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Indi Gregory ist tot

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Wie soll ich diesen Text betiteln anders als mit einem Zitat aus Brechts „An die Nachgeborenen“? Ich musste gar nicht überlegen, es lag einem auf der Zunge. Was sollen künftige Generationen von Europäern von uns Heutigen denken?

Denn nun ist sie tot, die kleine Indi. Am Montag in den frühen Morgenstunden starb das acht Monate alte Baby Indi Gregory in einem Hospiz in Nottingham, erstickt, nachdem tags zuvor – gegen den Willen der Eltern – die Apparate im staatlichen Krankenhaus abgeschaltet worden waren. Wie sonst bei Opfern von Verbrechen üblich, wird ihr Gesicht von den Medien nur noch verpixelt gezeigt.

Geboren am 24. Februar, gestorben am 13. November 2023. Das erste Datum ist der Liebe der Eheleute zu danken, das zweite haben gottlose Technokraten verursacht. Denn Indi ist nicht gestorben an ihrer unheilbaren Krankheit, und auf diese Feststellung kommt es mir ganz doll an, sondern an einer unbarmherzigen Staatsmaschinerie. „Dura lex, sed lex“, das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz, werden manche Gescheite jetzt einwenden. Aber allen Klugpiepern sei geantwortet: Dass Indi aufgrund eines Gesetzes und durch Spruch des höchsten Gerichtes zum Sterben verurteilt wurde – davon kann sie sich nun auch nichts kaufen.

Wir haben es mit einem ungeheuerlichen Vorgang zu tun

Denn nun ist sie tot, die kleine Indi mit den ausdrucksvollen Kulleraugen, den langen Wimpern, den blonden Haaren, dem Schlauch im Näschen und der OP-Wunde hinter der linken Schläfe. Indi mit dem fragenden, uns fragenden Gesichtsausdruck. Sie ist tot, obwohl sie leben könnte! Tot, obwohl sie leben wollte! Oder unterstellen Sie dem Baby, dass es lieber habe tot sein wollen?

„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Abermals der olle Brecht, aber was passt es auch so gut! Denn wir haben es hier mit einem ungeheuerlichen Vorgang zu tun! Indi musste sterben, obwohl ihre Eltern wie die Löwen um ihr Leben gekämpft haben. Monatelang, von Indis Geburt an, und die zwei älteren Geschwister auf ihre Weise mit. Claire Staniforth und Dean Gregory setzten alle Hebel in Bewegung, klagten vor Gericht, wurden abgewiesen, gingen in Berufung, wandten sich an eine christliche Hilfsorganisation. Am 22. September empfing Indi die Taufe.

Ihr Vater sagte jetzt: „Ich wusste vom Tag ihrer Geburt an, dass Indi etwas Besonderes war. Sie versuchten, sie loszuwerden, ohne dass jemand davon erfuhr.“ Aber da hatten die Ärzte, Juristen, Gutachter, Richter und alles, was man so Autoritäten nennt, nicht mit dem Lebensmut der Eltern gerechnet. Sie mobilisierten die Öffentlichkeit. Die katholischen Bischöfe von England und Wales sandten ein Statement, das den Eltern beisprang. Auch der Papst betete mit, segnete, bestärkte.

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Was jeder Esel weiß

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – „Io sono una donna! Sono una madre! Sono cristiana!“ – schaltete sich ein, bot an, das Baby nach Rom in eine vatikanische Spezialkinderklinik bringen zu lassen, kostenlos für England. Vorige Woche wurde dem Mädchen in einem Eilverfahren die italienische Staatsangehörigkeit verliehen, um in letzter Minute das Blatt noch wenden zu können.

