Eine Ohrfeige um Christi willen

Man stelle sich vor, auf der letzten römischen Synode hätte ein Bischof einem Priester einen Schlag versetzt. Im Nu wäre der Vorfall „viral gegangen“. Und er hätte zu sehr unterschiedlichen Stellungnahmen geführt. Für die einen wäre er ein eklatanter Verstoß gegen das christliche Liebesgebot gewesen, somit ein Beweis für die Verrohung bis in die Ränge des Episkopats hinein. (Welche Distanz der Amts- und Machtkirche zu den frühen Christen, über die man noch sagen konnte: „Seht, wie sie einander lieben“ …) Andere wären über den Schlag erbost gewesen, weil er den „Falschen“ traf, oder hätten sich insgeheim gefreut.
Glücklicherweise sind von jüngeren Kirchenversammlungen keine derart rabiaten Vorfälle zu berichten. Selbst verbale Über- und Untergriffigkeiten bilden hier eine Ausnahme. Sollte sich ein Bischof dennoch offen gegen die Nächstenliebe oder auch nur die Toleranz verfehlen, so würde ihm das im öffentlichen Ansehen keine Lorbeeren einbringen. Von der Liste möglicher Kandidaten für eine Erhebung zur Ehre der Altäre könnte man ihn ohnehin getrost streichen.
Umso erstaunlicher, dass einer der meistverehrten Heiligen der Kirche des Ostens wie des Westens sich nicht nur mit Werken väterlich-gütiger Milde, sondern auch mit einer schallenden Ohrfeige in das Gedächtnis der Christenheit eingeschrieben hat.
Es mag sich dabei eher um eine Legende als um ein historisches Faktum handeln. Doch allein die Tatsache, dass man dem heiligen Nikolaus von Myra solches zutraute, spricht Bände. Offensichtlich hat niemand Anstoß an dem Schlag genommen, den er dem Presbyter Arius inmitten der versammelten Bischöfe des Konzils von Nizäa versetzt haben soll. Die Geschichte wurde geradezu genussvoll weitergetragen. Auch in der Malerei hat sie – von alten Ikonen bis zu der fulminanten Darstellung des Giovanni Gasparro aus dem Jahr 2016 – ihre markanten Spuren hinterlassen.
Die Rechtgläubigkeit in Gefahr!
Warum aber dieser Vorfall? Sollte der heilige Nikolaus aufgrund irgendeiner ärgerlichen Kleinigkeit die Beherrschung verloren haben? Gewiss nicht. Bei der Zusammenkunft, die im Jahre 325 in Nizäa bei Byzanz (heute Istanbul) stattfand und die als das erste Ökumenische Konzil anerkannt ist, ging es wahrlich nicht um Quisquilien. Auf der Themenliste standen die heißumstrittene Frage des Ostertermins und diverse Angelegenheiten der Disziplin und Kirchenordnung, betreffend zum Beispiel den Umgang mit Christen, die in der Verfolgung schwach geworden waren. Schon diese Traktanden waren keine Leichtgewichte.
Doch wurden sie allesamt durch ein Thema höchster Brisanz und Importanz in den Schatten gestellt. Die Rechtgläubigkeit war in Gefahr! Eine Irrlehre wucherte. Sie breitete sich in Windeseile aus und drohte den orbis christianus zu erobern. Ja, sie schien ihn bereits in großen Teilen zu umklammern: „Der Erdkreis seufzte und stellte verwundert fest, dass er arianisch war“, bemerkte rückblickend der heilige Hieronymus.
Die Rechtgläubigkeit hatte nun aber auf der Prioritätentafel der frühen Kirche ihren Platz ganz oben, weit über Problemen von Struktur und Organisation. Mit der unverbrüchlichen Treue zum empfangenen Glaubensgut steht ja, wie sich Augustinus später ausdrücken sollte, die „Jungfräulichkeit der Braut Christi“ auf dem Spiel.
„Was denkt ihr über Christus? Wessen Sohn ist er?“
Gewiss waren es nicht diese religiösen Motive allein, sondern durchaus auch massive politische Interessen, die den Hintergrund für das Konzil bildeten. Nicht zufällig wurde es durch Kaiser Konstantin höchstselbst einberufen. Ihm, der seit 324 als Alleinherrscher regierte, war an der äußeren wie inneren Einheit des Reiches gelegen. In diesem stellten die Christen längst nicht mehr eine quantité négligeable dar. Die Kirche entwickelte sich hingegen nach den Drangsalen der Verfolgung zusehends in Richtung einer Reichskirche.
