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TV-Kritik „Talk im Hangar-7“

„Im Umgang mit Andersdenkenden zeigt sich der Charakter“

Hatten Sie vom Suizid des österreichischen Autors und, laut Wikipedia, einen der „bekanntesten Corona-Impfskeptiker im deutschsprachigen Raum“ Clemens Arvay gehört? Vermutlich nicht. Die österreichischen Medien berichteten spärlich davon, die deutschen überhaupt nicht. Am Donnerstagabend war es ein Hauptthema in der ServusTV-Gesprächsrunde „Talk im Hangar-7“ mit dem Titel „Tyrannei der Selbstgerechten: Nur noch eine Meinung erlaubt?“

Warum der Doktorand, der politisch links stand, von dem Felsen sprang, sei nicht sicher, sagt Psychiater Raphael Bonelli, der zwischen 2020 und 2021 intensiven Kontakt mit dem 42-Jährigen hatte. Sicher ist für ihn aber, dass der Tod Arvays mit „dieser langen Zermürbung“ zu tun hat, „dass sein Ruf vernichtet wurde“ und dass ihm nicht mit Argumenten, sondern mit „Schmähbegriffen“ begegnet worden sei. Arvays Mutter habe dem Psychiater in einem Telefonat gesagt, ihr Sohn habe eine Art Abschiedsbrief hinterlassen, in dem stehe: „Die machen mich fertig, ich habe Angst, dass sie noch mehr über mich schreiben“

Doch nicht nur beim Thema Corona wurden Menschen diskreditiert, die die politisch korrekte Meinung nicht teilten. Betroffen sind auch solche, die gegen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine sind. Das Problem sei, sagt die Publizistin Birgit Kelle, dass man nicht argumentativ vorgehe, sondern ad personam, also die Person angreife.

Die Rückkehr starker Ideologien

Die Initiatorin des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“, Sandra Kostner, zitierte in dem Zusammenhang die Allensbach-Studie von 2021, die zu dem Ergebnis kommt, dass nur 45 Prozent der Befragten das Gefühl haben, die politische Meinung zu bestimmten Themen könne frei geäußert werden. Das sei der niedrigste Wert in der Allensbach-Umfrage seit 1953. Die Macht, Meinungen zu diktieren, hätten „diskursmächtige Eliten“ wie Medien oder Politiker.

Besonders bei Themen wie Klimawandel, Migration, Corona oder Islam würden Menschen mit anderen Meinungen vom Diskurs ausgeschlossen. Die Historikerin und Soziologin führt dies zurück auf „die Rückkehr von starken Ideologien, die ersatzreligiöse Züge angenommen haben“. Doch gerade „im Umgang mit Andersdenkenden zeigt sich der Charakter“, konstatierte Kostner.

Schnell kam in der Diskussion die Frage nach den sozialen Medien ins Spiel. Der österreichische Kulturjournalist Heinz Sichrovsky plädierte für strengere Gesetze, die Facebook und Co. einhegen sollen. Hier hielt Birgit Kelle zu Recht dagegen, denn: Wer bestimmt denn, was gepostet werden dürfte und was nicht? „Hatespeech“-Gesetze seien gefährlich, denn diese könnten in Konflikt mit der Meinungsfreiheit kommen. Kommentare, die beispielsweise Besorgnis darüber ausdrücken, dass pubertierende Jugendliche ohne ärztliche Bestätigung Hormone zu sich nehmen dürfen, könnten schnell als „transphob“ gelten und unter „Hassrede“ fallen.

Für den Psychologen Bonelli ist ganz klar: In unserer Gesellschaft gebe es die „Tendenz zur Fremdabwertung und Selbstidealisierung“. Wir „schlitterten in die narzisstische Gesellschaft“, sagt er.

Studie bestätigt Diskriminierung Ungeimpfter

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Bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit der beschlossenen Corona-Verordnungen der vergangenen Jahre gingen die Meinungen weit auseinander. Die österreichische Ex-Grünen-Vorsitzende Eva Glawischnig, die unter anderem wegen übler Beleidigungen in sozialen Medien 2017 zurückgetreten war, hält die von Parlament und Regierung beschlossenen Corona-Verordnungen für legitim. Sie seien schließlich in einem rechtsstaatlichen demokratischen Verfahren beschlossen worden.

Dem Hinweis, dass es „Diskriminierungen“ gegenüber Ungeimpften gab, wie die anderen Talkshow-Gäste festhielten, stand sie skeptisch gegenüber. Dem hielt Bonelli mit einer Studie aus dem Fachblatt Nature entgegen, die leider kaum mediale Beachtung fand. Sie bestätigt, dass es eine weltweite Diskriminierung von Ungeimpften gegeben habe, außer in Ungarn und Rumänien, die der Diskriminierung von Ausländern und Minderheiten gleichkomme. Hingegen hätten die Ungeimpften kaum bis nicht diskriminiert.

Koster fügte an dieser Stelle hinzu, dass „Wissenschaft kein monolithischer Block“, sondern dynamisch sei. Sie zeichne sich durch Zweifel und Falsifizierbarkeit aus. Daher sei Wissenschaft per se ein schlechter Ratgeber, um politische Entscheidungen zu treffen.

In die Runde wurde auch die Frage geworfen, warum denn gerade eher links orientierte Personen, aber auch Politiker und Parteien, so eine Lust an der Denunzierung hätten. Kulturjournalist Sichrovsky, der sich selbst als Linker bezeichnet, bemerkt: „Meine linken Freunde sind von einer Intoleranz, von einer dogmatischen Denunziationsgier, die ihresgleichen sucht“. Das sind ehrliche Worte eines Linken.

Es zeigt aber auch den Graben zwischen „klassischen“ Linken älterer Semester, zu denen Sichrovsy mit seinen 68 Jahren sicher zählt, und der jüngeren Linken, denen es nicht mehr um ein hartes Ausdiskutieren von Themen geht, sondern eine Einteilung der Welt in Gut und Böse.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Zum Schluss der Diskussion erwähnte Birgit Kelle noch die von der grünen Familienministerin Lisa Paus geförderte „Meldestelle für Antifeminismus“, die eine Denunziationsmeldestelle par exellence sei. Viel konnte die Ex-Grünen-Chefin damit nicht anfangen. Sie konterte damit, dass es doch Rekorde bei Femiziden in Österreich gebe, noch immer Gewalt gegen Mädchen und Einkommensunterschiede bei den Geschlechtern. Hier wurde deutlich, dass Glawischnig anscheinend nicht viel Ahnung von der aktuellen deutschen Debatte hat. Denn ansonsten wüsste sie, dass die Meldestelle mit klassischen feministischen Anliegen nichts zu tun hat.

Für den Psychologen Bonelli liegt das Problem bei der „hoffähig“ gewordenen Denunziation in dem verbreiteten Denken, dass der Zweck die Mittel heilige. Früher habe man noch über Dinge lachen können und mehr Humor an den Tag gelegt.

Eine schnelle Lösung aus dem verbreiteten Sich-Empören und dem Ausschließen anderer Meinungen sieht Soziologin Sandra Koster nicht. „Es hängt von jedem Einzelnen ab“, sagt sie. Besonders Medien und Politiker müssten aber eine andere Mentalität vorleben – genau wie jene Journalisten, die sich in „Haltungsjournalismus“ verstrickt hätten.

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