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Cancel Culture

Das falsche Spiel der Meinungsmafia

Was sind die Grenzen der Rede- und Meinungsfreiheit? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt aufgrund der grassierenden Boykottunkultur unserer Zeit immer wieder aufs Neue. Uwe Tellkamp etwa hat seine Kritik an der Verengung der Meinungskorridore mit einer Reihe gesinnungsbasierter Verrisse seines lange erwarteten Romans „Der Schlaf in den Uhren“ bezahlen müssen.

Dass die Aufrufe zum „Canceln“ vor allem von links kommen, sollte aber nicht blind dafür machen, dass auch Konservative unter Umständen befürworten können, dass bestimmte Dinge nicht gesagt werden – oder zumindest nicht überall: Spätestens wenn die Dragqueen zur Vorlesestunde in die Kinderbücherei eingeladen wird, sind auch für viele Konservative die Grenzen der Redefreiheit erreicht. Aber auch auf anderen Gebieten können Konservative für eine Einschränkung des Sagbaren eintreten.

So hat Martin Mosebach vor einigen Jahren einem rechtlichen Blasphemieverbot klug das Wort geredet. Überhaupt ist der Gedanke, dass nicht alles zur Verfügungsmasse menschlicher Willkür verkommen darf, eine konservative Grundüberzeugung. Der Konservative weiß, dass es Werte und Mächte gibt, die uns übersteigen und daher von uns auch mit der entsprechenden Ehrfurcht behandelt werden sollten.

Sprechen kann schwerwiegende Konsequenzen haben

Zumindest rechtlich gesehen wird die freie Rede ohnehin überall auf dieser Welt beschränkt. In Deutschland findet das Recht auf Meinungsfreiheit laut Artikel 5, § 1 des Grundgesetzes seine Grenze „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“.

Aber auch im Land der vermeintlich grenzenlosen Redefreiheit, den USA, kann nicht immer alles gesagt werden: Konkrete Handlungsaufforderungen, die unmittelbar gesetzeswidriges Verhalten zur Absicht und Folge haben, sind verboten. Wer um Chaos zu erzeugen, in einem vollbesetzten Theater „Feuer!“ schreit, hat in Amerika ebenso die Grenzen des rechtlich Sagbaren überschritten wie jemand, der zu einem Mord aufruft. Wie man dieses Jahr am Beispiel des Rechtsstreits zwischen Johnny Depp und seiner Exfrau Amber Heard mitverfolgen konnte, hat die Redefreiheit in den USA auch zivilrechtliche Grenzen, etwa wenn eine Frau ihren Mann in der Öffentlichkeit auf rufschädigende Weise schwerer Misshandlungen bezichtigt, die er nicht begangenen hat.

Philosophisch erklärt sich der Umstand, dass der freien Rede juristische Grenzen gesetzt werden müssen, dadurch, dass unser Sprechen selbst eine Art des Handelns ist und mitunter schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Man denke nur an performative Akte wie die Eheschließung: Wer von einem Priester oder einem Standesbeamten zu Mann und Frau erklärt wird, ist auch Mann und Frau.

Rede kann aber auch zu Chaos und Gewalt anstacheln, sie kann verleumden und – besonders im Fall von Kindern – indoktrinieren und verstören. Ist diese Feststellung aber nicht Wasser auf die Mühlen all jener, die „Hate Speech“ schreien, sobald sie sich in ihren Gefühlen verletzt sehen – und sei es durch eine nüchterne Tatsachenfeststellung? Nötigt das Zugeständnis, dass die Freiheit der Rede aufgrund des Handlungscharakters der Sprache nie absolut sein kann, nicht dazu, in den Chor derjenigen einzustimmen, die das schrille Lied des Cancelns auf den Lippen tragen?

