Fastenzeit und Social Media: Was steckt hinter dem Taufboom in Frankreich?

Es sind Zahlen, die beeindrucken: In Frankreich wurden in der Osternacht in diesem Jahr 10.384 Erwachsene und mehr als 7.400 Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren getauft. Insgesamt sind es also über 17.800 Katechumenen bei den Erwachsenen und Jugendlichen. Dies bedeutet einen Anstieg von sage und schreibe 45 Prozent im Vergleich zu 2024.
Bemerkenswert ist auch, dass es sich um einen Rekord handelt, seit die Französische Bischofskonferenz (CEF) diese Zahlen erhebt. Seit 2002 werden diese Statistiken geführt, und es zeigt sich, dass sich der Trend aus dem Jahr 2024 bestätigt hat. Der Anteil junger Leute an der Gesamtzahl der Katechumenen stellt mittlerweile die Mehrheit dar.
Was die Erwachsenen betrifft, so gehören mittlerweile 42 Prozent der Katechumenen der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen an. Sie haben damit die Gruppe der 26- bis 40-Jährigen überholt, die bisher die größte Altersklasse der erwachsenen Katechumenen stellte. Im Fünfjahresvergleich hat sich die Zahl der 18- 25-jährigen Katechumenen sogar um 150 Prozent erhöht.
Auch die Zahl der jugendlichen Taufbewerber ist in diesem Jahr stark angestiegen. Bei den Diözesen, deren Zahlen aktuell für die beiden aufeinanderfolgenden Jahre 2024 und 2025 vorliegen, ist ein Zuwachs um ganze 33 Prozent zu verzeichnen.
Ein langfristiger Trend?
Bei diesen jüngsten Tendenzen stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich um einen längerfristigen Trend handelt oder nicht. Aus einer Untersuchung durch das katholische Online-Magazin Aleteia geht hervor, dass die Anzahl der Erwachsenentaufen seit 2001 insgesamt stetig zunimmt. Bis 2012 war das Wachstum noch relativ langsam, wurde ab 2017 jedoch stärker. Danach stagnierte der Zuwachs an Taufen bis 2022, und das Covid19-Jahr 2021 ließ die Zahlen sehr zurückgehen.
2023 nahm das Wachstum wieder sehr deutlich zu, um schließlich zu einem starken Anstieg im Jahr 2024 (31 Prozent mehr Erwachsene als 2023 ließen sich taufen) und schließlich zum Rekord an Ostern 2025 zu führen. Es handelt sich also keineswegs um einen reinen Aufhol-Effekt nach der Pandemie.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Zahl der Taufen allgemein – die Kindstaufen also eingeschlossen – in den vergangenen zwanzig Jahren drastisch gesunken ist, ja sich sogar halbiert hat. Im Jahr 2000 gab es in Frankreich noch 400.327 Taufen. 2019 waren die Zahlen bereits auf 204.304 gesunken. Der neuerliche Anstieg der Taufen von Erwachsenen und Jugendlichen hält die Entchristlichung der französischen Gesellschaft derzeit also noch nicht auf.
Selbstverständlich drängt sich auch der Gedanke auf, dass viele der Erwachsenentaufen auf eine Art Nachholeffekt von versäumten Kindstaufen zurückzuführen sind. Dies kann aber nicht hinreichend überprüft werden, da die Altersverteilung der Täuflinge grundsätzlich sehr volatil ist.
Wie kam es zu diesem Taufboom?
Catherine Lemoine, Jugendbeauftragte bei der Französischen Bischofskonferenz, sieht besonders die Altersklasse der 15- bis 25-Jährigen als eine Generation an, die sich im Aufbruch befindet. „Es ist eine Generation, die zu sich selbst steht und sich viel wohler als andere Generationen fühlt, wenn es darum geht, über den Glauben zu sprechen. Die sozialen Netzwerke fördern dies zusätzlich. Sie sind Akteure ihres Glaubens und gehen von sich selbst aus zur Kirche.“
Der Bischof des nördlich von Paris gelegenen Pontoise, Benoît Bertrand, wies darauf hin, dass „es natürlich TikTok mit der katholischen Influencer-Welt gibt, aber eben auch manchmal schwierige familiäre Verhältnisse“. Zudem würde die internationale Situation verstärkt „zu einer Sinnsuche mit bisweilen sehr tiefen existenziellen Fragen über das Leiden, das Leben, die Liebe und den Tod“ anregen.
Sehr auffällig ist, dass bei einer sehr großen Zahl von jugendlichen und erwachsenen Taufbewerbern der Gottesdienstbesuch eine Rolle spielt. Bei einer Umfrage von Aleteia zusammen mit Famille Chrétienne gaben 83 Prozent der Taufbewerber an, dass sie vor dem Eintritt in das Katechumenat zur Messe gegangen sind. Die Messe war also ein Auslöser und zumindest eine echte Unterstützung auf ihrem Weg. 42 Prozent der Katechumenen gingen zudem ohne Begleitung zur Messe, was auf einen sehr persönlichen Entschluss hinweist. Auch das Lesen der Bibel nimmt einen wichtigen Platz im Leben der Taufbewerber ein. 59 Prozent lasen regelmäßig oder gelegentlich die Bibel, bevor sie um die Taufe baten.
