Warum wir Rauchzeichen lieben

„Du“, sage ich zu Judith, „bald werden wieder Rauchzeichen über Rom aufsteigen und wichtige Nachrichten verkünden.“ Ich fände es ein bisschen besser, füge ich hinzu, wenn die Kirche an dieser hergebrachten Form der Kommunikation festhält, es geht ja sonst alles so rasend schnell. Meine Frau schaut mich zweifelnd an, als sei ich nicht ganz up to date, irgendwie nicht smash.
Dabei war sie es, die neulich in dem Berliner Boutiquehotel, wo wir frühstückten, nach „richtiger“ Milch fragte und damit völlig ahnungslos alles außer Kuhmilch disqualifizierte.
Ich frage mich, ob Rauchzeichen eine echte Alternative wären, wo sich in der Kommunikation doch alles so rasend schnell ändert. Wer heute noch telefoniert, ist disqualifiziert. Spontanes Telefonieren ist mindestens Ruhestörung, wenn nicht sogar übergriffig.
Praktisch ist anders
Telefonate werden schriftlich angekündigt, übertragen meistens auch ein Bild, was sie zum Videocall macht, der auch optisch gründlich vorbereitet wird und nicht unter 15 Minuten dauert. Praktisch ist anders.
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Ich erinnere mich, als Telefone tatsächlich einfach nur läuteten und nicht zirpten, sprachen oder Kuhglocken imitierten. Ich erinnere mich an das einzige tragbare Telefon für die gesamte Redaktion. Im Sekretariat wurde eine Liste geführt, wer den „Knochen“, der eher ein „Brikett“ war, gerade benutzen durfte.
Ich erinnere mich, dass ich jedem verkündete, selbst niemals mit einem Telefon zu fotografieren und auch diesen winzigen Bildschirm niemals zum Filmchengucken verwenden würde. Es war einer der folgenlosesten Irrtümer meines Lebens.
Die Nachricht meines Lebens
Dann kam das, was sich Smartphone nannte, und begann, das Kommando über meine Tage und Nächte zu übernehmen. Vom Börsenbeben bis zum Liebesschwur ließ sich alles damit steuern.
Ich tippelte die Nachricht meines Lebens in so ein Maschinchen, in der ich Judith einst fragte, ob eventuell die Chance bestünde, sie am Mittwochabend zu treffen, und sie antwortete, Chancen bestünden immer, aber Mittwoch habe sie Tennis.
Wir waren dann seit Donnerstag zusammen, und ich denke nur bei Vollmondnächten daran, dass es mit Rauchzeichen vielleicht noch romantischer gewesen wäre.
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Kommentare
Diese zwei Literaten - immer heiter bis bewölkt mit liebevoller Ironie. Wahre Kunst.
PM