Geschlechtsumwandlungen: Ideologie statt Wissenschaft

In der Schweiz dürfen Teenager ab 16 Jahren ohne Einwilligung der Eltern ihr Geschlecht wechseln. Immer mehr Eltern und Ärzte sind mit dem Wunsch von Kindern nach Pubertätsblockern konfrontiert, um die Bildung von Geschlechtshormonen zu verhindern oder hinauszuzögern und sich später operieren zu lassen.
Im vergangenen Juli forderte die Gesundheitsdirektion der Kantonsregierung Zürich ein schweizweites Verbot von Geschlechtsoperationen bei Minderjährigen und appellierte an den Bundesrat, klare Regeln zu schaffen. Der Vorstoß löste mediale Empörung aus.
Psychische Vorteile durch Geschlechtsumwandlungen?
Ob Geschlechtsumwandlungen den Betroffenen die ersehnten psychischen Vorteile verschaffen, ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend belegt. Im renommierten British Medical Journal schrieb Chefredakteur Kamran Abbasi am 11. April 2024:
„Behandlungen anzubieten, ohne deren Nutzen und Risiken ausreichend zu verstehen, ist unethisch. Erst recht, wenn es sich nicht um triviale Behandlungen handelt: Pubertätsblocker und Hormontherapien sind schwerwiegende, lebensverändernde Eingriffe. Dennoch wurde eine unschlüssige und inakzeptable Evidenzbasis herangezogen, um einflussreiche klinische Leitlinien zu erstellen, wie beispielsweise die der World Professional Association for Transgender Health (WPATH).“
Was es mit diesen Aussagen auf sich hat, erklärt der Tessiner Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie Fabio Cattaneo in der Fachzeitschrift Tribuna medica ticinese von Juli/August 2025. Zwar sei das klinische Phänomen der Geschlechtsinkongruenz noch immer sehr selten, aber es nehme zu. „Geschlechtsinkongruenz“ ist eine Bezeichnung für Personen, die ihr biologisches Geschlecht nicht akzeptieren – was nicht direkt mit Homosexualität oder Transvestitismus zu tun hat – und die als Folge das seelische Leiden der sogenannten Geschlechtsdysphorie entwickeln.
Rasanter Anstieg der Fälle von Genderdysphorie
Cattaneo weist darauf hin, dass gemäß einer englischen Publikation von 2025 die Fälle von Genderdysphorie innerhalb von zehn Jahren um das 50-fache angestiegen sind. Besonders betroffen sind Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren. Die Betroffenen weisen häufig psychiatrische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Borderline-Syndrome auf.
Die Gründe für den rasanten Anstieg wurden bislang nicht wissenschaftlich geklärt. Einige Autoren vermuten, dass „Ansteckung” durch die sozialen Medien eine Rolle spielt.
Die Staaten sehen sich gezwungen, das Problem zu regulieren. Um Gesetze oder Leitlinien zu erlassen, müssen sie insbesondere abklären, ob sich Pubertätsblocker und operative Eingriffe tatsächlich nachhaltig positiv auf die mentale Gesundheit auswirken oder ob sie bleibende körperliche und psychische Schäden hinterlassen.
Deutlich mehr Suizidgedanken bei Personen mit Trans-OPs
Mittlerweile haben viele Länder die Schrauben angezogen. Im Vereinigten Königreich war der Bericht der Ärztin Hilary Cass von April 2024 ausschlaggebend, die sich auf acht neue systematische Übersichtsarbeiten stützte und 32 Empfehlungen für Ärzte ableitete. Behandlungen mit Pubertätsblockern und Hormontherapien sollten fallweise von multidisziplinären Teams abgeklärt und ausschließlich im Rahmen kontrollierter klinischer Studien zugelassen werden.
Der Cass-Bericht äußert Bedenken hinsichtlich der Sicherheit, zum Beispiel bezüglich der Knochendichte sowie der späteren neuropsychologischen Entwicklung und des Sexuallebens der Betroffenen.
Die Ergebnisse des Cass-Berichts wurden in zwei US-amerikanischen Metaanalysen, die letzte stammt aus dem Jahr 2025, bestätigt. Eine retrospektive US-Studie auf Basis einer nationalen Datenbank von 2025 mit 107.583 Volljährigen mit Geschlechtsdysphorie ergab interessante Hinweise zu den psychischen Folgen: In der Gruppe, die sich einer Operation unterzogen hatte, wurden deutlich mehr Suizidgedanken, Substanzmissbrauch, Depressionen und Angstzustände festgestellt als bei Betroffenen, die ihr Geschlecht nicht operativ veränderten.
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Eine finnische nationale Studie von 2024 ergab, dass die Suizidrate bei 2.083 Transgender-Jugendlichen im Verlauf einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 6,5 Jahren dreimal so hoch war wie bei Gleichaltrigen (0,3 Prozent gegenüber 0,1 Prozent), aber gleich hoch wie bei Jugendlichen, die ähnliche psychische Vorerkrankungen hatten wie Patienten mit Geschlechtsdysphorie, also unter anderem Depressionen oder Formen von Autismus. Der Grund für die Suizide scheint demnach in den psychischen Problemen und nicht in der Geschlechtsdysphorie zu liegen.
