Japans neue Populisten und die Population
Als „Eiserne Lady Japans“ wird sie auch bezeichnet oder auch als „Erzkonservative“. Sanae Takaichi ist seit dem 21. Oktober Japans neue Ministerpräsidentin. Die Vorsitzende von Japans Liberaldemokratischer Partei (LDP) wurde mit 237 Stimmen des Unterhauses des Parlaments ins Amt gehoben. Nötig dafür geworden war eine Koalition mit der liberalkonservativen Innovationspartei (JIP), nachdem die LDP mit der Wahl Takaichis die Unterstützung des langjährigen Koalitionspartners Komeitō verloren hatte.
Allein, die Koalition mit der JIP verschafft der LDP keine Mehrheit im Unterhaus, das insgesamt 465 Sitze zählt. Der Koalition fehlen zwei Stimmen. Am Wochenende vor Takaichis Wahl berichtete die Zeitung Asahi Shimbun aber über ein Gespräch, das Takaichi in Zukunft drei zusätzliche Stimmen einbringen könnte. Takaichi traf sich mit Sōhei Kamiya, dem Mitgründer und Parteichef der erst 2020 gegründeten Sanseitō, die drei Sitze im Unterhaus hält.
Die Sanseitō – was etwa als „Partizipationspartei“ oder „Teilhabepartei“ zu übersetzen ist – steht weiter rechts als die beiden Koalitionäre, problematisiert vor allem Einwanderung sowie gestiegene Lebenshaltungskosten und will die japanische Verfassung kürzen und wieder stärker auf den Kaiser ausrichten. Der 1977 geborene Parteigründer Kamiya nennt als Einfluss für sich westliche rechtspopulistische Parteien wie die britische Reform UK oder die deutsche AfD. Während einer Japanreise im vergangenen August traf der AfD-Ko-Vorsitzende Tino Chrupalla Kamiya zu einer Unterredung.
Aufsehen erregte die Partei, nachdem sie im Juli ihre Sitzzahl im Oberhaus des japanischen Parlaments von einem auf 15 ausbauen konnte. Zwar gaben in einer Umfrage des öffentlich-rechtlichen Senders NHK nur sieben Prozent der Befragten an, dass Migration für sie ein bestimmendes Thema für die Wahl sein würde. Mit geschickter Mobilisierung in den sozialen Medien – die Partei wurde sozusagen als Youtube-Kanal gegründet – gelang es der Sanseitō aber, ihre Themen in den Vordergrund zu stellen.
An der 123 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung Japans Ende 2024 betrug der Ausländeranteil etwa drei Prozent. In den vergangenen 20 Jahren stieg die absolute Zahl der ausländischen Bewohner Japans von zwei auf mehr als drei Millionen an. Hinzu kommen wachsende Touristenzahlen. 2024 bereisten rund 37 Millionen Touristen das Land. Ein Teil der Einheimischen empfindet ausländische Touristen, die sich nicht an implizite Verhaltensregeln der japanischen Gesellschaft halten, als zunehmend störend. Auch die neue Ministerpräsidentin Takaichi behauptete, Touristen hätten schon die zutraulichen Rehe, die sich frei in den Parks der Stadt Nara bewegen, misshandelt.
„Stiller Notstand“
28 Prozent der Befragten in der NHK-Umfrage nannten die Kosten von Reis als wahlentscheidendes Thema. Mit 29 Prozent standen an erster Stelle aber die soziale Sicherheit und die niedrigen Geburtenraten des Landes. Japan gehört zu den ältesten Gesellschaften des Planeten. Fast 30 Prozent der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt. Demgegenüber stehen etwa elf Prozent null bis vierzehn Jahre alte Einwohner. Im Jahr 2024 wurden je Frau im gebärfähigen Alter 1,14 Kinder geboren. Die Lebenserwartung in Japan beträgt im Schnitt annähernd 85 Jahre.
