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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Ungeliebter Geburtstag

Am 4. Juli werden die Vereinigten Staaten von Amerika alljährlich zur Festbude. Paraden, Luftballons, Blaskapellen und ein Barbecue in fast jedem Garten. Trump? Biden? Links? Rechts? Wen kümmert es. Das Land feiert Geburtstag, es gehört allen gleichermaßen, einiges läuft gut, anderes schlechter. Aber gefeiert wird.

In der Schweiz sieht es anders aus. Sie begeht ihren Nationalfeiertag am heutigen 1. August. Ausdrücklich begehen, nicht feiern. Klar gibt es das eine oder andere Feuerwerk, Festbänke, Wurst, Brot und Bier. Aber das meiste davon bekommt man auch am Unterhaltungsabend des lokalen Turnvereins. Mit Ausnahme der Reden irgendwelcher Politiker, auf die keiner wartet und die man einfach erträgt.

Pflichtschuldig werden Schweizer Fahnen gehisst, gemeinsam singt man die Landeshymne beziehungsweise die erste Strophe, weil niemand die zweite kennt. Immer wieder gab es Vorstöße, eine neue Hymne zu küren, weil die alte textlich sperrig und in puncto Melodie eher ein Grablied ist. Aber es ist schlicht niemandem wichtig genug, das ernsthaft weiterzuverfolgen.

Der „Feiertag“ als Zankapfel

Statt einer ausgelassenen Feier ist der 1. August ein permanenter Streitpunkt. Ist das Datum überhaupt richtig gewählt oder müsste man den Geburtstag der Schweiz historisch betrachtet nicht eher irgendwann im September abhalten? Warum darf eine Partei öfter den Festredner auf der Rütliwiese, dem Entstehungspunkt der Schweiz, stellen als eine andere? Verwaltet wird die besagte Wiese von einer gemeinnützigen Gesellschaft. Die machte jüngst Schlagzeilen mit Scharmützeln im Vorstand und dem Rauswurf eines unbequemen Mitglieds. Das klingt nicht besonders würdevoll. Aber es ist wenig überraschend, wenn man die Führung des Vereins einem Politiker übergibt.

Die Schweizer Geschichte ist voll von erinnerungswürdigen Ereignissen. Nicht alle sind besonders ruhmreich, einige aber durchaus. Die USA, um beim Beispiel zu bleiben, hat außer einem Bürgerkrieg kaum eine Geschichte. Etwas vereinfacht gesagt ist Nordamerika nichts anderes als das Resultat einer Einwanderung aus allen Richtungen, wobei in den Anfängen auch im großen Stil Delinquenten aus anderen Ländern dort entsorgt wurden. Dass ein solcher Schmelztiegel mehr Stolz auf sich als Nation empfindet, als es die Schweiz tut, ist vielsagend.

Dabei ist sie ja eine sogenannte „Willensnation“, also nicht zufällig entstanden, sondern bewusst und aus freien Stücken. Ganz so schlecht scheint das auch nicht funktioniert zu haben. Die Vorarlberger wären einst gern dazu gestoßen, in Norditalien gab es ähnliche Gelüste. Die Schweiz als Sehnsuchtsort und -konstrukt – nur eben nicht für die Schweizer selbst.

Lieber Scham als Stolz

Vielleicht wäre es auch nur eine reine Scharade, wenn der 1. August als wirkliches Fest gefeiert würde. Denn an den 364 weiteren Tagen heißt die Devise: Selbstzerfleischung. Kolonialismus, Sklavenhandel, jüdisches Gold, globaler Steuerwettbewerb, Superreiche versus Verhungernde: An allem möchte die Schweiz ein bisschen schuldig sein.

Wir fühlen uns nicht wohl, wenn wir nicht mitverantwortlich sind für das Elend dieser Welt, sei es aktuell oder ein paar hundert Jahre her. Wobei Hollywood dabei tüchtig mithilft. Ein windiger Ganove will seine Millionen anonym bunkern? Dann nimmt er das nächste Flugzeug nach Zürich oder Genf. Wohin auch sonst?

Wer sich als Schweizer gut fühlen möchte, muss ins Ausland reisen. Dort leuchten die Augen auf, wenn man seine Herkunft nennt. Zurück in der Heimat muss dann wieder der Mantel der Scham übergeworfen werden. Ein kleines Land ohne Rohstoffe, das so reich ist, ausgestattet mit einem funktionierenden Gesundheits- und Bildungssystem, ohne Bettler auf den Straßen und Eisenbahnen, die pünktlich ankommen: Da kann ja etwas nicht stimmen.

