Direkt zum Inhalt
KOLUMNE „DER SCHWEIZER BLICK“

Unsouveräne Souveränität

Der eine oder andere Leser dürfte sich an seinem morgendlichen Kaffee verschluckt haben. Die meisten allerdings nicht. Es ist ein Merkmal dieser Zeiten, dass man sich kaum mehr über etwas wundert und selbst offensichtliche Absurditäten schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.

Es geht um ein Interview mit Daniel Koch, vor seiner Pensionierung ein hoher Beamter im Schweizer Bundesamt für Gesundheit. Unvermittelt schlitterte er gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn in seine größte Herausforderung: Covid-19. Er war in den ersten Monaten das Gesicht des Staates bei der Virenbekämpfung. „Mister Corona“ nannten ihn die Medien zärtlich.

Zunächst stolperte Koch ein bisschen unglücklich im Gehege herum. Eine seiner ersten großen Aussagen war: „Masken nützen nichts“. Später folgte die gegenteilige Behauptung, dann die Maskenpflicht, und Koch musste einräumen, dass er das damals nur gesagt hatte, weil die Schweiz es verpasst hatte, rechtzeitig genügend Masken zu bestellen. Wenn man die Dinger nicht hat, darf man sie auch nicht als nötig bezeichnen.

Aber abseits solcher Ausrutscher mochte die Schweiz diesen bodenständig wirkenden, immer sachlich-ruhigen Herrn. Und staunte entsprechend letzte Woche, als Daniel Koch den sicheren Ruhestand nützte, um die Coronapolitik und sich selbst schonungslos zu hinterfragen. Er gab in der Zeitung Tages-Anzeiger zu, dass die meisten der Schutzmaßnahmen und Einschränkungen wirkungslos und damit unnötig waren, und man das vorher oft gewusst hatte und dennoch daran festhielt.

Man will dem Ausland gefallen

So weit, so schlecht. Aber wirklich brisant waren seine Begründungen für dieses Vorgehen. Die stellen nämlich die Schweiz als souveränen, unabhängigen Staat in Frage. Dieses Land, seit den denkwürdigen Schlachten vergangener Jahrhunderte stolz darauf, sein eigener Herr zu sein, lässt sich offenbar den Takt aus dem Ausland vorgeben, wenn es ernst wird.

Die Schulschließungen, so Koch, seien unnötig gewesen aus wissenschaftlicher Sicht. Aber es sei der Schweiz nichts anderes übriggeblieben, als zu diesem Mittel zu greifen, nachdem Frankreich den Schritt gemacht hatte. Eine innere Logik dieser Aussage sucht man vergeblich. Warum sollte sich die Schweiz ihren Kurs vom westlichen Nachbarland vorgeben lassen?

Aber der frühere Beamte macht seine Ausführungen in großer Selbstverständlichkeit. In derselben Weise gibt er auch unverblümt zu, dass der rigide Kurs von China gegen Covid-19 dazu geführt habe, dass man rund um den Globus eine Kaskade von Maßnahmen ausgelöst habe, wenn auch meist weniger strikte. Die Schließung der Grenzen oder auch die Abriegelung der Alters- und Pflegeheime, in denen in der Folge Menschen ohne ihre Lieben sterben mussten: Auch sie waren laut Koch epidemiologisch nicht begründbar. Man tat es, weil es andere taten.

China, die Welt, dann die Schweiz

Wir haben in der Kausalkette also China, das angefangen hat, den Rest der Welt, der nachzog – und die kleine Schweiz, die fand, sie könne da nicht abseitsstehen, selbst wenn man wusste, dass es nichts bringt. Außer natürlich Kollateralschäden. Im Fall der Schulschließungen ist inzwischen ein Bildungsrückstand bei den betroffenen Kindern nachweisbar, von psychischen Folgen ganz zu schweigen.

Aber es ging offenbar nicht nur darum, dem Ausland zu gefallen und dafür auf einen eigenen Sonderweg zu verzichten. Gleichzeitig wollte man „eine starke Message platzieren“, indem man die Kinder nach Hause schickte. Die Übersetzung: Es geschah auf Kosten unserer Kleinsten, um die Angst vor dem Virus in die Höhe treiben, um das Feld zu bereiten für weitere Maßnahmen, die dann je nachdem wieder unnötig waren. Es wirkt wie ein Irrlauf, bei dem alle einem Blinden nachrennen, ohne selbst auf den Weg zu achten.

Das alles konnte man natürlich schon immer ahnen, aber von einem einstigen offiziellen Staatsvertreter ausgesprochen, kommt dem eine größere Bedeutung zu. Vielleicht musste Daniel Koch ganz einfach sein Gewissen erleichtern, vielleicht wollte er jemandem aus der Vergangenheit eins ans Bein verpassen, vielleicht war ihm die Tragweite seiner Worte nicht bewusst.

Was auch immer der Hintergrund war: Es liefert ein bedenkliches Bild einer Nation, die sich stets gern als Sonderfall präsentierte. Die eigene Verfassung und die Grundrechte aushebeln, weil die anderen das eben auch machen – da schwächelt der Stolz so mancher Bürger auf das eigene Land.

0
0

Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar