Die Kraft der Vernunft im verantwortlichen Dienst für Mensch und Schöpfung
Wer die Bibel liest, begegnet uralten Worten, die bis heute nichts von ihrer Kraft verloren haben. „Machet euch die Erde untertan“ und „Bebauen und bewahren“ – zwei Aufträge, die scheinbar gegensätzlich sind und doch zusammengehören. Sie sprechen von Herrschaft und Verantwortung, von Gestaltung und Schutz. Auf den ersten Blick bewegen wir uns hier in der Welt des Glaubens, der Schöpfung und der Kirchenväter. Doch gerade diese Worte führen uns mitten hinein in eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit: die Energiepolitik. Denn auch sie handelt von der Balance zwischen Nutzung, Bewahrung und der drängenden Frage, wie wir mit den Ressourcen umgehen, die uns anvertraut sind.
Der folgende Beitrag möchte zeigen, wie sich die biblische Botschaft und die moderne Energiepolitik miteinander verbinden lassen – und warum wir die Hoffnung nicht aufgeben sollten, dass die Menschheit trotz aller Irrungen und Wirrungen immer wieder die Kraft der Vernunft findet.
Die Kirchenväter und die Genesis
Die Bibel eröffnet diese Thematik mit zwei scheinbar gegensätzlichen Aufträgen. In Genesis 1,28 heißt es: „Machet euch die Erde untertan“, während Genesis 2,15 ergänzt: „Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Doch die christliche Tradition hat sie von Anfang an als Einheit verstanden. Der Mensch ist als Ebenbild Gottes berufen, die Schöpfung zu ordnen und zu nutzen, zugleich aber auch zu schützen und zu bewahren. Herrschaft bedeutet Verantwortung, Gestaltung verlangt Maß und Bewahrung.
Gerade die großen Kirchenväter wie Augustinus oder Thomas von Aquin haben in dieser Frage eine geistliche Ordnung beschrieben, die den Menschen verpflichtet, vernünftig und maßvoll zu handeln: Der Mensch ist nicht Ausbeuter, sondern Verwalter der Schöpfung und begreift seine Herrschaft als Dienst an dieser: „Dominari est servire“, Herrschen ist dienen. So zeigt sich, dass die Spannung zwischen „Sich untertan machen“ und „Bewahren“ kein Widerspruch ist, sondern eine Einheit.
Brücke zur Energiepolitik
In diesem Verständnis ist die Energiepolitik heute einer der zentralen Orte, an denen sich dieser Auftrag der Genesis konkretisiert. Eine Politik, die technologischen Fortschritt, Wachstum und Wohlstand kritisch hinterfragt, ist mehr als problematisch. Denn Bewahrung der Schöpfung heißt nicht Rückschritt, sondern kluge Gestaltung: Ressourcen sollen so eingesetzt werden, dass sie den Menschen dienen, ohne die Grundlagen des Lebens zu zerstören.
Aus dem Verständnis lassen sich so zwei klare Aufträge formulieren:
- Mit möglichst wenig Aufwand beziehungsweise Zerstörung möglichst viel Ertrag bringen – die Schöpfung nutzen und fruchtbar machen.
- Die Umwelt schützen – die Schöpfung bewahren und erhalten.
Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir diese beiden Aufträge in die Moderne übersetzen?
Zwei Kennzahlen machen diese biblischen Prinzipien konkret:
- Energy Return on Investment (EROI), der Erntefaktor, bedeutet im Kern: Lohnt sich die Mühe? Man muss Energie einsetzen, um Energie zu gewinnen – wie beim Anbau von Getreide, wo gesät, gepflegt und geerntet wird, bevor Brot auf dem Tisch steht. Der EROI fragt: Wie viel Energie bekomme ich heraus im Vergleich zu dem, was ich hineinstecken musste? Je höher der Wert, desto mehr Ertrag mit demselben Aufwand – und desto verantwortbarer die Erzeugungsart. Damit wird der erste Auftrag direkt messbar.
- Flächenverbrauch pro Kilowattstunde bedeutet im Kern: Wie viel Raum nimmt eine Energiequelle der Schöpfung weg? Wenn ganze Wälder für Windkraftanlagen zerstört werden oder Landschaften zerschnitten werden, müssen wir uns fragen, ob wir mehr zerstören, als wir gewinnen. Der Flächenverbrauch fragt: Wie viel Platz muss geopfert werden, um eine bestimmte Menge Energie zu erzeugen? Je geringer der Wert, desto mehr bleibt die Schöpfung geschützt. Damit wird der zweite Auftrag direkt messbar.