Doch die britischen Richter schlugen den Eltern im übertragenen Sinne ein ums andere Mal das Gesetzbuch auf den Kopf: All ihre Anträge sowohl auf Weiterbehandlung und Überstellung nach Italien wiesen sie ab und beriefen sich auf das Urteil der behandelnden Ärzte. Ein Transport nach Italien komme nicht infrage, da viel zu gefährlich! Aber auch die lebensnotwendige Versorgung außerhalb einer medizinischen Einrichtung einzustellen, sei „zu gefährlich“! Der Richter verhöhnte die Eltern gar noch, zieh sie der „manipulativen Prozesstaktik“, die es darauf anlege, die von den Gerichten getroffenen Anordnungen zu vereiteln.

Den Eltern wurde verboten, ihr Töchterchen zu sich nach Hause zu nehmen, und tatsächlich eskortierte die Polizei den Krankenwagen, der Indi Gregory vom Queen’s Medical Centre in Nottigham in das Hospiz brachte. (Dass Patienten von den öffentlichen Einrichtungen wie Leibeigene gehalten werden, ist nach der Corona-Zeit nicht gründlich aufgearbeitet, geschweige denn überwunden worden.)

Gericht und Ärzteschaft: Beide Arten von Institutionen maßten sich jetzt an, über die Köpfe der Eltern hinweg darüber zu entscheiden, was das Beste für das Baby sein würde. Und entschieden: der Tod, der Tod, allen Ernstes der Tod!! Dabei weiß jeder Esel, dass man etwas Besseres als den Tod überall findet! „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“

Warum nicht weiterleben lassen?

Es mag sein, dass ich etwas übersehen habe, aber ist Ihnen zu Ohren gekommen, dass sich etwa König Charles oder Königin Camilla für das Lebensrecht von Indi Gregory eingesetzt hätten? Falls ich dem britischen Königshaus zu Unrecht zürne, bin ich und sind meine Kollegen, ebenso wütend, ebenso traurig und empört wie ich, für einen Hinweis in der Kommentarspalte dankbar.

Indi Gregory litt von Geburt an einer schweren, durch Gendefekt bedingten mitochondrialen Erkrankung. Mag sein, dass diese Krankheit sehr schwer und unheilbar ist und ein Leben ohne Apparate für Indi unmöglich gewesen wäre.

Aber Indi hätte noch so lange leben können, bis sie der liebe Gott von sich aus zu sich gerufen hätte! Warum das Mädchen nicht einfach weiter die lebenserhaltenden Maßnahmen bekommen durfte, die ihm als Mensch und Bürger verdammt noch mal zustehen! Palliativ kann man viel Leid lindern, auf medizinischen Fortschritt hoffen, und die Liebe und Gesellschaft ihrer Eltern und Geschwister hätten ihr manche Stunde versüßt und ihre prekäre Lage hell gemacht. Wer will von außen über die Lebensqualität eines kranken Kindes ein Negativurteil sprechen, dessen Eltern es nach allen Kräften umsorgen? Nur Einsamkeit ist schlimm, Zuwendung macht ein Krankenzimmer warm. Besser geliebt und am Leben als tot und betrauert, isnt’t?

Was ist das nur für eine Argumentation!

Ein Freund von mir arbeitet in einem Hospiz. Seine Berichte sind alles andere als Erzählungen aus einem Totenhause. Die Patienten drehen in den letzten Wochen ihres Lebens oft noch mal so richtig auf. Beim Pflegen wird gelacht und gekichert, bei Besuchen geschnattert wie die Spatzen, jede Minute genossen. Wie hängen die temporären Gäste am Leben, wie schwer ist es, alles lassen zu müssen! „Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn, es sei, wie es wolle, es war doch so schön!“ Von solch einer Stimmung, wie sie ein anderer Dichter so wunderbar ins Wort gebracht hat, berichtet er manchmal von den Betten der Sterbenden, der Freund aus dem Hospiz.