Takaichis Vorgänger im Ministerpräsidentenamt, Shigeru Ishiba (LDP), beschrieb in einer Rede 2024 den demografischen Niedergang als „stillen Notstand“. Ishiba setzte in der Familienpolitik und Geburtenförderung auf finanzielle Entlastungen und arbeitsmarktorientierte Lösungen. Seine Nachfolgerin Takaichi sprach sich in der Vergangenheit für eine ähnliche Politik aus. Vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch begünstigte Betreuungsleistungen sollte gefördert werden.
Die Sanseitō dagegen will laut Programm einen grundlegenden Kulturwandel erreichen. Kinder und Familie sollen wieder stärker ins Zentrum rücken anstatt wirtschaftlicher Erfolg und Karriere. Neben direkten finanziellen Leistungen will die Partei es einfacher machen, Kinder zu Hause zu betreuen, heißt es im Parteiprogramm der Sanseitō. Die Partei setzt sich für eine dreijährige Elternzeit ein und möchte, dass Eltern auch mit nur einem Einkommen eine Familie ernähren können.
Partei spricht Probleme der Geschlechterrollen an
Frauen sollen sich nicht gezwungen fühlen, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen – Gesetze zur Förderung der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt sollen um die finanzielle Förderung von Hausfrauen erweitert werden. Zudem soll es zum Beispiel Richtlinien für Unternehmen geben, wonach Erfahrungen als Hausfrau als Kompetenzen für den weiteren Berufsweg anerkannt werden können. Männern soll es zudem erleichtert werden, sich an der Betreuung von Kindern zu beteiligen.
Die Partei will Kinderbetreuung nicht nur als Aufgabe der Eltern verstehen, sondern auch als Aufgabe des Umfeldes und mehrerer Generationen. So sollen Rentner mit Kinderbetreuungsgeld und Rentenerhöhungen dazu gebracht werden, sich öfter um Kinder zu kümmern.
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Eine geringfügige Rolle in der Geburten- und Familienpolitik nimmt das Thema Abtreibungen ein. In Japan sind Abtreibungen ähnlich wie in Deutschland strafbar, allerdings unter Ausnahmen bis zur 22. Schwangerschaftswoche erlaubt. Abtreibungen werden genehmigt, falls die Gesundheit der Mutter aus medizinischen oder wirtschaftlichen Gründen in Gefahr ist.
Stärkerer Kollektivismus und Ahnenverehrung
Sollte eine Frau verheiratet sein, benötigt sie die Zustimmung des Ehemannes, sofern die Ehe intakt ist und die Frau nicht vom Ehemann misshandelt wird. Auch Vergewaltigungen werden in der Ausnahmeregelung berücksichtigt. Laut einer Statistik des japanischen Gesundheitsministeriums kamen 2024 auf 1.000 Geburten 12,1 Abtreibungen (insgesamt 8.474 Abtreibungen gegenüber 686.173 Lebendgeburten). Besonders viele Abtreibungen gab es im Japan der fünfziger Jahre. Damals pendelten die Abtreibungsraten um die 50 zu 1.000 Lebendgeburten. Auf dem Höhepunkt 1951 wurden auf diese Weise 115.994 Kinder nicht geboren.
Die Sanseitō setzt sich dafür ein, den Schutz des ungeborenen Lebens nicht aufzuweichen. 2023 drückte sie auf ihrer Internetseite Skepsis aus, nachdem die medizinisch begründete Abtreibung mithilfe einer oral eingenommenen Tablette bis zur neunten Schwangerschaftswoche legalisiert worden war. Im Falle einer Entscheidung für eine Abtreibung hält die Partei solche, die ambulant von einem Arzt durchgeführt werden, für sicherer.
