Direkt zum Inhalt
Kolumne „Der schweizer Blick“

Gelebte Doppelmoral

Die Ereignisse verliefen nur zufällig parallel. Aber das zeitliche Zusammentreffen zeigt, welche unterschiedlichen Maßstäbe Politiker an sich und andere legen. Was beim Gegner als unverzeihlich gilt, darf man selbst ruhig ausleben.

Im Endspurt des nationalen Wahlkampfs, der am 22. Oktober enden wird, versuchten die Medien in Tateinheit mit links-grünen Politikern, die rechtsbürgerliche Seite unwählbar zu machen. Mühsam wurde eine angebliche Zusammenarbeit zwischen der größten Partei, der rechtskonservativen SVP, mit rechtsextremen Kreisen konstruiert. Dafür reichte es schon, dass sich das Mitglied einer umstrittenen Gruppe an einen für jeden zugänglichen SVP-Anlass verirrte. Der Tenor: Die Partei öffne sich gegen weit rechts.

Am lautesten keifte das jungsozialistische Lager, die Nachwuchstruppe der an der Regierung beteiligten Sozialdemokraten. Sie zelebrierte die Kontaktschuld. Ein Selfie, das der arglose Präsident der SVP mit zwei jungen Frauen schoss, die er nicht kannte und die offenbar zu einem rechten Netzwerk gehören, war ihnen Steilvorlage genug für die These, er verbrüdere sich mit Rechtsradikalen.

Der von Sozialdemokraten zelebrierte „palästinensische Befreiungskampf“ pausiert

Schlagzeilen dieser Sorte sind aufgrund tragischer Ereignisse in den Hintergrund gerückt. Seit dem Massaker der Hamas unter israelischen Zivilisten sind die Linken selbst schwer unter Druck. Ihr Einsatz für ein freies Palästina und ihre Dauerkritik an Israel lesen sich nun ganz anders. Einige Sozialdemokraten haben es immerhin geschafft, das Offensichtliche auszusprechen: Wir haben es mit Terrorismus zu tun, der auch so bezeichnet werden muss. Es ist daher auch ein ungünstiger Zeitpunkt, den „palästinensischen Befreiungskampf“ ins Zentrum zu rücken.

Diese Front war allerdings nicht einheitlich. Das sozialistische Jungvolk konnte selbst angesichts der jüngsten Ereignisse nicht von seiner solidarischen Linie abweichen. Fabian Molina, sozialdemokratischer Nationalrat, der seine Karriere dem einstigen Engagement bei den Jungsozialisten verdankt, preschte vor. Auf X, vormals Twitter, verurteilte er die „Gewalteskalation“, und zwar die „bei der Zivilbevölkerung in Israel und Palästina“. Gleichzeitig forderte er, Israel dürfe nun keine Zivilisten angreifen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. 

Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Molinas Schwerpunkt war klar. Seine Aufmerksamkeit galt nicht den brutal massakrierten Israeli, sondern möglichen Opfern eines Gegenschlags. Damit setzte er auch kurzerhand den heimtückischen Überfall der Hamas mit den umgehenden Verteidigungsaktivitäten der israelischen Armee gleich. Ein bisschen so, als würde man sich über die Polizei beklagen, wenn die einen Amokläufer erschiesst, der gerade ein Blutbad in einer Schule angerichtet hat.

Keine klare Abgrenzung zur „Free Palestine“-Fraktion

Es kommt noch bizarrer. Wenige Tage nach dem Hamas-Angriff wollte eine kommunistische Gruppierung an drei Schweizer Universitäten eine Veranstaltung durchführen unter dem folgenden Titel: „Solidarität mit Palästina – Intifada bis zum Sieg“. Ob es in diesen Tagen wirklich Palästina ist, welches der Solidarität bedarf, ist diskutabel. Nach einem Massaker an Zivilisten eine Weiterführung des Kriegs „bis zum Sieg“ zu fordern, ist nicht einmal das. Eine klare Abgrenzung der „Free Palestine“-Fraktion unter linken Politikern suchte man danach vergeblich. Man habe nichts mit den Veranstaltern zu tun, ließen die Jungsozialisten verlauten. Ohne ein kritisches Wort über diese. Man verurteilt eben lieber und schneller bei der anderen Seite.

