„Wir wollen unsere Stimme erheben und bekennen“

Blasmusik, gelbe und blaue Luftballons, tausende gut gelaunte Menschen und kernige Reden: Das ist der Münchner Marsch fürs Leben. Zum fünften Mal lud der Verein „Stimme der Stillen“ rund um die Vorsitzende Silja Fichtner zu der Lebensschutzkundgebung in der bayerischen Hauptstadt ein. Unter den Teilnehmern waren alle Altersgruppen und Stände vertreten. Corrigenda hat mit mehreren Bekennern dieser im wahrsten Sinne des Wortes bunten Truppe der Lebensschützer gesprochen. Warum sind sie an diesem Samstagnachmittag hier? Warum lassen sie sich von linksradikalen Feministen anschreien?

Zuerst die Rahmendaten: Es ist Samstag, 3. Mai 2025, wir befinden uns auf dem Königsplatz im Zentrum Münchens. Bevor die Pro-Life-Kundgebung beginnt, gibt eine Blasmusikgruppe volkstümliche Klassiker zum Besten. Anders als in den Vorjahren ist das Wetter diesmal unschlüssig und grau. Doch je mehr sich der Platz füllt, desto blauer wird der Himmel, desto höher klettert das Quecksilber im Thermometer nach oben. Plaudern mit alten und neuen Bekannten, Infostände und Vorfreude. Und schon betritt der erste Hauptredner die Bühne.
Der Gründer und Vorsitzende der Beratungsorganisation 1000plus-Profemina (die auch dieses Onlinemagazin verlegt), Kristijan Aufiero, betont: Aktivismus, Demonstrationen, politische und mediale Arbeit seien schön und gut, wichtiger aber sei konkrete Hilfe für Schwangere. „Wir müssen diesen Frauen mit unseren Worten und mit unseren Taten zur Seite stehen.“ Wenn sich Frauen für ihre ungeborenen Kinder und für Familien entscheiden, müsse man ihnen helfen.
„Viele von euch werden in den Knast gehen oder Geldstrafen erhalten“
Auch Pater Paulus-Maria Tautz nimmt das Umfeld von Schwangeren und Müttern in die Pflicht. Großeltern etwa sollten nicht zu einer Weltreise aufbrechen, sondern ihre Kinder beim Aufziehen der Enkel unterstützen. Deutliche Worte fand der Sachse von den Franziskanern der Erneuerung, als er den Teilnehmern entgegenrief: „Es braucht mehr Opferbereitschaft!“ Denn es werde auch hierzulande ähnlich wie in den USA viel mehr Gegenwind geben. „Viele von euch werden in den Knast gehen oder Geldstrafen erhalten.“
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Der aus England angereiste Ángel Ceballos ruft zu tatkräftigem Lebensschutz auf. Der gebürtige Mexikaner, der heute in London lebt, hatte sein ungeborenes Kind bei einer Abtreibung verloren. Kurz davor hatten er und die Mutter noch Ultraschallbilder des Ungeborenen gesehen. Jahrelang habe er sich mit Schuld und Trauer gequält, ehe er sich an eine Organisation wandte, die Seelsorge für Frauen und Männer nach einer Abtreibung anbietet. Hier fand er Heilung. Heute setzt sich Ceballos international für den Lebensschutz ein.
Linksradikalen gelingt Blockade
Wo Lebensschützer öffentlich auftreten, da sind auch die Apologeten der Todeskultur nicht weit. Mit den immergleichen Parolen und Plakaten versuchen sie die Stimmung auf der anderen Seite des Platzes zu senken. Vergeblich. Dafür gelingt es ihnen, den Lebensmarsch aufzuhalten, indem die Linksradikalen eine spontane Kundgebung auf der Route der Lebensschützer anmelden. Die Stadt erlaubt es. Ein Polizist schüttelt mit dem Kopf. „Völlig klar, dass die jetzt hier stehenbleiben und die andere Kundgebung blockieren.“
Es kommt zu kleinen Rangeleien zwischen den Linksradikalen und Polizisten. Die Gegendemonstranten ziehen nach rund 45 Minuten weiter. Auffallend auch: Es sind diesmal mehr Linke da, wir zählen über 1.000. Grund dafür dürfte sein: Sie deuten den Marsch fürs Leben zur „größten rechten Kundgebung in Bayern“ um. Und Demos gegen Rechts ziehen mehr Leute an als Pro-Abtreibungs-Veranstaltungen.
Das sagen die Marsch-Teilnehmer
Henning, Anfang vierzig und ein Hüne von Mann, steht mit kräftiger Stimme Rede und Antwort:

