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KOLUMNE „DER SCHWEIZER BLICK“

Kaum mehr Werte, dafür Party

Als Partylöwen gelten Schweizer im Allgemeinen nicht. Hier wird gearbeitet, und wenn danach ausnahmsweise Zeit für ein kurzes Bier bleibt: Wohlan. Erst 1994 wurde der Nationalfeiertag am 1. August zum allgemeinen Feiertag erhoben. Dafür brauchte es eine Volksinitiative aus den Reihen der rechten Minipartei „Schweizer Demokraten“. Der geschenkte freie Tag wird vermutlich von vielen arbeitsamen Schweizern nun eben für eine Runde Homeoffice genützt.

Knapp 30 Jahre später soll plötzlich gar ein zweiter Nationalfeiertag installiert werden. Der 1. August wurde einst, vom exakten Datum her eher willkürlich, gewählt, um den Bundesbrief von 1291 zu würdigen, die Gründungsurkunde der Eidgenossenschaft. Mit dem 12. September könnte nun eine Ehrung des Gründungstags des Bundesstaats im Jahr 1848 dazu kommen.

Zu verdanken haben wir das einem Vorstoß, der an einer Sondersession des Parlaments beraten wurde. Diese dient dazu, den Berg an Geschäften abzutragen, für die in den ordentlichen Sitzungswochen keine Zeit bleibt. Die Idee eines zweiten Nationalfeiertags dokumentiert eindrücklich, warum das Parlament überlastet ist. Nicht aufgrund wichtiger Traktanden, sondern weil bei einigen Volksvertretern die Kreativität überbordet. Man muss schon sehr geübt darin sein, die echten Probleme des Landes auszublenden, um sich einfallen zu lassen, einen zweiten Nationalfeiertag einzuführen.

Nichtsdestotrotz war der Nationalrat Feuer und Flamme für ein weiteres verordnetes Volksgelage pro Jahr. Die zweite Kammer, der Ständerat, muss noch darüber befinden. Das verschafft etwas Zeit für grundsätzliche Fragen. Die wichtigste: Was soll das Ganze?

Einst bewundert, nun Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit

Ohne Frage war die Gründung des Bundesstaats mit der ersten Verfassung der weit größere Meilenstein als ein Stück Pergament, auf dem sich einige Beteiligte ewige Treue schworen. Aber die Schweiz ist bereits mit dem 1. August überfordert. Abseits von Feiern, an denen Politiker die immer gleichen Phrasen dreschen, bevor sich die Bevölkerung an Festbänken über Kartoffelsalat und Würste hermacht, hat schon der bestehende Nationalfeiertag kaum eine Bedeutung. Gefeiert wird, was längst verschwunden ist. Wozu also einen zweiten?

Im Rekordtempo hat sich das Land in den vergangenen Jahren vom einstigen international bewunderten Sonderfall zu einem Staat wie jeder andere entwickelt. Er steht zwar in einigen Fällen außen vor, beispielsweise bei der Europäischen Union, überschlägt sich aber in Demut vor dieser, gibt eigene Rechte her und ist weltmeisterlich, wenn es darum geht, internationale Verträge zu unterzeichnen, welche die Souveränität untergraben.

EU-Sanktionen gegen Russland? Die Schweiz ist dabei. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) will sich zum globalen Herrn über Pandemien aufschwingen inklusive ganz realem Bestimmungsrecht? Warum denn nicht, findet die Regierung. Einige Nachbarn haben ein Problem mit dem Status der Neutralität der Schweiz? Dann weichen wir sie eben auf oder dehnen sie bis kurz vor den Zerreißpunkt, schliesslich wollen wir geliebt werden.

Nicht Party, Rückbesinnung wäre angesagt

Das hohe Lied auf Unabhängigkeit und Souveränität, das am 1. August gesungen wird, wirkt angesichts dieser Erscheinungen wie eine Satire. Ein zweiter Nationalfeiertag würde damit höchstens dem Zweck dienen, das, was längst nicht mehr existiert, ein weiteres Mal zu bejubeln. Politiker, die das Erfolgsmodell der Schweiz loben und sich für dessen Erhalt stark machen, haben offenbar nicht mitgekriegt, dass dieses längst aufgegeben wurde.

Statt das, was der 1. August symbolisieren sollte, für die Reflexion über Werte und Wurzeln zu nutzen und diesen im politischen Alltag nachzuleben, wollen die Parlamentarier dem Volk nun einen zweiten freien Tag schenken. Möglicherweise kommt das bei einem Teil der Leute gut an. Diese hätten aber wesentlich mehr davon, wenn an die Stelle von abgehobenen Ansprachen Taten treten würden. Davon ist die Schweiz weit entfernt.

Übrigens wurde an der bewussten Sondersession auch ein Verbot von Nazi-Symbolen beschlossen. Das passt irgendwie. Statt sich zu fragen, warum die Staatsverdrossenheit zunimmt und extremistische Positionen Zulauf haben, stellt man einfach die Verwendung von Symbolen unter Strafe, überlastet die Gerichte zusätzlich und motiviert unterbeschäftigte Bürger, Polizei zu spielen. Einem Land, das Zeit hat für solche Vorstöße, muss es wirklich sehr, sehr gut gehen.

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