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Meinungsfreiheit an Universitäten

Wenn politisch abweichende Social-Media-Posts für Tadel sorgen

David Duhme bezeichnet sich als Anhänger des Liberalismus. Als dieser postet er auf seinem „X“- (vormals Twitter) Account Inhalte, die viele liberal Gesinnte gut finden: Elon Musk-Zitate, Pro USA-Content, Verteidigung der Meinungsfreiheit und des Kapitalismus, Kritik an Wokeness, Kommunismus und einem übermächtigen Staat. Regelmäßig bezeichnet der 22-Jährige auf „X“ Länder wie Afghanistan, China, Russland, Saudi-Arabien oder Uganda, Staaten, deren Rechtsgrundlage die Scharia ist, in denen der Kommunismus oder Diktaturen herrschen und/oder die die Menschenrechte einschränken, als „shitholes“.

Doch mit diesen Posts zog sich Duhme Tadel seiner Universität zu: Ende August erhielt er eine E-Mail einer Mitarbeiterin der Technischen Universität Berlin, wo Duhme im siebten Semester Verkehrswesen mit der Spezialisierung Luft- und Raumfahrttechnik studiert. In der E-Mail, die Corrigenda vorliegt, schreibt die Mitarbeiterin, die in ihrer Signatur die Pronomen „sie/ihr“ angibt: „Wir sind auf Posts hingewiesen worden, die offenbar auf Ihrem X(Twitter)-Account erschienen sind. Die Kritik richtete sich auf die mehrfach angewendete Wortwahl shithole als Bezeichnung anderer Länder.“

Sie verweist auf den Satz im Leitbild der TU Berlin, in dem steht: „Wir berücksichtigen die Pluralität der Weltbilder und Lebensformen explizit auch in Lehre und Forschung.“ Von Duhme als „Student und künftiger Absolvent der TU Berlin“ wünscht sich die Universität, dass er „diese pluralistische Sichtweise“ mittrage und „entsprechend sensibel nach außen“ agiere.

Vorschau E-Mail einer TU Berlin-Mitarbeiterin an David Duhme
Diese E-Mail schickte eine TU Berlin-Mitarbeiterin am 25. August an David Duhme

„Ich werde das auch weiterhin tun“

David Duhme verfasste daraufhin eine Antwort an die Mitarbeiterin, die Corrigenda vorliegt, in der er zu seinen Aussagen Stellung bezieht – obwohl er es für „höchst unangemessen“ findet, „von offizieller Seite“ für seine persönlichen politischen Aussagen kritisiert zu werden.

Duhme schreibt, dass es sich bei den von ihm als „shithole“ bezeichneten Staaten um solche handelt, die unter anderem „nicht demokratisch sind, individuelle Freiheiten extrem einschränken, Minderheiten diskriminieren“ oder „häufig Frauen rechtlich geringer einstufen“. „Aufgrund dieser traurigen Realitäten habe ich diese Staaten als ‘shitholes’ bezeichnet – und werde das auch weiterhin tun“, erklärt er in der E-Mail.

Dann kritisiert der Student, dass die TU Berlin als „weltoffene Einrichtung“ zu „keinem Zeitpunkt zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte Stellung bezogen“ habe. „Insbesondere nicht zu dem vor kurzem medienwirksam beschlossenem Gesetz Ugandas, welches Homosexualität kriminalisiert und potenziell mit dem Tode bestraft.“ Darüber zu schweigen, „sich allerdings nach außen hin als weltoffen zu präsentieren, inklusive dem sehr prominenten Zeigen der sogenannten pride progress flag“, wirke auf ihn zynisch.

Eine Antwort auf sein Schreiben erhielt Duhme bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht. Auf X veröffentlichte er allerdings die E-Mail der Universität wie auch seine Antwort – und erntete dafür über 1.500 Likes und über 200 Kommentare.

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Politische Gegner könnten Posts bei Uni gemeldet haben

Gegenüber Corrigenda sagt der Student, er wisse nicht, wer die Universitätsleitung auf seine X-Posts aufmerksam gemacht hat. „Ich habe keinerlei Feindschaften oder dergleichen mit irgendwelchen Studenten“, sagt er. „Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass ein politischer Gegner auf X sich erhofft hat, mir durch das Melden bei meiner Uni (welche in meinem Profil markiert ist) zu schaden“, glaubt Duhme. Er diskutiere gern und häufig, auch mit Personen, die politisch anders denken als er.

An der TU Berlin nehme Duhme unter den Studenten und tendenziell auch bei dem Personal eine „deutlich linke politische Tendenz“ wahr.