„Ich bin heute hier, ein Zeichen für das Leben zu setzen, und das ist ein ganz klares Signal. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft wird das Leben immer mehr den Ansprüchen und den kurzfristigen Bedürfnissen des Humanismus unterworfen, doch die wahren Humanisten sind eigentlich die Christen. Christus ist für die Menschen Mensch geworden, um uns auf seine Ebene zu heben, und das ist etwas Wunderbares! Und gerade in dieser Zeit für Christus ein Zeichen zu setzen, heißt für das Leben ein Zeichen zu setzen. Witzigerweise, die Gegendemonstranten sagen auch, wir sind für Humanismus – ja, genau, das ist der Humanismus der verbotenen Frucht.“
Die junge Demonstrantin aus dem Landkreis München mit dem sympathischen Lächeln trägt eine modische Sonnenbrille, und trotz ansteckend guter Laune bleibt sie vorsichtig und möchte ihren Namen nicht angeben.
Auf dem Schild, dessen Stange sie mit beiden Händen festhält, steht „Life is life“, dazu grafisch ein Baby unter Mutters Herzen:
„Das Leben ist einfach wunderschön, und ich möchte mich für das Leben einsetzen, ich möchte denen eine Stimme geben, die keine Möglichkeit haben. Also vor allem den ungeborenen Kindern. Und ich bin heute hier, um den Ohrwurm zu verbreiten: ‘Life is Life, na-na-na-na-na …’“

Der hochgewachsene junge Mann stammt aus Neuburg an der Donau und trägt den seltenen Vornamen Baptist.

Seine schwarze Soutane deutet es schon an: Er studiert im zweiten Jahr Philosophie und Theologie im Priesterseminar der katholischen Petrusbruderschaft in Wigratzbad. Bereitwillig gibt er Auskunft:
„Ich bin heute hier, weil ich zum einen in der Nähe wohne, und zum anderen, weil es mir wichtig ist, gegen Abtreibung einzutreten, und weil man viele Leute trifft, die man kennt.“ Seine Botschaft an die Christen katholischer Konfession: „Fröhlich sein, klar dazu stehen, dass man katholisch ist und für Lebensschutz.“
„Ich habe noch nie eine Nation gesehen, die mit dem Tod gewachsen ist“
Die bolivianischstämmige Claudia ist aus dem Landkreis Rottweil angereist. Auf der Demonstration geht sie mit einer Gruppe anderer mittel- und südamerikanischstämmiger Teilnehmer, die sie zufällig hier traf. Von deren quirliger Lebensfreude gibt das nebenstehende Foto Zeugnis. Claudia geht in eine freikirchliche Gemeinde, und sie unterstreicht von sich aus, dass einige ihrer Bekannten aus der Gruppe gar nicht gottgläubig sind.
„Wir sind hier, weil wir unsere Stimme erheben wollen für die Menschen, für die Kinder, für die Babys, die sich nicht selber verteidigen können, die nicht mal das grundlegende Recht auf Leben haben dürfen und für dieses ganze Unrecht, und aber auch, um auf die Lage von Frauen nach Abtreibung aufmerksam zu machen, wie es ihnen dann geht und wie schwer sie es auch teilweise haben nach der Abtreibung. Wir wollen nicht schweigen und wir wollen unsere Stimme erheben und bekennen.“

Florian stellt sich uns als Gruppenleiter von Pro Life Europe in München vor. Der Lebensschutz-Aktivist gibt an, in verschiedenen Städten Deutschlands und Österreichs regelmäßig an Märschen für das Leben teilzunehmen. Es sprudelt nur so aus ihm heraus:

