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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Herr und Meister der Bürger

Je nach Größe der Kommune wird der Vorsitzende der lokalen Regierung in der Schweiz Stadt- oder Gemeindepräsident genannt. In Deutschland und Österreich haben wir es hingegen mit Bürgermeistern zu tun. Oder gar mit Oberbürgermeistern. Darüber macht man sich selten Gedanken, weil es schon lange so ist. Aber teilt man das Wort in seine Hälften, kann einem mulmig werden. Der Meister der Bürger? Was genau soll das sein? Eine Art Herrscher über seine Untertanen? Es klingt schwer nach „Master and slaves“ aus dunkelsten Zeiten der Geschichte.

Derzeit sind Auswüchse zu beobachten, die vermuten lassen: Einige Amtsinhaber verstehen ihren Titel wörtlich. Sie sagen den Bürgern, was diese zu denken haben, was sie zu interessieren hat, was sie sich anhören und ansehen dürfen – und was nicht.

Es geht um den Schweizer Historiker Daniele Ganser, einen Wissenschaftler und Bestsellerautor, der seit einigen Jahren in Ungnade gefallen ist. Seine Befunde und Thesen zu kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt, zu Terrorismus, zu Nato und Co. gefallen nicht allen. Derzeit bereist er die Länder mit einem Vortrag zum Krieg in der Ukraine. Und auch dort kommt er zu anderen Schlüssen, als sie uns täglich von den großen Medien serviert werden. Damit hat er sich das Prädikat „umstritten“ verdient, das heute inflationär verwendet wird.

Ganser mietet für seine Tour Vortragshallen, die meist ausgebucht sind. Davon lebt er unter anderem, immerhin verlor er zuvor Lehraufträge an Universitäten und muss vermutlich doch auch Nahrung zu sich nehmen und braucht ein Dach über dem Kopf. Nun gibt es aber Bürgermeister, die ihm diese Lebensgrundlage wieder entziehen möchten, indem sie Veranstaltungen absagen. Also unterschriebene Verträge brechen durch ein nachträgliches Verbot des bereits vereinbarten Anlasses.

Wenn der Bürgermeister sagt, was den Bürgern zuzumuten ist

Manchmal gelingt das direkt, weil der Historiker in einer gemeindeeigenen Halle auftreten wollte. Manchmal setzt der Bürgermeister bei einem privaten Veranstalter sanften Druck auf, indem er seine Macht mit einer „Empfehlung“ ausspielt. Unter anderem in Innsbruck und Dortmund musste Ganser neue Lokalitäten suchen, aber fast überall, wo ein Auftritt geplant ist, läuft derzeit die entsprechende Debatte mit ungewissem Ausgang.

Die Begründung für diesen Eingriff: Die Thesen des „umstrittenen“ Mannes haben nichts verloren auf Gemeindegebiet. Will heißen: Der Bürgermeister sagt seinen Bürgern, was ihnen zuzumuten ist und was nicht. Eine Kommune ist neuerdings also eine Art geschützte Werkstatt, in der man die Bewohner von Dingen fernhalten muss, die sie belasten könnten. Oder besser: von denen die Politik nicht will, dass sie laut ausgesprochen werden.

In der Schweizer Stadt Kreuzlingen, direkter Nachbar von Konstanz, ist der Vortrag von Daniele Ganser im Mai geplant. Stand heute darf er stattfinden. Der Stadtrat diskutierte das Thema und kam einstimmig zum Schluss, dass nichts dagegenspricht; eine Stadträtin erklärte sogar öffentlich, sie werde den Anlass besuchen, sie sei neugierig darauf. Immerhin wird dann mal ein Regierungsmitglied wirklich gehört haben, was Ganser sagt. Das ist nicht anzunehmen von denjenigen, die ihn wieder ausladen. Denen reicht das Gerede über angebliche „Verschwörungstheorien“ als Grundlage für überstürzte Entscheidungen.

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Die Schweizer haben eine andere Wahrnehmung von Amtspersonen

In zu viel Optimismus sollte man nun aber nicht verfallen. Bis Mai ist noch lange hin. Es könnte ja sein, dass empörte, selbsternannte „Antifaschisten“ aus Konstanz schon bald ankündigen, an dem Abend in Kreuzlingen vorbeizuschauen. Dann käme wohl das gute alte „Wir können die öffentliche Sicherheit nicht garantieren“ zum Zug, das eine Absage „im Interesse der Beteiligten selbst“ ermöglich würde.

Die grassierende Cancel Culture unter privaten Veranstaltern, die nicht riskieren wollen, in die Schlagzeilen zu geraten, ist das eine. Wenn ein gewähltes Gemeindeoberhaupt aber den Bürgern sagt, was sie dort, wo sie Steuern zahlen, hören dürfen und was nicht, ist das eine ganz andere Liga. Schön, dass eine Schweizer Stadt da nicht mitmacht, während in Deutschland die Bereitschaft groß ist, die Meinungsfreiheit auszuhebeln.

Aber vielleicht ist das auch kein Zufall. Die Schweizer haben wohl eine andere Wahrnehmung von Amtspersonen. Wir wissen: Die sind von uns Bürgern bezahlt und haben unsere Interessen zu wahren. Nichts anderes. Schon gar nicht „Meister“ spielen. Und aus dem Alter, in dem uns jemand zu sagen hat, welche Informationen wir aufnehmen sollen und welche nicht, sind wir Steuerzahler ja auch schon raus.

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