In einer Zeitung stand die Tage: „Nach Auffassung der Ärzte war des Babys Weiterbehandlung schmerzhaft und vergeblich.“ Was ist das nur für eine Argumentation, von allen guten Geistern verlassen! Denn vieles im Leben ist schmerzhaft und ganz vergeblich, und trotzdem und allem zum Trotz leben wir! Der eine bestellt ein Feld, doch Unkraut macht die Frucht zunichte. Ein anderer baut ein Haus, aber der Boden gibt nach. Ein dritter verliert ein Vermögen in fehlgeschlagenen Geschäften. Ein weiterer liebt einen anderen und wird doch abgewiesen. Jemand gründet eine Familie, aber die Kinder missraten. Ein Volk gibt sich einen Staat, aber Feinde bedrängen es.

Abermals Brecht: „Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.“ Nicht nur zu des Dichters Zeit, sondern zumeist zu aller Zeit! Irgendwas ist immer, nie geht es glatt, das Scheitern kommt einfacher als das Gelingen, die Vergeblichkeit allen Wollens lastet bedrückend, schmerzhaft sind Krankheit, Verlust und Sterben. „So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben war.“ Aber dazwischen und mittendrin liegt das Leben, das große, reiche Leben, einmalig und ganz kostbar!

Ein Stückchen hier, eine Grenzüberschreitung da

Angst haben müssen wir vor nichts anderem, als dass uns der Himmel auf den Kopf fällt. Aber Sorgen machen müssen wir uns wegen einer Ordnung, die nicht mehr auf den ewigen, ehernen Gesetzen beruht, sondern auf von Menschen geschaffenen. Und alle Alarmglocken müssen uns schrillen, wenn wir mehr und mehr Nachrichten vernehmen, dass der Tod für diesen und für jenen eine bessere Lösung sein solle als das Leben! Sie lachen und meinen, der Autor übertreibe? „Der Lachende hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen.“

Ob aus Belgien, aus den Niederlanden, aus Kanada oder jetzt aus England – schwerkranke Kinder, Behinderte, Ungeborene, Depressive: Die Unverfügbarkeit des Lebens wird angetastet, ein Stückchen hier, eine Grenzüberschreitung da. Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten Mal, sondern stetig höhlend. Alles natürlich mit den besten Absichten.

Auch in Deutschland wird das Recht längst wieder, allem „Nie wieder!“ zum Hohn, positivistisch umgemodelt: Selbstmord zu begehen hat man zu einem Grundrecht erklärt, und eine Regierungskommission arbeitet gegenwärtig daran, Abtreibung auf Wunsch normal zu machen. Die Masche ist immer dieselbe: Erst geht es nur um absolute Einzelfälle – ein unheilbar kranker, alter Mensch, ein deformierter Embryo. Haben die Leute den Fall geschluckt, wird der Kreis der Ausnahmen geweitet; Kinder mit Down-Syndrom sind schon ziemlich selten geworden. Bis dann, wie in den Benelux-Staaten, ein Klima bereitet ist, indem auch kranke, sehr junge Kinder ein „Recht“ auf Selbsttötung bekommen sollen, für den Anfang natürlich „ärztlich begleitet“, man ist ja human. Selbstbestimmung war vor vierzig Jahren noch ein fordernder werdender Götze, heute ist sie das neue Erste Gebot.

Alles, was Menschen tun, wird in Gedanken vorgebildet. Die zum Sterben verurteilte Indi, die nur acht Monate alt werden durfte, weil jemand mit Billigung der Richter auf den Aus-Knopf in der Intensivstation gedrückt hat, könnte noch leben, lächeln und uns mit ihren großen Kulleraugen fragend ansehen: Warum habt ihr in meinem Tod die bessere Lösung für mich gesehen als in meinem Leben?!

 

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Kommentare

Comment

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Kommentar
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Benjamin
Vor 6 Monate

Mach’s gut, liebe kleine Indi. Einer wiegt Dich jetzt in seinen Armen, der gesagt hat: Lasst die Kinder zu mir kommen. Und durch die Liebe und Barmherzigkeit, die Dich jetzt voller Licht und Wärme umgibt, kannst Du auch uns verzeihen. Wir alle brauchen diese Vergebung, weil wir letztlich vor Gott alle Bettler sind.

