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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Schweizer loben nicht

Ed McMullen war vier Jahre lang US-Botschafter in der Schweiz. Er kennt das Land, er mag es, und er kehrt auch immer wieder hierher zurück, weil er Freunde gewonnen hat. Das alles schildert er in einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger.

Außerdem lobt er die Qualitäten der Schweiz als Staat. Dank ihrer Neutralität und ihrem guten Ruf habe sie immer wieder erfolgreich in Konflikten vermittelt, in denen die USA nicht als Gesprächspartner akzeptiert waren. Die Eidgenossenschaft sei das „Powerhouse in der Mitte Europas“, stabil, erfolgreich und ein „hell leuchtendes Licht für den Kapitalismus und den freien Markt“.

Da errötet man als Schweizer schon fast, auch wenn der Absender des Lobs ein Diplomat ist, dessen Berufung darin besteht, anderen den Schmus zu geben. Allerdings ist McMullen 2021 von seinem Amt in Bern abgetreten und in die USA zurückgekehrt. Er ist also nicht mehr gezwungen, ein süßes Lied auf die Schweiz zu flöten und meint daher wohl, was er sagt.

Selbstkritik als Lebensmotto

Einiges davon ist zudem belegbar. Eine tiefe Arbeitslosigkeitsrate, eine starke Industrie mit großem Exportanteil, gesunde Staatsfinanzen, eine funktionierende Währung: Die Statistik spricht für die Schweiz. Die Neutralität ist zwar kein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Im Sinn von „bündnisfrei“ trifft das in Europa auf ein gutes halbes Dutzend Staaten zu. Aber kein anderer hat sich den Ruf des neutralen Vermittlers so hart und verlässlich erarbeitet wie die Schweiz.

Das sehen fast alle so – mit Ausnahme vieler Schweizer. Sie sehen ihre Heimat deutlich kritischer als das die Außenwelt tut. Vor allem Historiker suchen unter jedem Stein nach Dreck. Kolonialismus, Sklaverei, Nationalsozialismus: Wann immer sich in der Geschichte etwas Übles abgespielt hat, war die Schweiz laut ihnen federführend dabei. Nur deshalb wurde sie so reich – und deshalb sollte sie sich nun gehörig schämen, statt den Status zu genießen.

Selbstreflexion ist ein gesunder Charakterzug. Selbstkritik ist dann und wann durchaus heilsam. Aber was in der Schweiz gelebt wird, mündet nicht selten in purer Selbstzerfleischung. In Irland erheben sich die Menschen im Pub bei der letzten Runde zu den Klängen der Nationalhymne, in der Schweiz diskutiert man, ob die alte Melodie noch zeitgemäß ist. Anderswo wehen die Landesflaggen in fast jedem Vorgarten im Wind, in der Schweiz nützt man einen Krieg, um an öffentlichen Orten eine fremde Flagge hissen zu dürfen. Alles ist besser als die Eigene.

Opportunistisch und feige

Die Schulen helfen, dieses Bild zu zementieren. Die Gründung der Eidgenossenschaft mit ihrem historischen Schwur, die erfolgreich geschlagenen Schlachten, die Unabhängigkeit über Jahrhunderte: Es findet nur noch in Nebensätzen statt. Angesagt ist dafür die Selbstgeißelung. Die Botschaft ist klar: Unser Reichtum ist das Ergebnis von menschenverachtendem Opportunismus, Neutralität ist ein anderes Wort für Feigheit. Hinter dem Stolz auf das eigene Land wird Nationalismus und Abschottung gewittert, und das muss den Heranwachsenden früh ausgetrieben werden.

Ein Beispiel dafür: Zehntausende von Juden fanden während der Herrschaft des Nationalsozialismus Zuflucht in die Schweiz. Thematisiert wird aber nur, dass an den Grenzen auch Juden abgewiesen wurden. Neue wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass die Zahl der Betroffenen viel tiefer ist als früher behauptet. Schulbücher kennen aber weiterhin nur ein Thema: wie unmenschlich die Schweiz damals agiert habe.

Zwischen kollektiver Hirnwäsche und Führerverehrung wie in Nordkorea und dem dauernden Selbsthass der Schweiz müsste es eigentlich eine gesunde Mitte geben. Als Individuen ringen wir permanent um diese Position. Wir müssen uns selbst mögen und ganz in Ordnung finden, sonst ist der Gang zum Therapeuten vorprogrammiert. Aber wir dürfen ruhig gleichzeitig an einer Optimierung arbeiten und besser werden. Dasselbe gilt auch für einen Staat. Aber der Zeitgeist spricht dagegen.

Das Haar in der Suppe

Siedeln sich internationale Konzerne in der Schweiz an, freuen wir uns nicht darüber, so attraktiv zu sein, sondern kritisieren die zu lasche Steuerpolitik und beklagen uns über steigende Mieten in den Zentren durch ausländische Fachkräfte. Die Bahn fährt pünktlich, die Straßen sind sauber, und die Wirtschaftsmetropole Zürich landet in Rankings regelmäßig unter den Städten mit der größten Lebensqualität. Damit bloß keine Freude aufkommt, diskutieren wir dann darüber, ob es noch opportun sei, dass einige historische Gebäude dort das Wort „Mohr“ im Namen tragen. Und ist da nicht eine Straße benannt nach einem, der laut neuesten Forschungsresultaten mal eine rassistische Schrift publiziert hat?

Was treibt uns da an? Wer hat uns beigebracht, dass es zu einer besseren Welt beiträgt, wenn wir uns selbst hassen? Wieso soll es zum Weltfrieden beitragen, wenn wir an der bewährten Neutralität rütteln?

Das wären Fragen, die unterbeschäftigte Historiker zur Abwechslung angehen könnten. Aber zuerst gilt es, die dunklen Kapitel der Schweiz auszuleuchten. Auf dass jedem klar werde: Wir haben das alles nicht verdient.

 

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Kommentare

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Kommentar
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PD
Vor 2 Monate

Klingt, als hätte der linke Meaculpismus auch die Schweiz erreicht!

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Benjamin
Vor 2 Monate

"Kolonialismus, Sklaverei, Nationalsozialismus". Lieber Stefan, Du hast die Verdingkinder vergessen! Geht also gar nicht!

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PD
Vor 2 Monate

Klingt, als hätte der linke Meaculpismus auch die Schweiz erreicht!

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Benjamin
Vor 2 Monate

"Kolonialismus, Sklaverei, Nationalsozialismus". Lieber Stefan, Du hast die Verdingkinder vergessen! Geht also gar nicht!