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Kolumne „Kaffeehaus“

Das Kaffeehaus – ein Spiegel der Zeit

Das Kaffeehaus ist ein Ort des Austausches, der Kultur und Eitelkeit. Hier sitzen Leute, die allein und gleichzeitig in Gesellschaft sein wollen. Und so, wie sich die Gesellschaft verändert, verändert sich auch das Kaffeehaus. Ob es uns gefällt oder nicht, das Kaffeehaus bleibt ein Spiegel des Zeitgeistes.

Über den Sinn des Kaffeehauses sinnierte ich kürzlich bei einer interessanten Begegnung in einem Café in der Nachbarschaft. An einem Mittwochmorgen brachte ich wie gewohnt die Kinder zur Schule. Die Frühlingssonne war einladend und so spazierte ich durch die Gegend. Die Lust auf einen guten Cappuccino brachte mich in das Café „Roselyne“, welches montags und dienstags geschlossen bleibt und nun offen sein müsste. Ich bestellte einen kleinen Cappuccino und Joghurt mit Müsli.

Ein Ort, wo der Zauber geschieht

Ein älterer Herr am Nachbartisch nickte freundlich zu und lächelte. Wie gut, dass ich es in der Früh schaffte, mich etwas frisch zu machen und hübsch anzuziehen. Ich wartete auf meinen Cappuccino, als eine slowakisch-ungarische Bekannte den Raum betrat und nun meinetwegen den kleinen Espresso statt „To-go” an den Tisch bestellte. Heute sei ein wichtiger Tag, im Büro sei viel los und zum ersten Mal werde sie heute den ungarischen Präsidenten treffen. Sie habe eine Airbnb-Wohnung in der Gegend gemietet, vielleicht werde sie nun auch hierher ziehen. Ein weiterer älterer Herr betrat den Raum, den meine Freundin gleich erkannte und freundlich grüßte. Der Direktor des Jüdischen Museums sei es, sie selbst arbeitete jahrelang für das Jüdische Museum in Kopenhagen. 

Aber eigentlich hatten sich die zwei älteren Herren miteinander verabredet – der, der gerade kam, und der, der mir zuerst zulächelte. Und so stellten wir uns gegenseitig vor und gaben uns die Hand. Meine Freundin musste sich gleich verabschieden, und wir vereinbarten ein weiteres Treffen im Café „Roselyne”. Begegnungen wie diese hätten sich nie ereignet, wenn ich den Cappuccino immer nur zu Hause trinken würde. Das Café ist für all jene da, die dem neuen Tag und Zauber eine Chance geben wollen. Diejenigen, die kleine Köstlichkeiten genießen, Inspiration finden und immer offen fürs Neue sein wollen.

Açai-Bowl statt Zigarettenrauch

Aber auch das Kaffeehaus als Ort der Begegnung und der Kultur hat sich verändert. Der Hort der westlichen Kultur und Treffpunkt der Existenzialisten verschwindet. Schwarzer Kaffee, Zigarettenrauch, ein Glas Wein: So sieht das Kaffeehaus nicht mehr aus. An seine Stelle ist das Café der hochmotivierten NGO-Mitarbeiter getreten, die kaum Zeit haben, ihren Matcha zu trinken, während sie geschäftig an Laptops sitzen. Die Açai-Bowl und der Cappuccino sollen vor allem vegan und Instagram-tauglich sein. Das moderne Stadtcafé ist zu einem Tempel für Gesundheit und Effizienz geworden.

Doch, seien wir nicht so negativ: Das Café bietet auch heute noch eine Bühne für außergewöhnliche Momente und existenzielle Gedanken. Man muss nur offen für sie bleiben.

Die Lehre des Kaffeehauses

In dem Film „Midnight in Paris“ thematisiert Regisseur Woody Allen die alte und wiederkehrende Nostalgie und Sehnsucht nach der Vergangenheit. Die Hauptfigur Gil stellt am Ende fest, dass sich die Menschen nach der Vergangenheit sehnen, weil ihnen die Gegenwart immer glanzlos und langweilig erscheint. Doch am Ende wird die Entscheidung getroffen, die Gegenwart anzunehmen. Sie ist immer noch der Raum, in dem sich die magischen Momente des Alltags abspielen. Trends kommen und gehen, das Kaffeehaus bleibt.

 

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