So war die Übereinstimmung ihrer Bischöfe in Belangen der Disziplin und des Bekenntnisses in wachsendem Maß auch ein Stabilisator für den Zusammenhalt des Gemeinwesens. Mochte der Kaiser persönlich in dogmatischen Fragen auch unsicher und wankelmütig sein, so musste ihm doch die Klarheit und Beständigkeit der Kirche in ihrer Lehre und Leitung am Herzen liegen. Auf diesem Hintergrund ist der kraftvolle Einsatz Konstantins bei Einberufung und Durchführung des Konzils in Nizäa, seiner Sommerresidenz, zu verstehen.
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Bis das Häresie-Warngeläut mit voller Wucht an das Ohr maßgeblicher Kreise gelangte, verging allerdings einige Zeit. Zunächst wurde in bekannter Manier abgewiegelt. Man fühlt sich an Papst Leo X. erinnert, der in der jenseits der Alpen ausgebrochenen Reformation anfangs nicht viel mehr als „deutsches Mönchsgezänk“ sehen wollte.
Doch wie der Aufstand Luthers ließ sich auch die Sache des Arianismus nicht lange kleinreden. Unter ernsthaften und weitsichtigen Christen setzte sich sehr bald die Einschätzung durch, dass es hier ums Eingemachte ging. Um den Grundbestand des apostolischen Glaubens. Um dessen eigentliches Zentrum. Man sah sich erneut mit der Frage Jesu an die Pharisäer konfrontiert: „Was denkt ihr über Christus? Wessen Sohn ist er?“ (Mt 22,42) Und wieder galt es, mit Petrus zu bekennen: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Mt 16,16)
Heutige Theologen: Wären sie doch wenigstens Arianer!
Aber stellte denn der Presbyter Arius (260-346) die Gottessohnschaft Jesu wirklich in Abrede? Nach eigener Willensbekundung keineswegs. Er wollte sie nur richtig erklären; wollte zeigen, wie sie mit dem strengen Monotheismus zusammengeht. Das muss gesagt werden, um dem ursprünglichen Arianismus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Entgegen unausrottbaren Meinungen degradierte er Christus keineswegs zu einem „Menschen wie du und ich“.
Der oft erhobene Vorwurf an die Adresse heutiger Theologen, die einen solchen „Jesuanismus“ vertreten, sie seien Arianer, ist unzutreffend. Wären sie doch wenigstens Arianer! Gegenüber der Häresie des 4. Jahrhunderts aber nehmen sich ihre Aufstellungen wie kümmerliche Zwerge gegenüber einem Koloss aus.
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Wenn Christus für Arius keineswegs ein gewöhnlicher Sterblicher war, was dann? Seine Antwort: der menschgewordene Logos, das Wort Gottes im Fleisch. Unter dem Logos aber verstand Arius das erste und höchste aus Gott stammende Wesen, seinen „Sohn“. Dessen Hervorgang lag der Schöpfung aller sonstigen Dinge voraus. Und der ewige Vater bediente sich seiner zur Erschaffung der Welt. Der Sohn trägt demnach bei Arius sowohl die Züge der alttestamentlichen Weisheit, der jugendlichen Assistentin Gottes beim Schöpfungswerk, als auch des Demiurgen, des Weltenbaumeisters, und der Weltseele platonischer Tradition, die den Kosmos umfasst und belebt.
Gemäß arianischer Lehre hat kein anderes Wesen eine größere Ähnlichkeit mit Gott als eben der Logos-Sohn. Nur dass es bei solcher Wesensähnlichkeit auch bleiben muss. Denn – so argumentiert Arius – wären Vater und Sohn, diese beiden unterschiedenen Personen, nicht nur wesensähnlich, sondern wesensgleich, dann hätten wir nicht mehr einen einzigen Gott, vielmehr zwei Götter. Folglich kann der Sohn nicht aus der göttlichen Substanz gezeugt und somit dem Vater „konsubstantial“ sein. Sein Hervorgang aus Gott, geschehen vor der Weltzeit, aber nach einer Zeit, in der es den Logos noch nicht gab, war ein Schöpfungsakt.