Die Rolle von Social Media
Aleteia und das Magazin Famille Chrétienne haben kürzlich mehrere hundert Katechumenen befragt, um etwas über die Beweggründe, sich taufen zu lassen, herauszufinden. Dabei kam heraus, dass Social Media tatsächlich eine große Rolle spielen.
78 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass soziale Netzwerke bei der Entdeckung oder zumindest Vertiefung ihres Glaubens eine Rolle gespielt haben. 46 Prozent der Befragten gaben an, dass dies für sie sogar sehr wichtig war.
Es ist zwar noch schwierig, den tatsächlichen Einfluss der Influencer auf die Katechumenen zu beurteilen. Objektiv sicher ist jedoch, dass 84 Prozent der Katechumenen, die auf die Umfrage geantwortet haben, einem oder mehreren Influencern in sozialen Netzwerken folgen; 58 Prozent sehr regelmäßig, 26 Prozent ab und zu. Sie werden also definitiv auch eine Rolle bei der Begleitung dieser Neugetauften spielen.
Die große Faszination der Fastenzeit
Doch noch ein anderes Phänomen sorgt zusätzlich zu den Erwachsenentaufen seit 2024 in den französischen Diözesen für Aufsehen.
Bei der Aschermittwochsmesse 2024 in der Kathedrale von Amiens traute Xandro Pachta-Reyhofen von der Gemeinschaft Sankt Martin seinen Augen nicht: Hunderte junge Männer und Frauen nahmen an ihr teil. Nach dessen Einschätzung waren ungefähr 90 Prozent der Anwesenden unter 25 Jahre alt. Doch es sollte kein Einzelfall sein. Seine Mitbrüder, in anderen Regionen Frankreichs tätig, erzählten von einem ähnlichen und nie vorher dagewesenen Andrang bei den Gottesdiensten in allen größeren Städten Frankreichs.
Wo kamen so plötzlich all diese jungen Leute her? Wieder scheinen die Sozialen Medien eine Rolle zu spielen. Ein Mitbruder zeigte Xandro Pachta-Reyhofen ein Video mit über 50.000 Likes, in dem ein junges Mädchen dazu einlädt, sich am Aschermittwoch doch einmal mit einem Aschenkreuz segnen zu lassen. Und tatsächlich gibt es im Internet etliche Videos dieser Art.
Der Islam und die islamische Fastenzeit Ramadan spielen sicherlich auch eine Rolle. Das Thema Fasten wird in Frankreich unter Schülern und Studenten offen angesprochen. Möglicherweise möchten christliche Schülerinnen und Schüler ihren muslimischen Mitschülern in nichts nachstehen und sehen sie als eine Inspiration?
Diese Hypothesen sind allerdings bis jetzt nicht durch Umfragewerte abgesichert. Klar ist: Die Faszination für die Fastenzeit bei diesen jungen Leuten ist da und das Aschermittwoch-Ereignis von 2024 hat sich 2025 genau so wiederholt. Mit dem Unterschied, dass die 15- bis 25-Jährigen nur noch zahlreicher waren als im Vorjahr.
Über Weihnachten und Ostern lässt sich das übrigens nicht sagen. Da kamen weiterhin die gewohnten Gottesdienstbesucher. Und natürlich weiß niemand, wie viele von diesen jungen Aschermittwochs-Begeisterten schlussendlich um die Taufe bitten werden.
Eine Chance für die Kirche in Frankreich
Klar ist jedoch: Die katholischen Gemeinden in Frankreich stehen mit der großen Anzahl junger Täuflinge vor einer neuen Herausforderung.
„Die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, besteht darin, Jünger heranzubilden“, so der römisch-katholische Erzbischof von Lyon und Primas von Gallien, Olivier de Germay. „Wir dürfen uns nicht einfach einige Verfahren für die Zeit nach der Taufe ausdenken, sondern unsere gesamten Pfarrgemeinden müssen sich ihrer kollektiven Mission bewusst werden.“
Eine große Aufgabe und gleichzeitig eine große Chance für die Katholische Kirche in Frankreich.
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Kommentare
Mission is possible!
@Heiko Hofmann Apropos mission possible:
https://www.corrigenda.online/kultur/kolumne-von-pfarrer-rodheudt-mission-possible
Bei all den miesen Nachrichten aus aller Welt ist auch mal schön, so was Ermutigendes zu lesen. Ich hoffe, dass es nicht nur ein kurzer Trend bleibt.