Wonderful life

„Hey Judith“, sage ich zu meiner Frau an dem Tag, als schon wieder ein Krieg ausbricht, „lass uns krassen Scheiß machen. Here I go out to sea again. The sunshine fills my hair, and dreams hang in the air!“ „Und“, füge ich hinzu, „we are the children of the eighties“. „Here we are“, ruft sie.
Wir hatten keine Stehkragen wie die Popper und keine Ketten wie die Punks.
Wir ritten auf den Pershings und halfen Oma, wenn sie Jacobs-Krönung an die Verwandten in den Osten schickte. Wir hatten Hitparade und Cassetten und hassten Sprecher, die in den Song reintexteten. „Sun's in your eyes, the heat is in your hair.“
Wir brachten Filme zum Entwickeln und fuhren mit Opas Acht-Zylinder zum Einkaufen. Wir waren cool und grenzenlos dumm. Wir wussten alles. Wir haben die Zukunft erfunden: Internet, Blogs, Sonnenenergie, Automaten für Geld, das wir selbst nie hatten. Wir haben die Mauer eingerissen. Über uns ist die Zeit nicht hinweggegangen, wir haben sie angehalten.
Unser Schweiß duftet nach Team
Wir sind nicht on the dark Side of the Moon geflogen, weil wir wussten, da gibt’s kein Bier. Aber wir haben sie in unseren Träumen besungen, während wir on the front side gelandet sind. Und wenn uns einer zuruft: „Houston, we have a problem“, dann lösen wir es und zeigen nicht mit dem Finger auf andere.
Unser Schweiß duftet nach Team und „Greift hinein ins volle Menschenleben“ und nicht nach „Fuck you Goethe“. Wir legen unseren Kindern die Welt zu Füßen, damit sie es für ihre tun können, weil keiner von uns die letzte Generation ist.
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Es pumpen unsere Herzen, unser Atem rast, unsere Knie schmerzen – hatten wir früher überhaupt Knie? Früher, als wir keine Angst hatten außer vor explodierenden Atomkraftwerken, als wir nach fünf Gläsern Lambrusco das nächste Fass anstachen und nicht an morgen dachten, weil dort nichts weiter anstand, als die Wunden zu lecken. Als wir keine Angst hatten, vor Prostatakrebs und Schlaganfall vor Hängebauch und Hängebusen, vor Zeitmangel angesichts der Unendlichkeit.
Wir tragen die Vergangenheit in unserer Seele
Heute verschicken wir Bilder von uns in Posts und Chats und Foren, auf denen wir gut aussehen, auf denen uns die KI, die wir uns schließlich noch gebaut haben, die Falten wegrasiert. Früher haben wir uns nur rasiert, damit es den Mädchen nicht am Oberschenkel kratzte. Früher gab es den Weißen Riesen im Waschkeller, heute gibt es den Bleaching Stift vor jedem Selfie, damit die Zähne weißer blenden.
Judith, wir brauchen die Vergangenheit nicht auf der Festplatte, weil wir sie in unserer Seele tragen. Sie atmet unseren Text, der einfach ein bisschen besser ist: „No need to run and hide. It's a wonderful, wonderful life.“
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