So werden die biblischen Weisungen „Bebauen und bewahren“ zu konkreten Kriterien moderner Energiepolitik – und zeigen, dass Vernunft und Verantwortung auch heute untrennbar zusammengehören.
EROI im Vergleich – von Naturabhängigkeit zur Ressourcenvernunft
Die beigefügte Abbildung zeigt die EROI-Werte verschiedener Stromerzeugungsformen – also das Verhältnis von Energiegewinn zu Energieaufwand. Sie macht sichtbar, wie unterschiedlich effizient unsere Energiequellen sind. Für die wetterabhängigen und unzuverlässigen Energiequellen Solar und Wind müssen zusätzlich die Aufwände für Speicher einbezogen werden, um diese vergleichbar zu versorgungssicheren Energiequellen zu machen.
Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede der verschiedenen Erzeugungsformen:
- Photovoltaik erreicht ohne Speicher einen EROI von 7, mit Speicher nur noch 4,5.
- Windkraft liegt je nach Standort zwischen 15 und 20 ohne Speicher, mit Speicher sinkt der EROI auf 10 bis 14.
- Fossile Kraftwerke wie Gas und Kohle erreichen Werte von 28 bzw. 30.
- Wasserkraft liegt bei 49.
- Kernkraft übertrifft alle mit einem EROI von 75.
Diese Zahlen sind keine technischen oder mathematischen Spielereien – sie sind Ausdruck einer ethischen Frage: Wie sinnvoll nutzen wir unsere Ressourcen?
Historisch gesehen kommen wir aus einer Welt der minderwertigen, wetterabhängigen Energiequellen: Holz, Wind, Sonne – vielleicht romantisch, aber unzuverlässig und ineffizient. Im Mittelalter waren die Menschen von niedrigen EROI-Werten und der Unberechenbarkeit des Wetters abhängig. Energie war knapp und mit ihr auch Nahrung – Hunger und Krankheiten waren ständige, grausame Begleiter. Die Industrialisierung war der Durchbruch: Sie brachte uns zu konzentrierten, steuerbaren Energieformen, die erstmals den biblischen Auftrag erfüllten, mit wenig Aufwand viel Ertrag zu bringen und so Wohlstand und Sicherheit zu schaffen.
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Die Kernenergie markiert den Höhepunkt dieser Entwicklung. Sie ist mit ihrem maximalen EROI nicht weniger als die auf dem derzeitigen technologischen Kenntnisstand optimale Operationalisierung des Auftrags, unsere natürlichen Ressourcen mit maximaler Vernunft zu nutzen und ist im Gegensatz zu den fossilen Erzeugungsformen auch frei von Kohlendioxid- und anderen Schadstoffemissionen.
Wer also den biblischen Auftrag ernst nimmt, muss sich dann fragen:
- Warum sollten wir mit der deutschen „Energiewende“ zu minderwertigen, ertragsschwachen und wetterabhängigen Quellen zurückkehren?
- Warum haben wir in Deutschland die Quelle abgeschaltet, die den Auftrag „Bebauen und bewahren“ am konsequentesten erfüllt?
Diese ethischen Fragen stellen sich vor allem deshalb, weil das Vorhandensein von Energie für die Bevölkerung eines Landes essenziell ist, um Armut und Hunger überwinden zu können. Empirische Studien zeigen, dass hohe Energieverbräuche eng mit hohem Wohlstand verbunden sind – und umgekehrt niedrige Energieverfügbarkeit mit Armut und Unsicherheit. Einen hohen EROI zu erzielen bedeutet daher nicht nur technische Effizienz, sondern auch verantwortliches Handeln im Sinne des Schöpfungsauftrags.
Flächenverbrauch – wie viel Raum nimmt Energie der Schöpfung weg?
Der zweite Maßstab für verantwortbare Energiepolitik ist der Flächenverbrauch pro erzeugte Kilowattstunde. Er fragt: Wie viel Raum muss geopfert werden, um eine bestimmte Menge Energie zu gewinnen?
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Stellen wir uns vor, Energiegewinnung wäre wie Ackerbau: Je mehr Fläche wir brauchen, desto mehr verdrängen wir Natur, Lebensräume und Artenvielfalt. Eine Energiequelle, die viel Raum beansprucht, zerschneidet Landschaften, versiegelt Böden und verändert Ökosysteme – oft dauerhaft.
Damit wird der zweite biblische Auftrag messbar: Die Umwelt schützen. Je geringer der Flächenverbrauch, desto mehr bleibt die Schöpfung bewahrt.
