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Kolumne „Ein bisschen besser“

First-World-Problems

Das Interessante am Ein-bisschen-Älterwerden ist, dass wir mit einem Mal von den ein bisschen Jüngeren lernen, wie es ein bisschen besser geht. Die große Tochter zum Beispiel, der ich sagte, dass es erst sechs Wochen zu heiß war zum Rasenmähen, dann kam ich sechs Tage nicht in die Pötte und seitdem ist es sechs Wochen zu nass, sagte nur: „First-World-Problems.“

Ich schaute gleich mal nach im Netz und entdeckte, dass ich mit dieser Sorte Problemen nicht allein bin auf der Welt. „Warum sind Airport-Lounges immer zu voll?“ fragt da einer.

„Wir haben eine Pandemie von Problemen der ersten Welt mit diesem Geschlechter-Vokabular-Unsinn geschaffen“, stellt eine andere fest. Und ein dritter räumt selbstkritisch ein, dass das Problem der nachhaltigen Kühlung von Eiscreme-Autos eines sei, das auch nicht überall auf der Welt als vorrangig erkannt wird.

Als meine Frau Judith mir jetzt wieder auftrug, die hellen Haare der Hündin vom dunklen Parkett zu saugen, probierte ich das frisch Gelernte aus und sagte lässig: „First-World-Problems“.

Die Happy Hour in der Autowaschstraße verpasst

Das kam gar nicht gut an. Und ich lernte wieder dazu. Wie wir in der sogenannten ersten Welt klarkommen wollten, wenn wir uns nicht der Probleme annähmen, die die erste Welt nun mal so bietet, wollte Judith wissen. Sie deutete auf den Balkon, wo die Holzdielen vom verregneten Sommer glitschig geworden und dringend geschrubbt werden müssten. Sie berichtete davon, dass sich die Einladungen in den nächsten Tagen so sehr stapeln, dass wir das Straßenfest vor der Haustür nicht vorbereiten könnten.

Wir haben dann noch gemeinsam festgestellt, dass wir die Happy Hour in der Autowaschstraße verpasst hatten, was den Reinigungsvorgang verteuern würde. Dass wir den digitalen Antrag fürs Anwohnerparken ausdrucken, unterschreiben und noch verschicken müssten: ein Prozess, der irgendwo zwischen uns und dem Amt ins Stocken geraten war. Und überhaupt, dass die Fernbedienung fürs Garagentor eine neue Batterie bräuchte und der Personaltrainer am Dienstag keine Zeit habe.

Zum Schluss regte ich mich noch auf, dass die Bundesregierung Gummibärchen-Werbung zur besten Sendezeit künftig verbieten will und stellte die Frage in den Raum, wie unsere Kinder dann weiter froh aufwachsen sollen.

Nachdem wir uns also dermaßen über Erste-Welt-Probleme verständigt hatten, ging ich in den Bastelkeller und entwarf eine nachhaltige Kühlung für Eiscreme-Autos. Nur an den Geschlechter-Vokabular-Irrsinn trauen wir uns irgendwie nicht heran. Warum? „Vielleicht leben wir in einer zweiten Welt“, glaubt Judith. „Egal“, sage ich. „Es ist jedenfalls die schönere von beiden.“

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