmorgen eine Stunde vor dem Hochamt gut sichtbar quer über den Kirchplatz weggetragen – in diesem Fall allerdings gestoppt durch meine Sekretärin, die neben der Kirche wohnt und beim Blick aus dem Küchenfenster beim sonntäglichen Frühstück ihren Augen nicht trauen wollte. 

Die herbeigerufene Polizei nimmt regelmäßig alles geduldig auf, leitet es weiter und macht uns darauf aufmerksam, dass am Ende doch alles eingestellt wird. Wenn wir unsere Freunde und Helfer anrufen, heißt es dann: „Einmal wie immer!“ Unser Eindruck korrespondiert mit aktuellen Analysen aus kirchenamtlichen Kreisen.

Just beim Schreiben dieser Zeilen flattert diesbezüglich mitten hinein in meine Recherche ein Artikel von „katholisch.de“, das sich das „Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland“ nennt und von den Bischöfen finanziert wird. Der Text bestätigt meine Ausführungen.

„Immer wieder geraten Kirchen, andere religiöse Gebäude oder Friedhöfe ins Visier von Dieben und Vandalen. In den vergangenen beiden Jahren lag die Zahl der erfassten Fälle von Diebstählen und Sachbeschädigungen bundesweit jeweils im mittleren vierstelligen Bereich, wie aus einer Umfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) unter allen Landeskriminalämtern hervorgeht. Das Problem ist nicht neu – und die Zahlen bleiben seit Jahren relativ konstant.“

Ratlosigkeit und absurde Argumente

Im Hinblick auf die Motivlage ist man indes ähnlich ratlos wie wir. Es gibt eben keine Bekennerschreiben, und die Täter sind stets verschwunden, wenn man den Schaden entdeckt, so dass man sie nicht fragen kann. Die Welt will da schon mehr wissen.

Ebenfalls zeitgleich mit meiner Absicht, mich einmal zu dem Thema zu äußern, erscheint dort der Artikel „Offene Feindseligkeit gegenüber Christentum – Kirche beklagt verschärfte Dimension seit 2015“.

Irgendwie haben wir alle das Bedürfnis, uns zu einem Phänomen zu äußern, das einerseits ein Skandal ist, sich aber andererseits in Ursache und Wirkung eher im Dunklen und abseits der großen Berichtsthemen bewegt. „Aufgebrochene Opferstöcke und umgestoßene, auseinandergebrochene Kerzen waren immer ärgerlich, aber seit etwa 2015 haben wir es mit einer verschärften Dimension zu tun“, wird der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, zitiert. Es gehe nicht um Diebstahl, sondern um gezielte Angriffe auf die christlichen Kirchen.

Und eine Sprecherin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird mit ihrer Einschätzung der Bedeutung des Vandalismus für die Gefühlslage der Gläubigen jenseits der materiellen Ebene zitiert: „Denn das trifft nicht einfach Mauern und Steine, es trifft vor allem die Glaubenden, die sich dort geborgen fühlen. Und es zerstört ein Stück Vertrauen, dass Orte, die allen offenstehen, respektiert bleiben.“

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Um Licht in das Dunkel der Motivlage zu bringen, wird – wie in solchen Fällen üblich – der Experte zitiert: Detlef Pollack, Religionssoziologe. Er kennt den Grund steigender Aggressivität gegen die Kirche(n) und die christliche Religion. Der Deutschen Presseagentur hat er ihn anvertraut: „Das hängt wahrscheinlich mit den Missbrauchsfällen, dem kirchlichen Umgang mit ihnen und ihrer medialen Diskussion zusammen“. Wir hatten es schon geahnt!

Die Welt berichtet des Weiteren von Pollacks Einschätzung, dass eine antireligiöse und antiklerikale Haltung mehr und mehr an Boden gewinne. Diese Tendenz sei wiederum darin begründet, dass es eine in der Bevölkerung steigende Einschätzung gäbe, nach der die christliche Religion eine Gefahr für die Gesellschaft sei. So habe die große Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von 2022 ergeben, dass heute 47 Prozent der Bevölkerung angäben, alles in allem schade Religion der Menschheit mehr als sie nütze.