Die Daten zeigen ein klares Bild:
- Kernenergie benötigt laut dem britischen „Our World in Data“ nur etwa 0,3 m²/MWh – ein minimaler Fußabdruck.
- Freiflächen-Photovoltaik beansprucht rund 19 m²/MWh.
- Onshore-Windkraft liegt im globalen Median sogar bei 99 m²/MWh.
Während Kernenergie mit minimalem Flächenbedarf auskommt, zerschneiden Wind- und Solaranlagen ganze Landschaften und beanspruchen ein Vielfaches an Raum.
Doch die ökologische Dimension reicht tiefer. Denn Erzeugungsformen mit niedrigem EROI gehen oft mit hoher Umweltschädigung einher. Ein drastisches Beispiel ist die Bayan-Obo-Mine in der Inneren Mongolei in Rotchina – das größte bekannte Vorkommen von Seltenerdmetallen weltweit. Diese Metalle sind unverzichtbar für moderne Technologien, insbesondere für Windkraftanlagen, Elektroautos beziehungsweise allgemein für Elektronikanwendungen. Ihre Gewinnung hat jedoch verheerende Folgen:
- Über zehn Millionen Tonnen Abraum jährlich belasten Böden und Wasser mit giftigen Rückständen.
- Rückstände enthalten Thorium und Uran, die in offenen Schlammteichen lagern und das Grundwasser kontaminieren.
- In der Region wurden erhöhte Krebsraten, Atemwegserkrankungen und Vergiftungen dokumentiert.
- Die Abraumhalden hinterlassen eine ökologische Wüste, deren Folgen über Generationen bestehen bleiben.
Damit schließt sich der Kreis: Niedriger EROI und hoher Flächenverbrauch bedeuten nicht nur ineffiziente Energiegewinnung, sondern auch massive Belastung für Mensch und Natur und hohe Flächenverbräuche für die Energieerzeugung.
Bewahrung der Schöpfung verlangt daher, dass wir Energiequellen wählen, die effizient und naturverträglich sind – und nicht solche, die unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit ganze Landschaften zerstören.
Vernünftige Wege finden – es besteht Hoffnung
Die Betrachtung der beiden biblischen Aufträge zeigt, dass Herrschaft und Verantwortung keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen. In der Energiepolitik bedeutet dies, dass wir Quellen wählen müssen, die sowohl effizient als auch naturverträglich sind. Ein hoher EROI und geringer Flächenverbrauch sind nicht nur technische Kennzahlen, sondern Ausdruck des biblischen Prinzips, mit wenig Aufwand viel Frucht zu bringen und die Schöpfung zu bewahren.
Die Geschichte der Menschheit belegt, dass wir immer wieder Wege gefunden haben, die Kraft der Vernunft zu nutzen: vom Mittelalter mit niedrigen EROI-Werten und hoher Naturzerstörung hin zur Neuzeit mit Technologien, die Hunger und Armut überwinden konnten. Es wäre ein tragischer Rückschritt, wenn wir uns heute erneut für Energieformen entscheiden, die ineffizient sind, große Flächen beanspruchen und die Umwelt zerstören.
Stattdessen liegt die Hoffnung darin, dass wir die Kraft unserer Vernunft einsetzen: Technologien, die mit wenig Aufwand viel leisten und zugleich die Schöpfung bewahren. So wird Energiepolitik auch zu einer Glaubensfrage im besten Sinne: Vertrauen darauf, dass Vernunft und Verantwortung uns nicht zurück ins Dunkel führen, sondern in eine Zukunft, in der Bebauen und Bewahren zusammengehören – zum Wohl der Menschen und zur Ehre des Schöpfers.
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Kommentare
Der Begriff Kernkraft ist ziemlich allgemein und die Gedanken sind dabei auf die im 20.Jh verbreiteten Technologien ausgerichtet. Vermutlich auch die hier verwendeten Daten. Modern sind Flüssigsalzreaktoren (siehe China). Der Sicherheitsaspekt ist dort anders zu betrachten. Vermutlich sind diese auch in Bezug auf das hier Dargestellte noch besser. Und auch sehr interessant ist die noch geheime Technologie der Russen, die diese z.Zt. nur militärisch für Marschflugkörper und Torpedos einsetzen. Wenn diese Technik mit Minireaktoren (in 20? oder 50? Jahren) in die zivile Luftfahrt übernommen sein wird, wird sich die Fliegerei ändern, weil null Kerosin nötig sein wird. Deutschland wird bis dahin aber vermutlich ein Feld-Wald-und-Wiesenland = Agrarstaat geworden sein. Wünsche trotzdem ein gutes neues Jahr für alle.