Glaubensbekenntnis der Arianer: von den Konzilsvätern verrissen und zerrissen
„Geschaffen, nicht gezeugt, verschiedenen Wesens vom Vater“, lautet die entscheidende christologische Aussage der Häresie. Sie setzt sich deutlich von der vorherrschenden kirchlichen Auslegung des Schriftbefundes ab. Man denke hier besonders an den Johannesprolog, an diverse Aussagen desselben Evangeliums über die Einheit des Sohnes mit dem Vater sowie etwa an den von Paulus angeführten „Philipperhymnus“ (Phil 2,5ff.).
Angesichts dieser Wolke an apostolischen und nachapostolischen Zeugen konnten die Konzilsväter von Nizäa die Verneinung der wahren Gottheit des Sohnes nicht auf sich beruhen lassen. Das Glaubensbekenntnis, das ihnen die Anhänger des Arius präsentierten, wurde von ihnen verrissen, mehr noch: es wurde im buchstäblichen Sinne zerrissen. In diesen Kontext fügt sich die Ohrfeige des heiligen Nikolaus harmonisch ein.
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War die „Große und Heilige Synode der 318 Väter“, wie das Konzil von Nizäa im östlichen Bereich der Christenheit gerne idealisierend genannt wird – in Anlehnung an die Errettung des Lot aus Feindeshand durch Abraham und eine Truppe von 318 Männern (Gen 14,14) –, war also diese Synode somit ein rein defensives, verurteilendes, dabei wenig positives und kreatives Unternehmen?
Keinesfalls. Ähnlich dem Propheten, der von Gott über Völker und Reiche gesetzt wurde, um zunächst aus- und niederzureißen, dann aber aufzubauen und neu zu pflanzen (vgl. Jer 1,10), bestand auch die Aufgabe des Konzils zwar zunächst in der Beseitigung der Irrlehre, doch wollte es schlussendlich dem Irrtum die offenbarungsgemäße Wahrheit entgegenhalten.
„Gezeugt, nicht geschaffen; eines Wesens mit dem Vater“
Diese findet sich ebenso klar wie schön im Symbolon Nicaenum ausgedrückt. Es handelt sich dabei um jenes Glaubensbekenntnis, das, auf dem Konzil von Konstantinopel (381) zum Symbolon Nicaeno-Constantinopolitanum erweitert, seit dem Jahr 511 im Osten, seit 1014 auch im römischen Westen fester Bestandteil der Messliturgie ist. Nach ihm ist Jesus Christus
„der eingeborene Sohn Gottes, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht geschaffen; eines Wesens mit dem Vater“.
Damit ist die Richtung für die nachfolgende Zeit und ihre Konzilien gewiesen. Von Nizäa führt der Weg über Konstantinopel und Ephesus (431) zum Konzil von Chalcedon (451). Es ist der Weg der Überwindung häretischer Verkürzungen und Einseitigkeiten hin zum Sieg der katholischen Ganzheit und Fülle.
An der Wegstation in Nizäa wurden die Kämpfer abgelöst. Die alte Garde, die teilweise noch die Ehrenzeichen der überstandenen Verfolgung am Leibe trug, übergab den Nachkommenden die Fackel der Orthodoxie.
Unter diesen ragte die Gestalt des Diakons Athanasius, eines Mittzwanzigers, der den Patriarchen Alexander von Alexandrien begleitete, hervor. Später wurde ihm der Ehrenname „Säule der Kirche“ beigelegt. Zuvor aber musste er als Patriarch von Alexandrien heftige literarische Fehden durchstehen, um seiner Treue zu Nizäa willen die Absetzung als Bischof erleben und fünfmalige Verbannung ertragen.
Ob ihn die Ohrfeige des Nikolaus dabei zuweilen beflügelt und seinem Kampfesgeist Auftrieb verliehen haben mag? Sie schallt jedenfalls bis in die heutigen Auseinandersetzungen um den wahren Glauben fort.
Kommentare
"Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus." (1 Tim 2,5). Vielleicht hätte der die Ohrfeige eher verdient, der sie verteilt hat.
Dann aber auch Tit 2,13 nicht unterschlagen: "während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus".
"der Mensch" heißt eben nicht "nicht der Gott", zwischen dem beiden besteht kein Widerspruch: Gerade das ist der Punkt.