Zwei Arten der Redeeinschränkung

Die Antwort lautet: nein. Denn aus der Tatsache, dass es keine absolute Redefreiheit gibt und auch nicht geben sollte, folgt logisch gesehen nicht, dass auch die von der Cancel-Culture befürworteten Einschränkungen richtig sind. Nur weil man nicht alles sagen können sollte, bedeutet es nicht, dass auch die Dinge unausgesprochen bleiben sollten, die den woken Meinungswächtern ein Dorn im Auge sind. Einschränkungen der Meinungsfreiheit brauchen gute Gründe und diese kann die Political Correctness nicht liefern.

Um den unseligen Trend zur Redeeinschränkung besser zu verstehen, ist es hilfreich, zwei Arten davon zu unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es die Versuche, bestimmte Aussagen als „Hassrede“ zu kriminalisieren und unter Strafe zu stellen. Auf der anderen Seite stehen die Bemühungen, normale Meinungsäußerungen als extrem und daher moralisch unzulässig zu diffamieren.

Die vergifteten Früchte der Kriminalisierungsstrategie kann man beispielhaft am Schicksal des Kanadiers Robert Hoogland beobachten, der aufgrund seiner Weigerung, seine minderjährige Tochter, die sich einer Hormontherapie unterzogen hatte, als „er“ und „Jungen“ anzusprechen, 2021 zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Warum der Satz „Hass ist keine Meinung“ unwahr ist

Kanada mag weit scheinen, aber auch in Deutschland wird angesichts unliebsamer Feststellungen inzwischen gerne die Floskel vorgetragen, Hass sei keine Meinung. Als erstes ist natürlich einzuwenden, dass Aussagen, die jemand nicht hören möchte, nicht automatisch Ausdruck von Hass sind. Hoogland kämpft für seine Tochter als Tochter natürlich, weil er sein Kind liebt – alles andere gelte es erst zu beweisen. Außerdem kann selbst Hass Bestandteil einer legitimen Meinungsäußerung sein, wie z. B. dass Gott die Sünder liebt, aber die Sünde hasst.

Der Satz „Hass ist keine Meinung“ suggeriert dagegen eine dreifache Unwahrheit: Erstens seien bestimmte Aussagen per se mit Hass gleichzusetzen, zweitens gehöre Hass unter allen Umständen geächtet und drittens genieße etwas, das keine Meinung ist, selbstredend auch nicht den grundgesetzlich garantierten Schutz der Meinungsfreiheit.

In diesem Sinne verkündete der Queerbeauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann in Reaktion auf die – nüchtern betrachtet – recht zahmen Thesen einiger Wissenschaftler, die in der Welt unter anderem behauptet hatten, es gebe zwei biologisch fundierte Geschlechter: „Transfeindlichkeit ist keine Meinung.“

Rufschädigungen durch bornierte Mundtotmacher

Dort, wo es noch keine Gesetze gegen die Verlautbarung missliebiger Wahrheiten gibt, gehört die Deklaration einer Äußerung zur hasserfüllten Unmeinung zur zweiten der oben genannten Cancel-Strategien: Anthropologische Selbstverständlichkeiten, die seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, als solche anerkannt sind, sollen nun als extreme Ansichten diffamiert und moralisch delegitimiert werden. Wer darauf beharrt, dass Männer nicht schwanger werden können, oder wer in Frage stellt, dass Masseneinwanderung gedeihlich für ein Gemeinwesen ist, gilt wahlweise als transphob oder rechtsradikal.

Wenn die bornierten Mundtotmacher sich dabei auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie mit solchen Wertungen ja niemanden kriminalisierten, jeder also durchaus seine Meinung sagen dürfe, aber Meinungsfreiheit eben nicht bedeute, keinen Widerspruch zu erfahren, dann ist das bloße Augenwischerei. Denn die Markierung normaler Äußerungen als „rechtsextrem“, „menschenverachtend“, „faschistisch“ etc. zielt allein auf fundamentale Rufschädigung und damit auf die Zerstörung der bürgerlichen Existenz dessen, der sich traut, im Namen des Common Sense Widerworte zu geben.

Die Gesellschaft sollte sich nicht auf dieses falsche Spiel der woken Meinungsmafia einlassen.

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