Ein Tabuthema: Detransition
Pubertätsblocker werden eingesetzt, um den Kindern mehr Zeit zu geben, ihre Dysphorie zu verstehen und Entscheidungen zu treffen. Aber Pubertätsblocker haben einen „Printing“-Effekt: 97 Prozent der Kinder, die sie erhalten, setzen die Geschlechtsumwandlung fort. Gleichzeitig zeigten drei Veröffentlichungen zwischen 2008 und 2021 über den Ansatz des watchful waiting, des „Beobachtens und Abwartens“, dass 60 bis 98 Prozent dieser Betroffenen sich spontan mit ihrem Geburtsgeschlecht versöhnen und auf die Umwandlung verzichten.
Das Rückgängigmachen einer Geschlechtsumwandlung, die Detransition, ist ein Tabuthema. Viele beteiligte Ärzte sprechen von einer verschwindend kleinen Zahl von Patienten – etwa ein Prozent –, die den Übergangsprozess abbrechen. Laut Cattaneo sind die Statistiken jedoch unvollständig, und eine hohe Zahl von Betroffenen, das heißt bis zu 36 Prozent, hätten sich in der Nachbeobachtung verloren.
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Auch die ESCAP (Europäische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie) forderte 2024 dringend mehr Vorsicht, höhere wissenschaftliche und ethische Standards und mehr Aufmerksamkeit für Personen, die eine Detransition anstrebten oder ihre Umwandlung bereuten. Viele Informationen über die Erfahrungen dieser Menschen finden sich nicht in der medizinischen Literatur, sondern nur in journalistischen Beiträgen, auf Websites, in Online-Umfragen und spontanen Erfahrungsberichten.
Eine mächtige Interessenlobby
Die nach einem Berufsverband klingende World Professional Association for Transgender Health (WPATH) ist in Wahrheit eine Aktivistenlobby und fordert die Abschaffung der Hindernisse für Pubertätsblocker, Hormonbehandlungen und Operationen. Cattaneo bezeichnet ihre Ausdrucksweise als ideologisch gefärbt, und sie habe den „wissenschaftlich unsinnigen“ Begriff „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“ geschaffen.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) tauschte Wissenschaft gegen Ideologie aus. 2023 richtete sie eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Leitlinien zur Behandlung von Transgender-Personen ein und forderte den erweiterten Zugang zu „affirmativen Hormonen” und die rechtliche Anerkennung des selbstdeklarierten Geschlechts. Als bekanntwurde, dass 13 von 20 Mitgliedern der Arbeitsgruppe befangen waren, weil Mitglied von Transgender- oder LGBT+-Verbänden oder im Sold von WPATH oder Kliniken für Transgender-Behandlungen, kam Kritik auf. Die WHO reagierte, wechselte Mitglieder aus und kündigte an, dass sie keine Empfehlungen zu Kindern und Jugendlichen in die Leitlinien aufnehmen werde.
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Die Länder Großbritannien, Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und mehrere US-Bundesstaaten haben beschlossen, den Einsatz von Hormonbehandlungen und chirurgischen Eingriffen einzuschränken. Die Schweizer Gesetzgebung zu Transitions-Behandlungen für Minderjährige beruht laut Cattaneo auf Standards, die in anderen Bereichen der Medizin normalerweise nicht akzeptiert würden. Die Kritikpunkte betreffen eine kurze Nachbeobachtungszeit, eine hohe Ausfallquote bei der Nachbeobachtung und eine unangemessene Beschreibung der Störvariablen und Vergleichskohorten.
Es sei beunruhigend, dass schon wenige Monate nach der ersten psychiatrischen Untersuchung mit der Hormonbehandlung begonnen würde, ohne abzuklären, ob die Geschlechtsdysphorie nur vorübergehend ist. Immerhin würden, konservativ geschätzt, zehn bis 30 Prozent der Betroffenen ihre Geschlechtsumwandlung später bereuen.
Mehr Psychotherapie als Lösung?
Zusammenfassend lässt sich laut der Tribuna medica ticinese feststellen: Die Gründe für den rasanten Anstieg von Geschlechtsdysphorie sind nicht geklärt; die klinische Praxis der Hormonbehandlungen und Operationen basiert auf unzureichenden Studien.
Neueste Untersuchungen lassen vermuten, dass nicht die Geschlechtsdysphorie zu Suizidalität führt, sondern ihre vorausgehenden Leiden. Die neuen Phänomene des Bereuens, genannt „transition regret“, und der Rückumwandlung sollten stärker beachtet und untersucht werden; es fehlten strenge und zuverlässige Richtlinien für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie.
Abschließend stellt sich der Facharzt die Frage: Welche Rolle könnte die Psychotherapie langfristig bei der Behandlung von Geschlechtsdysphorie spielen?
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