Die Grenzen der Polyamorie

Meine Judith und ich führen eine offene Beziehung, jedenfalls was die Technologie anbelangt. Die elektrische Heckenschere, die bei Ästen, die nicht dicker sind als mein kleiner Finger stets eine Atempause einlegt, haben wir jetzt durch ein Verbrennermodell ersetzt, das störungsfreies Säbeln ermöglicht.
Die Kaffeemaschine ist eine einkreisige Italienische mit Kippventil und Rotationspumpe, die alle sechs Monate in die Wartung muss und während dieser Phasen durch eine simple Bialetti ersetzt wird, die wir auf die heiße Herdplatte stellen, und dann kommt der Kaffee hoch. Für mich ein schlagendes Beispiel, dass einfache Konstruktionen den komplizierten überlegen sind.
Was auch zwischenmenschlich gilt. Ein Freund von mir führt sehr offene Beziehungen, was kompliziert ist, wenn es um das Austarieren von Interessen geht. Er nennt es Polyamorie, was signalisiert, dass es schon die alten Griechen so trieben und es somit nicht verwerflich, sondern möglicherweise philosophisch begründbar ist. Wie, ist ihm entfallen, aber er findet es ist auch nicht wichtig, solange er offen damit umgeht. Meine Frau Judith sagt, wenn sie es rausbekäme, würde sie mir alle Hosenbeine abschneiden, womit die Diskussion bei uns dann beendet ist.
Romantische Liebe?
Judith ist Anhängerin der romantischen Liebe. Ich habe neulich gehört, dass das ein Konzept des 18. Jahrhunderts sei, entwickelt von Männern, die die Abende mit Kartenspielen, Alkoholexzessen und willigen Weibsbildern verbrachten, aber ihren Gattinnen erklärten, dass es sich lohne zu warten. Die Armen, die über ihren Stickereien gebeugt saßen, glaubten daran.
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In Wahrheit gebe es keine romantische Liebe. Der Beweis dafür ist das Tierreich. Dort kommt romantische Liebe nicht vor, weibliche Spinnen essen die männlichen nach der Paarung. Und die Affenart der Bonobos vögelt jeden, der bei drei nicht auf den Bäumen ist. Sie haben Sex, um soziale Spannungen abzubauen. „Make love, not war“, heißt ihr Motto, was nicht romantisch, aber ansonsten nicht das Schlechteste ist, finde ich. Die Welt wäre jedenfalls eine bessere. Mit Rücksicht auf meine Hosenbeine diskutiere ich das mit Judith nicht.
Deutsche Technologieoffenheit
Ich weiß, dass es für uns ein bisschen besser ist, dort, wo unser Haus steht, die aufgehende Sonne über dem norditalienischen See zu beobachten, die mit dem achten Glockenschlag der alten Kirchturmuhr ihre goldenen Fluten über unsere steinerne Terrasse schickt. Wo wir auf bunten Stühlen sitzen, den frischgebrühten Kaffee schlürfen und die schon herbstliche Luft tief in uns aufnehmen - bevor der Nachbar dann den Laubbläser zückt.
Ich werde in solchen Fällen künftig die benzingetriebene Zwei-Gang-Heckenschere mit 90-Grad-Winkel-Schneide anwerfen und dem Dorf zeigen, was wahre deutsche Technologieoffenheit bedeutet. Das reicht mir schon.
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