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Kolumne „Kaffeehaus“

Das Leben in Fülle

Das leere Grab an Ostern bedeutet viel, ja alles: Sieg über Tod und Finsternis, bedeutet Erlösung und Leben! „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“, heißt es im Johannesevangelium. Ein „Leben in Fülle“ beruht auf Freude und Dankbarkeit – das schließt den körperlichen Genuss nicht aus. Wenn man hinter die deutsche Übersetzung blickt, bedeutet das griechische perisson wörtlich „Überfluss“. Ein Leben, das sprudelt wie ein Champagner.

Im vergangenen Herbst stand ich am Grab des Benediktinermönchs und Champagner-Erfinders Dom Pérignon, während die letzten warmen Sonnenstrahlen die Abtei im charmanten französischen Dörfchen Hautvillers beleuchteten. Wie würde wohl unsere abendländische Kultur ohne den katholischen Glauben aussehen, überlegte ich. Und gerade die malerische Provinz Champagne zeigt, dass sich der Glaube und der Genuss nicht widersprechen: Die Stadt Reims mit einer der bedeutendsten und schönsten gotischen Kathedralen wird von unzähligen Weinbergen und Kellern umgeben, von denen der kostbare, perlende Schaumwein in die ganze Welt transportiert wird. 

Was wäre Europa ohne seine Kathedralen, Bilder und Statuen, die Jesus und Madonna abbilden und ohne seine Lebensfreude, die sich vor allem in katholischen Regionen Europas so gut widerspiegelt. Ob nun die Toskana, Loire oder Rioja – sie sind nicht nur Hochburgen der Kulinarik, sondern auch die Keimzellen des katholischen Abendlandes. Ebenso die katholischen Regionen des deutschsprachigen Raumes, wo Fröhlichkeit, Bierzelte und der liebe Gott seit Jahrhunderten eine Harmonie bilden. 

Frömmigkeit und Lebensfreude gehören zusammen

Denn Frömmigkeit und Lebensfreude gehören zusammen. Bei guten Speisen und Getränken geht es um viel mehr als nur darum, satt zu werden: es wird eine lebensbejahende und dankbare Haltung dem Schöpfer gegenüber demonstriert und Gemeinschaft gefeiert.

Ähnlich wie beim gestrigen Agape nach der Ostervigil. Das fröhliche Beisammensein mit Sekt und kleinen Häppchen setzt die vierzig Tage Fasten und drei Stunden Gebet und Gesang voraus. Und wie jedes Jahr, stellte sich auch diesmal die Frage, ob man den Kindern diese Anstrengung, aber gleichzeitig ein Erlebnis für den Geist und die Sinne, zumuten kann. 

Doch einmal im Jahr gehen wir das Risiko an, dass die Kinder mit kleinen Augen die Geheimnisse des Glaubens aufsaugen und im Notfall den müden Kopf auf meinen Schoss legen.

Höhepunkte wie das Anzünden der Osterkerze oder die Allerheiligenlitanei, in der ihre Namen vorkommen, machen die Besonderheit der Stunde deutlich. Wenn man wohlverdient nach Säften, Wurst und Chips greifen kann, erlebt man diese Logik ganz konkret. „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn – wenn Fasten, dann Fasten“, beschrieb den guten Umgang mit Verzicht und Genuss die hl. Teresa von Avila. Die Fastenzeit und anschließende Osterfreude symbolisieren die Balance des erfüllten Lebens. 

Im protestantisch geprägten Deutschland erlebe ich oft eine Grundskepsis gegen alles Körperliche und Genüssliche. Dabei sind ein oberflächlicher Hedonismus und ein fröhlich gelebter Auferstehungsglaube voneinander klar zu unterscheiden. Der eine erwartet sich vom Leben einen größtmöglichen Genuss, der andere nimmt alles aus der Hand des Schöpfers an, so wie es kommt. 