Wohl aber heißt es "der Mensch". Der Heiland ist Gott und Mensch; gerade deswegen kann er der Mittler sein, und zwar in seiner Menschheit (deswegen hier der Ausdruck "der Mensch Christus Jesus"), in der er aber Mittler eben deswegen ist und nur deswegen sein kann, weil er selber ("außerdem") Gott ist. Ein nicht menschgewordener Gott kann nicht Mittler zwischen sich selbst und den Menschen sein, weil "Mittler" heißt, daß man etwas vermittelt. Ein Mensch, der nicht vereint mit Gott wäre, kann aus seiner eigenen Natur heraus nicht Mittler sein zwischen Gott und den Menschen, weil es zwischen dem Schöpfer, der Ist, und dem Geschöpf, das von Ihm aus nichts geschaffen, vor Ihm nichts ist, kein Mittel geben kann.
Eine oft gestellte Frage bei der Begegnung zweier Menschen „woher kommst denn Du?“.
Die Heilige Schrift erzählt in einigen Geschichten davon. Ziemlich vorn im Anfang wird von Noach erzählt, dem Vater von Cham, Shem und Japhet.
Hier wird die Frage erörtert, wo das Kind, sprich der Mensch denn herkommt. Ist immer ein sensibles Thema, nicht ganz so eindeutig, wie es manche gern hätten.
Cham im Menschen antwortet auf diese Frage, das weiß doch jeder, wie Kinder gemacht werden. Das kriegen Kinder heute schon beigebracht, bevor sie es wissen wollen, damit es da keine Zweifel gibt.
Shem im Menschen antwortet, Geist kommt von Geist.
Japhet im Menschen sagt, also die menschliche Seele kommt von Gott und da sind auch die leiblichen Eltern.
Versteht heute noch jemand die Antwort in unserer Kultur, dass der Storch die Kinder bringt? Oder wird das heute nicht von den meisten als lächerliche Geschichte aus der Vergangenheit verunglimpft, als die Menschen noch verklemmt und völlig unwissend waren?
>>Versteht heute noch jemand die Antwort in unserer Kultur, dass der Storch die Kinder bringt?
Nichtrhetorische Frage: Wie soll man die denn verstehen? Mal davon abgesehen, daß sie mit genuiner Unwissenheit (der Erwachsenen) noch nie etwas zu tun hatte, sondern als Verhüllung vor den Kindern (und vielleicht unter "wir wissen, was gemeint ist" auch bei Erwachsenen unter sich) zu verstehen ist... Aber: Was lesen denn Sie in dieser Antwort?
@Nepomuk: Ich glaube, wir haben unterschiedliche Herangehensweisen. Sie sagen im 1. Schritt, dass es auch andere Stellen als 1 Tim 2,5 gebe, nämlich z. B. Tit 2,13. Das trifft natürlich zu! Sie sagen dann im 2. Schritt, dass die Bibel als Ganzes auszulegen sei. Auch das trifft - wie bei jedem Text - zu. Nur im Begriff der Ganzheit unterscheiden wir uns. Sie gehen wahrscheinlich davon aus, dass die Bibel als Ganzes "die heilige Schrift" bzw. inspiriertes Gotteswort sei. Ich stelle darauf ab, dass sie ein Korpus höchst unterschiedlicher Texte verschiedenster Autoren ist, die über einen sehr langen Zeitraum nach und nach entstanden sind und von der Kirche erst nachträglich zum Kanon zusammengefügt wurden, ein Vorgang, in dessen Rahmen überdies viele andere Texte ausgeschlossen wurden. Mithin haben wir zwar ein Ganzes vor uns, das aber - bruchstückhaft - nur dokumentiert, wie Menschen im Lauf der Zeit über Jesus gedacht und nachgedacht haben, weil sie ihn, als unerhörtes Phänomen (Mt 7,28 - 29), vor dem Hintergrund der Parusieverzögerung, im Prozess der Enteschatologisierung, auf den Begriff bringen wollten. Was - in dieser Hinsicht - mit der Lehre von der Trinität gesagt werden soll, ist mir bewusst. Doch gesagt wird es mit den Mitteln einer anderen Zeit. Ergebnis ist, ausgehend wohl auch von bereits jüdischen Vorstellungen eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen (Ex 23, 20 - 23) sowie methodisch vermittelt durch griechische Philosophie, eine Art magischer Materialismus, der sich z. B. im Filioque-Streit zwischen lateinischem Christentum und Orthodoxie bis heute fortschleppt - wenn auch gerade nicht im lebendigen Glauben! Paulus wusste das noch; aber zu seiner Zeit gab es die Vorstellung noch nicht, die dem Dogma der Trinität zugrunde liegt: So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von welchem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus (1 Kor 8, 6).