„Heute an diesem wichtigen Tag bin ich hier, um mich für das Leben einzusetzen, weil ich immer schon pro life war, und generell setze ich mich sehr gerne für das wichtigste Leben ein, nämlich das noch ungeborene – das ist eine so wichtige Thematik, für die es sich lohnt, auf die Straße zu gehen.“
Arno im rustikal karierten Oberhemd aus dem fränkischen Ansbach gibt ebenfalls bereitwillig Auskunft:
„Ich finde Lebensschutz wichtig, und ich bin Christ, und ja, Abtreibung ist halt Tötung von Menschenleben, und da gibt es doch andere Möglichkeiten, zum Beispiel Beratungsgespräche und aktive Hilfe. Daran mangelt’s natürlich auch unserer Gesellschaft, weil Familie nicht mehr attraktiv gemacht wird. Ich denke einfach, Kinder sind die Zukunft.“
„Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mich freue, dass ich selber Kinder hab, die sich vielleicht, wenn ich Glück habe, vielleicht in einigen Jahren einfach mal um mich kümmern; nicht pflegen, aber einfach, ich habe Ansprechpartner. Das ist auch Familie: Ich bin nicht von Fremden abhängig. Das ganze Modell Familie aus der christlichen Sicht ist für mich so attraktiv, auch gerade in unserer Gesellschaft mit unserer Vergangenheit, wo Menschen entscheiden darüber, ob Leben lebenswert ist oder nicht. Das hat man mir im Geschichtsunterricht gesagt: das sind Nazis, die einfach sagen, das ist lebenswert und das ist nicht lebenswert. Ich wehre mich einfach gegen diesen Zeitgeist, diese Kultur des Todes.“

Salvatore ist mit seiner Frau und seinem neugeborenen Mädchen hier. Der junge Mann stammt aus Neapel, seine Frau aus Oberbayern, wo das Elternpaar lebt. Für ihr Baby halten sie ein selbstgemaltes Plakat hoch: „50 Prozent German, 50 Prozent Italian, 100 % the right choice“ steht darauf. Salvatore spricht druckreif ins Mikrofon:

„Als Christ und vor allem als Bürger ist es unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Nation eine gute Zukunft hat. Ich habe noch nie eine Nation gesehen, die mit dem Tod gewachsen ist, und allein der Gedanke, dass Menschen an ein neues, unschuldiges Leben mit einem solchen Egoismus herangehen können, dass sie es einfach zu ihrem eigenen Vergnügen und aus eigenem Stolz töten, beweist das.“
„Die Menschheit braucht die Kirche und die Pro-Life-Bewegung mehr denn je, und wir als Repräsentanten Christi müssen unseren Mann stehen und das vertreten, wofür Christus steht. Nicht mit Gewalt, sondern mit Glauben und gesundem Menschenverstand, denn Gemeinsinn hat in der Vergangenheit immer Zivilisationen aufgebaut, und wir tun es auch heute noch und in der Zukunft.“
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Kommentare
Es tut mir so Leid, dass ich nicht dabei sein konnte!
Wäre das eine "rechte Veranstaltung", würden beim Marsch in München nicht so viele junge Frauen mit dabei gewesen sein.
Danke allen Teilnehmern! 🙏
Es waren viele orthodoxe Christen dabei, überwiegend junge Erwachsene. Mir erklärte eine Freundin, diese würden Ostergebete rezitieren. Mich berührte, dass sie dies den deutschsprachigen Teilnehmern zuliebe in deutscher Sprache taten. Mich würde sehr interessieren, welcher orthodoxen Kirche sie angehören, ich würde mich gerne bedanken.
@Moni Es sind verschiedene orthodoxe Christen, die sich für den Münchner Marsch zusammenschließen, also zB serbisch-orthodox, rumänisch-orthodox etc.
Leider konnten wir nicht mitkommen, als Ausgleich brachten wir eine Spende bei 1000plus ein. 🙏
Danke an alle engagierten Teilnehmer des Marsches. 🙏
Herzlichen Dank für diesen hervorragenden Beitrag!
Mit meiner Familie war ich in München dabei. Öffentlich Gesicht zeigen für die Schwächsten in der Gesellschaft – die ungeborenen Kinder – ist enorm wichtig.
Noch diesen Monat finden in Salzburg und dann am 1. Juni in Bregenz „Märsche für das Leben" statt. Wer kann, sollte diese wichtigen öffentlichen Initiativen durch Präsenz unterstützen.👍