Arbeiten können wir besser als uns freuen

Der 1. August ist ein verlorener Fall, und das auch auf lange Sicht. Die Nachkriegsgeneration, die noch den Eindruck hat, durchaus etwas geschafft zu haben, stirbt weg. Den Kindern wird in der Schule jeder Anflug von Stolz auf das eigene Land ausgetrieben. Weil Stolz an sich etwas Schlechtes ist. Ins Klassenzimmer gehört bestimmt kein weißes Kreuz auf rotem Grund. Lieber eine Pride-Fahne.

Eine funktionierende Demokratie ist keine Errungenschaft, die Abschaffung der Biologie hingegen schon. Edelweißhemden sind etwas für Touristen. Einheimische, die eines tragen, schrammen hart am Nazivorwurf vorbei. Wer sich als „Eidgenosse“ bezeichnet, hat diese Grenze bereits überschritten.

Wer glaubt, nichts zu feiern zu haben, sollte sich auch keinen Nationalfeiertag leisten. Dieser ist zudem erst seit 30 Jahren ein offizieller Feiertag, bis dann wurde ganz normal gearbeitet. Das war rückblickend wohl ehrlicher. Denn arbeiten können wir Schweizer sehr viel besser als uns freuen.

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Kommentare

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Stefan Millius
Vor 1 Jahr 4 Monate

Guten Tag. Danke für die Rückmeldung, verbunden mit einer kleinen gastronomischen Korrektur: Hier ist kein Mohrenkopf abgebildet, das Innere dieser Süssspeise besteht nicht aus Schaum. En Guete!

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Paul Dornfeld
Vor 1 Jahr 4 Monate

Danke, Herr Millius, das werden wir natürlich sobald wie möglich verkosten.
Dann hat wohl die Grafikabteilung die *Bildunterschrift mit dem Index-Wort zu verantworten, und Sie sind außer Lebensgefahr, das freut uns!

*1.August-Weggen und 1.August-Mohrenkopf mit Schweizer Fahnen: Den Kindern wird in der Schule jeder Anflug von Stolz auf das eigene Land ausgetrieben © Wikimedia/Wici/gemeinfrei

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H.u.P. Dornfeld
Vor 1 Jahr 4 Monate

Ein „M………kopf“ mit unmissverständlichem Foto und namentlich benannt – ist der Autor lebensmüde?
Also, bis auf Banken und Bahnen, die pünktlich ankommen, was definitiv nicht auf uns zutrifft, scheint mir ansonsten Deutschland exakt beschrieben! Nicht ohne unser ‚mea culpa‘! Dabei war just das Schweizer Bahnsystem heftig empfohlenes Gegenbeispiel anlässlich des absehbaren Milliardengrabes Stuttgart 21, da hatte und hat die Schweiz zweifellos Vorzeige-Qualitäten, von außen betrachtet. Wir sind erstaunt! Bei youtube haben wir eigens die Schweizer Nationalhymne angehört, und finden, sie ähnelt der Studentenhymne „Gaudeamus igitur“, nur eben tragischer, stimmt schon. Aber die Schweiz hat Robert Walser, das macht doch vieles wett, oder? Der wusste noch, warum er Berlin den Rücken und zurück in seine Schweiz kehrte. Ist nur schon lange her.

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Stefan Millius
Vor 1 Jahr 4 Monate

Guten Tag. Danke für die Rückmeldung, verbunden mit einer kleinen gastronomischen Korrektur: Hier ist kein Mohrenkopf abgebildet, das Innere dieser Süssspeise besteht nicht aus Schaum. En Guete!

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Paul Dornfeld
Vor 1 Jahr 4 Monate

Danke, Herr Millius, das werden wir natürlich sobald wie möglich verkosten.
Dann hat wohl die Grafikabteilung die *Bildunterschrift mit dem Index-Wort zu verantworten, und Sie sind außer Lebensgefahr, das freut uns!

*1.August-Weggen und 1.August-Mohrenkopf mit Schweizer Fahnen: Den Kindern wird in der Schule jeder Anflug von Stolz auf das eigene Land ausgetrieben © Wikimedia/Wici/gemeinfrei