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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Sieg der fremden Richter

Es wird bald Selbsthilfegruppen für Satiriker geben. Der Berufsstand leidet. Was soll man denn noch persiflieren, parodieren oder auf andere Weise auf die Schippe nehmen, wenn die Realität einfallsreicher ist als jede Vorstellungskraft?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat vergangene Woche ein Urteil gegen die Schweiz gesprochen. Diese – also ihre Regierung, das Parlament und andere Instanzen – habe es versäumt, den Klimawandel genügend zu bekämpfen. Damit sei das Menschenrecht von älteren Frauen auf ein Privat- und Familienleben verletzt worden. Denn diese litten unter steigenden Temperaturen.

Was klingt wie ein posthum entdeckter Sketch von Loriot, ist wirklich so geschehen. Die sogenannten Klimaseniorinnen waren vor Gericht siegreich mit ihrer Klage. Wobei eigentlich die Umweltorganisation Greenpeace triumphiert hat. Sie hatte die Idee und suchte danach gezielt betagte Damen, weil sie davon ausging, dass diese am ehesten mit der kruden Idee des Thermometers als Beleg für Menschenrechtsverletzung durchkommen würden.

Das Klima stoppt nicht an der Grenze

Der Gerichtshof hat sich früher mit Folter, Todesstrafe und anderen staatlich verordneten Untaten beschäftigt. Offenbar geht ihm in diesen Bereichen die Arbeit aus, nun musste ein angenehmes Klima neu in den Katalog der Menschenrechte. Das Urteil ist ein schlechter Witz. Die Klimaseniorinnen – der Altersschnitt liegt bei 73 Jahren – werden im Sommer auch schwitzen, wenn die Schweiz alles verbietet, was CO2 erzeugt. Das Klima wird nicht in Chiasso oder bei Kreuzlingen nach dem Pass gefragt und dann von der Grenze weggewiesen. 

Aber in der Schweiz macht man sich noch ganz andere Sorgen. Wenn eine europäische Instanz dem Land Klimamaßnahmen verordnen kann, was liegt dann noch alles in seiner Macht? Stellt der Gerichtshof vielleicht schon bald mal fest, dass ein Monatsgehalt unter 6.000 Franken eine Menschenrechtsverletzung darstellt und zwingt die Schweiz zu einem Mindestlohn? Man kann über die Vorstellung lachen, ratsam ist es nicht. Denn seit April 2024 ist buchstäblich alles denkbar.

Vielleicht hatten die Richter das nicht vor, aber sie haben mit ihrem Urteil die Politik ganz konkret beeinflusst. Derzeit sprechen die Schweiz und die EU über neue Rahmenbedingungen für ihre Zusammenarbeit. Seit 25 Jahren gibt es bilaterale Abkommen, die vieles regeln. Mit einem neuen Vertragswerk soll es zu einer größeren Annäherung kommen.

Was passiert mit den Volksrechten?

Kritiker monieren, dass sich die Schweiz damit der EU noch stärker ausliefere und künftig gezwungen wäre, in noch mehr Bereichen europäisches Recht zu übernehmen. Die Angst vor „fremden Richtern“ ist in der Schweiz ausgeprägt. Vor allem, weil diese die größte Errungenschaft des Landes unterlaufen können: die direkte Demokratie. Was wird aus klaren Volksentscheiden, wenn diese den Inhalten des Pakts mit der EU zuwiderlaufen? Kann die Schweiz danach ihre Politik als souveräne Nation überhaupt noch selbst steuern?

Vermutlich eben nicht. Genau das zeigt nun das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Schweiz hat in den letzten drei Jahren zwei Mal über Vorlagen rund um den Klimaschutz abgestimmt. Der eingeschlagene Weg ist also demokratisch legitimiert. Nun sagt ein Gericht im fernen Straßburg, dass das alles nicht reicht und die Schweiz mehr zu leisten hat. Als Unterzeichnerin der Menschenrechtskonvention und Mitglied des Europarats muss die Schweiz dem Urteil nachkommen. Womit die Volksabstimmungen der Vergangenheit im Nachhinein zur reinen Show verkommen.

Man muss kein Prophet sein für die Prognose, dass sich die anstehenden Gespräche mit der EU nun schwieriger gestalten werden. Auch wenn die politische Kaste ganz wild darauf ist, sich bei Anlässen in Brüssel am Apéro Riche zu verköstigen: Das Volk ist seit einigen Tagen nun definitiv misstrauisch, und es hat das letzte Wort, wenn es um ein neues Abkommen mit der EU geht. Zu deutlich war das Signal, dass die Schweiz kuschen muss, wenn Europa das verlangt. Wer will sich da schon noch tiefer in den Höllenschlund begeben?

Deutschland als nächste Station

Positiv formuliert kann man zum Schluss kommen, dass die Richter in Straßburg der Schweiz indirekt einen Gefallen getan haben. Sie ist nun aufgewacht und hat erkannt, dass die direkte Demokratie schon bald zur Folklore werden könnte. Greenpeace und die instrumentalisierten älteren Damen haben es geschafft, dem Land einen neuen Weg in der Klimafrage zu diktieren. Ein Urteil, das nur politisch und nicht mit dem gesunden Menschenverstand zu erklären ist. Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte.

Das alles ist übrigens nur scheinbar lediglich eine Posse aus der kleinen Schweiz. Die Entscheidung dürfte in anderen Ländern zum Präzedenzfall werden. Es ist eine Frage der Zeit, bis Umweltorganisationen auch in Deutschland beschließen, in Altersresidenzen und Pflegeheimen auf die Pirsch nach betagten Damen zu gehen, die sie für ihre Ziele vorschieben können. Eine öffentliche Scharade wird der nächsten folgen – und vermutlich erfolgreich sein.

 

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