Ohne Gott geht es nicht
Von der päpstlichen Weihnachtsansprache und den Sozialenzykliken führt eine klare gedankliche Linie zum christdemokratischen Programm von Neheim-Hüsten (1. März 1946), das Konrad Adenauer wesentlich prägte. Die Christdemokratie wolle ein neues, ein anderes Deutschland aufbauen, heißt es in der Präambel: „Die Epoche, in der die materialistische Weltanschauung in Deutschland die geistige Grundlage wurde, Staat, Wirtschaft und Kultur beherrschte, soll zu Ende sein. Auch der Nationalsozialismus wurzelte in dieser Weltanschauung, er führte die ihr entstammenden Grundsätze bis zur äußersten Konsequenz durch.“ An die Stelle der materialistischen müsse wieder die christliche Weltanschauung treten.
Für Christen, die sich heute nicht aus dem öffentlichen Leben verabschieden wollen, gilt umso mehr, wozu Adenauer schon 1952 aufforderte: „Jeder von uns und namentlich jeder von uns katholischen Christen ist verpflichtet, mitzutun und mitzuhandeln, denn, glauben Sie: Es geht darum, ob Europa christlich bleibt oder ob Europa heidnisch wird.“
Wer diese Mahnung beherzigt, sieht in Adenauers Christnacht in Maria Laach keine idyllische Kulisse, sondern eine Kraftquelle, die sich auch heute erschließen lässt: nicht als Gefühl, sondern als mönchische Disziplin. Als Kanzler dankte Adenauer für die Herausgabe eines Laienbreviers: Das Chorgebet schätze er besonders seit jener Zeit in Maria Laach; er erhoffe sich davon „Licht und Kraft in der großen Not der Gegenwart“. Warum sollte dies nicht auch heute gelten? Adenauers Weihnacht in Maria Laach erinnert daran, dass politische Erneuerung selten mit Lautstärke beginnt, sondern mit einer inneren Wende – mit einer Christnacht, die den Menschen lehrt, wer er ist und wie er seine Berufung findet.
Als Bundeskanzler stiftete Adenauer ein Bleiglasfenster für den Westchor der Abteikirche, auf dem man seinen Namen lesen kann. Es zeigt Johannes den Täufer, der auf das Lamm Gottes weist, das hinwegnimmt die Sünden der Welt – „Ecce Agnus Dei, ecce qui tollit peccata mundi“ – mit den Aposteln Andreas und Johannes.
Von ihnen heißt es auf dem Fenster: „Et secuti sunt Jesum“ – Und sie folgten Jesus nach, während sich im Hintergrund die Schlange windet – Symbol beständiger Bedrohung. Dieser Hinweis und Ruf sind zeitlos.
Zur Weihnachtszeit brachten die Mönche Adenauer jährlich „den größten Karpfen aus dem Laacher See“ in sein Rhöndorfer Wohnhaus, außerdem schenkten sie ihm einen Gebetsstuhl mit der Aufschrift „Ora et labora“ – Bete und arbeite! – als Erinnerung an seinen Unterschlupf bei ihnen.
Als ihn Rudolf Augstein im Oktober 1948 mit journalistischem Instinkt „als kommenden Mann“ besuchte, ließ er die Spiegel-Leser wissen: „Ein Gebetsstuhl trägt die Aufschrift ‘Maria Laach 1933–34’.“ Wo er denn gestanden habe, wurde Adenauers jüngster Sohn gefragt. „In einer Ecke des Arbeitszimmers vor einem Kreuz. Wenn ich hereinkam und meinen Vater dort beten sah, kehrte ich um und schloss leise die Tür.“ Heute steht dieser Gebetsstuhl in der Ausstellung des Adenauerhauses.
Adenauers Weihnachten in Maria Laach kennzeichnet eine geistliche Wende im Leben des späteren Bundeskanzlers. Als „alte Quelle neuer Kraft“ verleiht die Christnacht Standhaftigkeit als Haltung. Denn der „Friede auf Erden“, den die himmlischen Heerscharen verkündeten, ist nur dann echt, wenn er Freiheit, Gewissen, Familie und religiöses Leben schützt – geistig, aber auch materiell. Ein „Kirchhofsfrieden“ zählt nicht.
› Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge
Vor allem verweist Adenauers Weihnachten auf die Wurzel des europäischen Neubeginns nach einem katastrophalen Untergang: auf die unantastbare Würde des Menschen, dem der „Schöpfer des Menschengeschlechts […] mit seinem Kommen seine Gottheit geschenkt hat“. Dies ist die Letztbegründung der Christdemokratie; Maria Laach steht für ihre geistliche Quelle, Aachen für die politische Gestalt eines Europas, das ohne sein christliches Fundament zu zerbrechen droht.
Nüchtern fasst die Geschichtswissenschaft die christdemokratische Aufbauära zusammen:
„Den Katholiken fiel die schnelle Identifikation mit der Bundesrepublik leichter als den Protestanten. Die katholische Kirche begriff Westdeutschland von Anfang an als ‘ihren’ Staat und wollte ihn umfassend mitgestalten. […] Sie besaß ein klares Konzept, das auf dem christlichen Naturrecht sowie auf der katholischen Soziallehre basierte und im Europabild eines ‘christlichen Abendlands’ gipfelte. […] Wie nie zuvor und niemals danach vermochten die Katholiken einer Zeit in Deutschland so sehr den Stempel aufzudrücken, wie der Epoche zwischen der Gründung der Bundesrepublik und dem Ende von Adenauers Kanzlerschaft. Dennoch wurde Westdeutschland zu keinem klerikalen Staat.“ (Edgar Wolfrum, „Die Bundesrepublik Deutschland 1949-1990“, in: „Handbuch der deutschen Geschichte“, Band 23, 10. Auflage 2005, S. 109)
Adenauers Weihnachtskrippe ist das heimliche Herz seiner weitverzweigten Familie geblieben. So erfüllt sich sein Wunsch, die Krippe möge „Generation um Generation“ Kindern vom Wunder der Menschwerdung erzählen. Jährlich versammeln sich seine Nachkommen am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Stephanstag, um die Krippe zum großen Familientreffen.
Gleich nach seiner ersten Eheschließung 1904 kaufte Adenauer diese Krippe bei einem Althändler in Würzburg, ein barockes Ensemble aus Stall und zahlreichen Figuren, von bäuerlicher Hand in der Rhön geschnitzt. Sie sei „keine große Kunst“, erzählte er, aber „einmalig“ – und sie begleitete ihn durch glückliche wie schwerste Jahre. Immer wieder ergänzt, entstand eine große, lebendige Krippenlandschaft. Zu ihr gehörten nicht nur Holz und Farbe, sondern auch das Siebengebirge: Adenauers jüngste Tochter konnte noch im hohen Alter genau beschreiben, an welchen Stellen das schönste Moos für die Krippe zu finden war.
Sobald das Weihnachtsglöckchen erklang, wussten die Kinder, dass die Krippe fertig geschmückt war, die Christbaumkerzen brannten. Seinen Platz hat das Glöckchen heute hinter einer spätgotischen Madonna aus Niederbayern, die das Bundeskabinett dem Kanzler zum 75. Geburtstag schenkte. Die Figur – zart und zugleich bodenständig, ein Kind auf dem Arm, den Blick leicht gesenkt – steht für Adenauers oft zitiertes „Ohne Gott geht es nicht“. Dasselbe Glöckchen läutete auch an jenem Weihnachtsabend in Maria Laach.
Besucher können an dieser Tradition teilhaben: In der Advents- und Weihnachtszeit ist die historische Familienkrippe im Wohnzimmer des Adenauerhauses zu sehen – eine Einladung, über Weihnachten im Lichte von Konrad Adenauers Leben und Wirken nachzudenken.
Den ersten Teil des zweiteiligen Beitrags von Dorothea und Wolfgang Koch lesen Sie unter dem Titel „Kein ‘Kirchhofsfrieden’ – Adenauers Weihnachts-Logik“.
› Auch an Konrad Adenauers 150. Geburtstag am 5. Januar 2026 ist sein Wohnhaus in Rhöndorf am Rhein unweit Bonn für Besucher geöffnet. In Berlin-Mitte wird im Konrad-Adenauer-Forum die multimediale Ausstellung „Konrad Adenauer. Der erste Bundeskanzler“ gezeigt. Eine Fülle von Informationen über Adenauer finden Sie auf der Netzseite der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus https://adenauerhaus.de .
Kommentare