Der Politologe Richard Traunmüller forscht am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim zum Thema Meinungsfreiheit und Cancel-Culture. 2020 sorgte er deutschlandweit für Schlagzeilen, als er und ein Kollege an der Frankfurter Goethe-Universität bei der Erhebung „Ist die Meinungsfreiheit an der Universität in Gefahr?“ unter Studenten der Sozialwissenschaften eine überraschend hohe Bereitschaft festgestellt hatten, die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Die Umfrage ergab unter anderem, dass mehr als jeder Dritte dagegen war, kontroverse Redner zu den Themen Gender oder Zuwanderung an der Uni zu dulden.

„Der Fall zeugt nicht von toleranter und offener Universitätskultur“

Zu dem Fall an der TU Berlin sagt Traunmüller gegenüber Corrigenda: „Dass sich eine Universitätsmitarbeiterin – offenbar aufgrund von Meldungen durch anonyme Dritte – dazu berufen fühlt, über botmäßige und unbotmäßige Äußerungen in den sozialen Medien zu urteilen, zeugt nicht gerade von jener toleranten und offenen Universitätskultur, die so gerne beschworen wird.“ Das Verhalten der TU Berlin entspreche „genau jenem illiberalen und politisch einseitigen Muster, das inzwischen auch mit Daten gut belegt ist“. 

Dass Universitäten auf ihre Außenwirkung und die öffentlichen Äußerungen ihrer Angestellten bedacht sind, hält Traunmüller prinzipiell für verständlich und nachvollziehbar. „Der konkrete Vorgang, bei dem es sich um die privaten Äußerungen eines Studenten handelt, scheint mir allerdings anders gelagert und eher befremdlich“, äußert der Politologe.

Eine Corrigenda-Anfrage bei der Pressestelle der TU Berlin zu einer Stellungnahme zu dem Vorfall blieb bis Erscheinen unbeantwortet.

Seit Juli sind rund 90.000 Unternehmen in Deutschland gesetzlich verpflichtet, Meldestellen für Straftaten einzurichten. Kritiker nennen diese gerne „Petz-Portale“. Die Meldestellen müssen auch bußgeldbewehrte Delikte (dazu zählen zum Beispiel das Überfahren einer roten Ampel oder Falschparken) sowie Äußerungen von Beamten, „die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“, verfolgen.

Universitäten müssen keine Meldestellen einrichten. Trotzdem macht Denunziation auch vor ihren Toren nicht Halt, wie der Vorfall an der TU Berlin zeigt.

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Kommentar
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Johann Wutzlhofer
Vor 7 Monate 3 Wochen

Keine Toleranz für Intoleranz, da dies als Akzeptanz verstanden wird. Warum soll ich die Verletzung der Menschenrechte nicht benennen?

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Helene Dornfeld
Vor 7 Monate 3 Wochen

Die Toleranz für andere Meinungen nimmt ab, Wokismus nimmt zu. Das christliche Wort zum Tag des SWR2 bestand heute, 13.9.23, kurz vor 8, aus dem Lob einer katholischen Pastoralreferentin für die neuen queeren Ampelfiguren. Darin erkennt sie Lobpreis für Gottes vielfältige Schöpfung und wünscht sich mehr davon (https://www.kirche-im-swr.de/beitraege/?id=38290).

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Johannes
Vor 3 Wochen 3 Tage

Gewagte Aussagen von jemand der offen zugibt dass er findet dass Holocaustverharmlosung und Relativierung legal sein sollten

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Johann Wutzlhofer
Vor 7 Monate 3 Wochen

Keine Toleranz für Intoleranz, da dies als Akzeptanz verstanden wird. Warum soll ich die Verletzung der Menschenrechte nicht benennen?

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Paul Dornfeld
Vor 7 Monate 3 Wochen

Zu den Menschenrechten gehören bürgerliche und politische Freiheits- und Beteiligungsrechte.
Der MDR-Chefjournalist Michael Voß kommentierte die Wahl des AfD-Landrates in Sonneberg so: “Schützt die #Demokratie und boykottiert den Landkreis Sonneberg im Tourismus, in der Wirtschaft und auf allen Ebenen. Es darf später nicht wieder heißen, man habe es nicht gewusst.“
Der Sender distanzierte sich verhalten, es sei Privatmeinung gewesen. Ob der Student so glimpflich davonkommt, ist fraglich. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist intolerant. Auf seinem Blog verweist Herr Voß ausdrücklich auf seine Zugehörigkeit zum aktiven Christentum. https://michael-voss.eu/christliches/ Dafür ist er erschreckend gnadenlos gegenüber Andersdenkenden.

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Helene Dornfeld
Vor 7 Monate 3 Wochen

Die Toleranz für andere Meinungen nimmt ab, Wokismus nimmt zu. Das christliche Wort zum Tag des SWR2 bestand heute, 13.9.23, kurz vor 8, aus dem Lob einer katholischen Pastoralreferentin für die neuen queeren Ampelfiguren. Darin erkennt sie Lobpreis für Gottes vielfältige Schöpfung und wünscht sich mehr davon (https://www.kirche-im-swr.de/beitraege/?id=38290).