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Während sie in Bezug auf Abtreibungen keine höheren Wellen schlägt, verursachte die Sanseitō mit ihren Vorschlägen zum anderen Ende des Lebens eine gewisse Kontroverse. Die Partei will, dass Kosten für lebensverlängernde Maßnahmen wie Magensonden oder künstliche Beatmungen nicht mehr von Krankenkassen übernommen werden. Stattdessen sollen die Patienten oder die Angehörigen solche Maßnahmen selbst zahlen. Die Partei will Patientenverfügungen fördern, die Patienten früh genug und ohne Druck eine „angemessene“ Entscheidung für oder gegen lebensverlängernde Maßnahmen ermöglichen soll, heißt es im Parteiprogramm.
Man kann dies als Widerspruch dazu werten, dass die Partei in ihrem Entwurf einer neuen Verfassung stark auf die Verehrung der Ahnen pocht. Demnach möchte die Partei weg von einem Gesellschaftsbild, das das Individuum ins Zentrum stellt und bei dem die Herrschaft vom Volk ausgeht. Stattdessen will die Sanseitō die Rolle des Kaisers wieder stärker ins Zentrum rücken. Sie bezeichnet diesen auch als „heilig“ oder „göttlich“.
Eine kurzlebige Erscheinung?
Auch verwendet die Sanseitō in der Präambel des Verfassungsentwurfs den Begriff kokutai, der den Ausdruck eines japanischen Nationalwesens bezeichnet – und die Basis für nationalistische Strömungen und Denkweisen seit dem 19. Jahrhundert war. Ebenso gründeten in diesem Nationalwesen der Militarismus und teilweise Fanatismus, die Japan in den Zweiten Weltkrieg stürzten.
Mit der Nachkriegsverfassung, die maßgeblich von der Siegermacht Amerika beeinflusst ist, wurde der Kaiser zum repräsentativen Symbol für den japanischen Staat degradiert und die Volksherrschaft eingesetzt. Damit einher gingen auch Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat. Eine Garantie dieser, wie etwa das Recht der Glaubensfreiheit, das die derzeitige japanische Verfassung in Artikel 20 schützt, fehlt im Sanseitō-Entwurf.
Ob die Sanseitō je ihre Vorstellungen umsetzen kann, ist fraglich. Sollte Sanae Takaichi zentrale Argumente der Partei mit eigenen Maßnahmen entkräften können, bliebe die Sanseitō wohl eine kurzlebige Erscheinung. Dass Sanae Takaichi mit 237 Stimmen im Unterhaus gewählt wurde, ist zudem ein Indikator dafür, dass sie nicht zwingend auf Stimmen der Sanseitō angewiesen sein wird. Offenbar sind auch andere Mehrheiten möglich.
› Weiterführende Links: Die Einsamkeit der Jungen, Ansprüche von Frauen und alternative Ansätze in der Familienpolitik
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Kommentare
Auch wenn sich die japanische Kultur deutlich von der unseren unterscheidet, könnte man sicher einiges aus der japanischen Politik als Blaupause für uns verwenden, insbesondere was die Migrationspolitik angeht. Wenn ich es richtig im Kopf habe: Japan nimmt pro Jahr etwa 300 Asylanten auf. Diese bekommen nicht Sozialleistungen wie bei uns, sondern müssen sich selbst versorgen. Nach einiger Zeit müssen sie dann wieder gehen. So etwas wie Integration oder Einbürgerung ist nicht vorgesehen, da man die eigene Kultur schützen will. Bei Arbeitsmarktmigration wird analog verfahren: Der Schutz der eigenen Kultur steht im Vordergrund.
Ist das extremistisch? Nein, das ist einfach eine normale Migrationspolitik, bei der die Prioritäten richtig sortiert sind. Extremismus hat etwas mit Hass zu tun. Deshalb ist eher unsere Migrationspolitik als extremistisch zu bezeichnen, da sie vom Hass auf die eigene Kultur motiviert ist.
Ich sehe politische Maßnahmen skeptisch. Solange sie nicht radikal durchgesetzt werden, bringt das nichts. Und wer möchte schon, dass der Staat in die Betten hineinlugt und hineinregiert?