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Frau M.
Vor 6 Monate

Klar, wenn Ärzt:innen mit Studium und jahrelanger Erfahrung sagen, dass das Kind nur unnötig leidet, wenn es am Leben erhalten wird, die Eltern aber das Gegenteil behaupten, haben natürlich die Eltern Recht.

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Stiller Leser
Vor 6 Monate

Geschätzte Frau M., dem muss ich dringendst widersprechen. Leid gehört zum Leben, zum Menschsein dazu. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ (Viktor Frankl)
Leidet der Depressive nicht auch oft fürchterlich? Oder andere psychisch Kranke? Sollte der Staat diese Menschen töten, damit er „unnötiges Leid“ verhindert? Und leiden nicht wir alle, auch Sie, in graduellen Unterschieden manches Mal? Der eine mehr, der andere weniger. Im Alter wahrscheinlich alle etwas mehr? Die Lösung kann da meines Erachtens nach nicht sein, einfach den finalen Schlussstrich zu ziehen.
Außerdem: Selbstverständlich sind in erster Linie die Eltern verantwortlich.

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Frau M.
Vor 6 Monate

Klar, wenn Ärzt:innen mit Studium und jahrelanger Erfahrung sagen, dass das Kind nur unnötig leidet, wenn es am Leben erhalten wird, die Eltern aber das Gegenteil behaupten, haben natürlich die Eltern Recht.

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Markus W.
Vor 6 Monate

Ärztinnen mögen das so sehen, wahre Ärzte werden sich immer für das Leben entscheiden - lindern und begleiten, nie aber aktiv töten. Und seien Sie sicher - ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin Intensiv- und Palliativmediziner mit > 30 Berufsjahren.

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sina berger
Vor 6 Monate

Ganz genau, wir haben ja alle bereits in der unsäglichen Zeit der Covid-„Pandemie“ erfahren dürfen, wie verlässlich der Rat von eben diesen jahrelang Studierten und „Erfahrenen“ ist und wohin sie uns rein menschlich gesehen bringt! Wieviele Menschen in dieser Hysterie zu Hause vereinsamt sind oder elend und verlassen in einem Krankenhausbett gestorben - in den letzten Stunden getrennt von ihren Liebsten! Eine unermessliche Idiotie, fern von jeder Menschlichkeit, für die ich selbst heute noch keine Worte finde!!!

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Lisa
Vor 6 Monate

Wie bitte? Ein Studium und wie auch immer aussehende "jahrelange Erfahrung" dürfen jetzt die Hoffnung und die Liebe der eigenen Eltern überrollen?
Ärzte haben immer nur Prognosen und Einschätzungen für die Zukunft. Die sind nicht Herren über Leben und Tod. Wissen Sie, wie oft Ärzte blöd aus der Röhre geschaut haben, als "todkranke" Patienten völlig unerklärlich, völlig überraschend, völlig gesund vor ihnen standen?
Die Eltern lieben das Kind. Das sollte höher stehen als all ihre Hoffnungslosigkeit.
Nicht umsonst übrigens, haben ANDERE hochstudierte Ärzte darum gebeten und gekämpft, das Kind weiterbehandeln zu dürfen!!!

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Eine Christin
Vor 6 Monate

Sie irren sich!

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Stiller Leser
Vor 6 Monate

Geschätzte Frau M., dem muss ich dringendst widersprechen. Leid gehört zum Leben, zum Menschsein dazu. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ (Viktor Frankl)
Leidet der Depressive nicht auch oft fürchterlich? Oder andere psychisch Kranke? Sollte der Staat diese Menschen töten, damit er „unnötiges Leid“ verhindert? Und leiden nicht wir alle, auch Sie, in graduellen Unterschieden manches Mal? Der eine mehr, der andere weniger. Im Alter wahrscheinlich alle etwas mehr? Die Lösung kann da meines Erachtens nach nicht sein, einfach den finalen Schlussstrich zu ziehen.
Außerdem: Selbstverständlich sind in erster Linie die Eltern verantwortlich.