Die Doppelmoral ist unübersehbar. Es ist also verwerflich, sich an einem bierseligen Anlass im selben Festzelt aufzuhalten wie jemand, der dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet wird, selbst wenn man nicht einmal weiß, dass er dort ist. Aber es ist völlig in Ordnung, angesichts von über tausend unschuldigen Opfern in Israel weiter unverdrossen Palästina die Stange zu halten und sich für den „Befreiungskrieg“ auszusprechen, der gerade einen traurigen Höhepunkt erreicht hat.

„Das Gute“ darf auch mit unlauteren Mitteln durchgesetzt werden

Dazu passt, dass das öffentlich-rechtliche Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) nach wie vor von „Kämpfern der Hamas“ spricht und nicht etwa von Terroristen. Technisch begründen lässt sich das damit, dass die Schweiz die Hamas noch nicht offiziell als terroristisch eingestuft hat. Nur jault da der gesunde Menschenverstand laut auf. Das waren also lediglich „Kämpfer“, die wie Heuschrecken über ein Musikfestival absprangen und wahllos Menschen niedergemetzelt haben?

Das Muster ist immer dasselbe. Wer sich für „das Gute“ einsetzt, muss sich selbstredend nicht rechtfertigen, wenn diese Mission plötzlich in Blutvergießen endet. Dann klammert man sich an das übergeordnete Ziel, das ja schließlich edel ist. Auf diesem Weg gibt es eben Kollateralschäden. Aber wer sich nicht spätestens nach den jüngsten Ereignissen klar von „Intifada bis zum Sieg“ distanziert, sollte vielleicht wenigstens zurückhaltend dabei sein, andere wegen eines harmlosen Selfies anzugreifen.

14
2

1
Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar
0
H.u.P.Dornfeld
Vor 6 Monate 2 Wochen

Ganz allmählich traut man sich in Dtld., muslimischen/eingewanderten und sogar linken Antisemitismus zu benennen. Dem geläufigen Narrativ von der einseitigen Vertreibung der Palästinenser durch Juden, ist entgegenzuhalten, dass es weit vor der Gründung des Staates Israel arabische Judenvertreibungen gab, überraschenderweise nachzulesen in der linken taz: https://taz.de/Arabische-Juden/!5894964/ Und Prof. Michael Wolffsohn vertritt sogar die These, "dass der Staat Jordanien, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus Palästinensern besteht und dessen Staatsgebiet zumindest vorübergehend zum Mandatsgebiet Palästina gehörte, Teil eines zu schaffenden Palästinenserstaates sein müsse und werde." Aber die Sorge vor dem allgegenwärtigen Generalverdacht gegen Muslime lässt die MM das lieber nicht so verbreiten,
mit Ermahnungen an Israel tut man sich leichter.

0
H.u.P.Dornfeld
Vor 6 Monate 2 Wochen

Ganz allmählich traut man sich in Dtld., muslimischen/eingewanderten und sogar linken Antisemitismus zu benennen. Dem geläufigen Narrativ von der einseitigen Vertreibung der Palästinenser durch Juden, ist entgegenzuhalten, dass es weit vor der Gründung des Staates Israel arabische Judenvertreibungen gab, überraschenderweise nachzulesen in der linken taz: https://taz.de/Arabische-Juden/!5894964/ Und Prof. Michael Wolffsohn vertritt sogar die These, "dass der Staat Jordanien, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus Palästinensern besteht und dessen Staatsgebiet zumindest vorübergehend zum Mandatsgebiet Palästina gehörte, Teil eines zu schaffenden Palästinenserstaates sein müsse und werde." Aber die Sorge vor dem allgegenwärtigen Generalverdacht gegen Muslime lässt die MM das lieber nicht so verbreiten,
mit Ermahnungen an Israel tut man sich leichter.