Der Christ weiß um die Vergänglichkeit – und freut sich

Als Absolventin eines Theologiestudiums in Deutschland weiß ich, dass die moderne Theologie diesen auch nicht mehr kennt. Eine von mir geschätzte Professorin verfasste vor einiger Zeit einen Artikel, in dem sie das „Leben in Fülle“ kategorisch ablehnte. Es sei nicht erstrebenswert, denn man habe bereits alles und man hat es jeden Tag. 

Heute würden wir ohnehin in einer „Überfluss-Gesellschaft“ leben. Gerade diese beliebte Professorin war es aber, die mit ihren Studenten statt zur ersten Vorlesung an der Universität lieber Eis essen ging, und die einen Ausflug nach Prag organisierte, zu dem selbstverständlich das Pilsner und Gulasch mit Knödeln gehörte. So einfach lässt sich die innere katholische Prägung auch nicht ablegen.

Ein „Leben in Fülle“ bedeutet viel mehr als nur Genuss: es ist eine dankbare Haltung des Herzens, die sich aus dem Wissen über unsere Erlösung nährt. Der Christ lebt aus dem Kontrast zwischen dem Verzicht und der Fülle. Er weiß, dass das Leben nicht nur aus Sonnenseiten besteht und viele Anstrengungen bringt. 

Er weiß um seine menschliche Schwäche und Vergänglichkeit. Deshalb erfreut er sich an den schönen Seiten des Lebens und nimmt sie voller Freude an. Sie sind ein Geschenk und erfrischend wie ein Glas perlenden Weins.

 

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Kommentare

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Kommentar
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Andreas Graf
Vor 1 Monat

Ein Christ weiß das Leben in Fülle bei Gulasch und Knödeln durchaus zu schätzen. Da stimme ich der Kaffeehaus-Theologin zu. Ob es allerdings ratsam ist, die Schönheiten des Lebens ausschließlich nur noch durch das Smartphone wahrzunehmen, wie es das obere Bild suggeriert, wage ich zu bezweifeln. Das ist mir zu modern. Das gehört nicht zur Haute Cuisine des guten Geschmacks. Das ist ein kultureller Verfall.

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Isis Alina Klinken
Vor 1 Monat

Die Menschen da fotografieren das ja nur, aber es stimmt schon, dass man nicht immer alles fotografieren muss, schöner ist, wenn etwas im Herzen abgespeichert wird.

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Josef H.
Vor 3 Wochen

Kristina, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. Die beiden Kommentare vor mir haben - leider- Ihr Anliegen nicht verstanden. Sie sind geprägt von protestantischer Säuerlichkeit, die auch unter Katholiken ihr Unwesen treibt. Eugen Biser, ein bekannter kath. Theologe, erzählt in einem seiner Bücher von seiner Studienzeit in Rom. Der Spiritual salzte vor den Augen der Studenten sein Frühstück in der Absicht, dass der Genuss reduziert wurde. Das gab er den Studenten offensichtlich auch als Empfehlung für priesterliches Verhalten mit. Hätte Jesus jemals so einen neurotischen Unsinn praktiziert?
Nochmal: Es war schön, Ihren Artikel zu lesen.

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Andreas Graf
Vor 1 Monat

Ein Christ weiß das Leben in Fülle bei Gulasch und Knödeln durchaus zu schätzen. Da stimme ich der Kaffeehaus-Theologin zu. Ob es allerdings ratsam ist, die Schönheiten des Lebens ausschließlich nur noch durch das Smartphone wahrzunehmen, wie es das obere Bild suggeriert, wage ich zu bezweifeln. Das ist mir zu modern. Das gehört nicht zur Haute Cuisine des guten Geschmacks. Das ist ein kultureller Verfall.

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Isis Alina Klinken
Vor 1 Monat

Die Menschen da fotografieren das ja nur, aber es stimmt schon, dass man nicht immer alles fotografieren muss, schöner ist, wenn etwas im Herzen abgespeichert wird.