Bald wird es wieder heißen, Christen hätten Rom angezündet

Oha, denke ich, das kann ja heiter werden. Nicht mehr lange, und Christen werden wieder in Verdacht geraten, Rom angezündet und die Brunnen vergiftet zu haben, weswegen sie ins Gefängnis wandern werden. Gerade kürzlich hatten wir ja ein anfängliches Signal in diese Richtung. Ein Mordsgeschrei erhob sich anlässlich der Warnungen aus Kirchenkreisen, dass mit Frauke Brosius-Gersdorf eine Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht ausgesucht worden war, die entgegen dem in unserer bislang christlich gefärbten Verfassung (noch) verankerten vorgeburtlichen Lebensschutz denselben zu Ungunsten ungeborener Menschen mittels winkeladvokatorischer Schachzüge ans gynäkologische Messer liefern will.

Immerhin gab es hier – in der Masse zu vernachlässigen, aber durchaus hörbar – vereinzelte Stimmen von Bischöfen, die ihre Kritik an die Frau brachten. Wobei jedoch gleich das Fallbeil der Antidiskriminierung herniedersauste, um die Kritiker mundtot zu machen. Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl entschuldigte sich im Anschluss für seine Debattenäußerung, er sei falsch verstanden worden.

Der Aachener Bischof, der sich in unerwarteter Schnelligkeit öffentlich für den Lebensschutz und gegen Brosius-Gersdorf positionierte, kassierte eine öffentliche Distanzierung und Rüge seines eigenen obersten diözesanen Laiengremiums wegen ebendieser katholischen Positionierung: „Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen: Nicht an falscher Stelle in falscher Gesellschaft das Wort von der Menschenwürde erheben“.

Diese Zuordnung der Diskussionsparteien ließ allerdings aufhorchen. Denn der bischöfliche Kritiker sah seine Mannen plötzlich nicht mehr in seinem Boot, sondern in dem der von ihm Kritisierten.

Vandalismus gegen Kirchen und Friedhöfe

Auch die zeitgleiche ritterliche Inschutznahme der umstrittenen Richterin durch den Vorsitzenden des Deutschen Bischofskonferenz wirkte diesbezüglich wie ein Schlag ins Gesicht derer, die sich zu Recht Sorgen um das gegenüber der Reputation einer Juristin weitaus höhere Gut wehrlosen menschlichen Lebens machen.

An dieser Stelle kommt man nun jedoch ins Nachdenken. Denn wenn es stimmt, dass sich aus religionssoziologischer Sicht die Übergriffe auf Kirchengebäude, die Blasphemismen und Verbalinjurien gegen religiös engagierte Menschen und gegen den lieben Gott höchstpersönlich deswegen mehren, weil es eine Zunahme an Aggression gegen Religion als Staatsfeind gibt, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Zankerei über die Berechtigung von Kritik an den das Christentum verjagenden Tendenzen in unserer Gesellschaft mehr als kontraproduktiv. 

Oder diese Zankerei lässt erkennen, dass führende – oder sagen wir besser: tonangebende – Kreise in der Kirche längst selbst in ihrer Metamorphose zur Gläubigkeit an eine säkulare Ersatzreligion in das Lager der Religionskritiker gewechselt sind, von denen die einen mit Sprühdosen und Feuerzeugen und die anderen – bessererzogenen – mit der Gewalt aufgeklärter Selbstabschaffung der christlichen Religion und ihren (Gedanken-)Gebäuden zu Leibe rücken.

Denn der Übergriff des Adam entstand, als er autonom sein wollte

In beiden Fällen wird die Berechtigung für die materielle und ideelle Beschädigung des überkommenen Glaubens aus der Behauptung entnommen, dieser Glaube sei schädlich, weil er verhindere, dass der Mensch Gott sei. Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen, dass dieser Gedanke, der schon im Garten Eden den ersten Vandalismus gegen die Ordnung Gottes verursacht hat, mehr und mehr die Gesellschaft und die Kirche erfasst, sofern diese sich als gesellschaftlichen Ableger betrachtet. 

Denn der Übergriff des Adam entstand, als er es sich nicht verkneifen konnte, autonom sein zu wollen. Die Folgen waren nachhaltig – bis heute. Das Paradies ist beschädigt, die Menschen haltlos, das Leben gefährdet. Wen wundert es da, dass die Orte, an denen Gott als Gott verehrt werden will, die Aggression aller entfesseln, die Ihm das bestreiten, weil sie sich selbst für Gott halten. 

Bedenklich nur, dass es die Kinder Gottes so wenig merken, wie sich auch in ihren Reihen die Zahl jener mehren, deren Zerstörungswerk zwar nicht handgreiflich, dafür aber umso nachhaltiger ist. „Vandalissimo“ sozusagen.

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