Friedensbeginn

Es ist noch nicht lange her – gut drei Wochen –, da saß ich im englischen Winchester in der Nähe der dortigen Kathedrale in meinem dortigen Lieblingspub „Wykeham Arms“ neben dem Kamin, als plötzlich weißer Rauch aufstieg. Allerdings nicht aus dem Kamin, sondern auf dem Bildschirm meines Tablets, das ich wohlweislich mitgenommen hatte, denn ich wollte nicht verpassen, wenn in Rom der neue Papst gewählt würde.
Und so dampfte es in digitaler Form, und ich konnte live dabei sein, wie Leo der XIV. auf die Loggia des Petersdomes trat. Seine ersten Worte, man erinnert sich, waren: „Der Friede sei mit Euch!“ Man hat daraufhin sofort begonnen, sie auf die Goldwaage zu legen und den Friedensgruß als ein erstes programmatisches Signal aufgefasst: Leo XIV., der Friedenspapst, der Friedensstifter, der Friedensvermittler.
So sehr hoffnungsfroh und berechtigt diese Erwartung ist, so ist es doch andererseits auch richtig, dass der Wunsch „Der Friede sei mit Euch!“ ein durchaus gängiger liturgischer Gruß ist, mit dem ein katholischer Bischof einen Gottesdienst beginnt. Er ist angelehnt an den Gruß Christi bei Seiner ersten Begegnung mit den Jüngern nach der Auferstehung. Insofern nichts Besonderes. Und doch etwas Besonderes.
Denn der Friede, den Christus wünscht, ist etwas ganz und gar Neues gewesen. Der Friede, von dem Christus spricht, ist nämlich nicht ein Friede, der entsteht, wenn mächtige Männer einen Deal machen und das Schießen beenden, um anschließend besser Geschäfte machen zu können. Friede ist grundsätzlich nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern Friede, wie Christus ihn versteht, ist viel mehr.
Er selbst erklärt Sein Verständnis von Frieden im Johannesevangelium, wenn Er sagt: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.“ (Joh 14,27) Der Friede ist also etwas, das von Gott geschenkt ist und nicht vom guten Willen der Menschen allein gemacht ist – so sehr auch der gute Wille des Menschen dazu nötig ist. Es ist mein Friede, sagt Christus. Und dieser Friede ist nicht ein Friede, wie ihn die Welt als Verhandlungsergebnis schafft.
Am Anfang steht die Liebe zu Gott
Um Frieden zu erhalten, um so zu leben, dass nicht Hass und Streit mit Worten oder Waffen herrschen, muss man ein Gottesverhältnis haben und zwar so, wie es Christus versteht: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14,23).
Am Anfang steht also die Liebe zu Gott, die sich bewährt im Befolgen des göttlichen Willens. Die Gottesliebe, die sich beweist, wenn ich tue, was Gott will – das ist die Grundlage. Solange das nicht beachtet wird, ist der Glaube hohl und der Friede nicht wirklich möglich, weil er dann von Emotionen, Sympathien, Tagesformen abhängig ist – und die sind schwankend und oft wenig haltbar.
Gott kommt erst, um bei den Menschen Wohnung zu nehmen, wenn der Mensch sich dem Willen Gottes beugt und sich an das hält, was Er sagt. Friede im Sinne Jesu Christi ist also die Herrschaft der Wahrheit und des Willens Gottes in dieser Welt. Es ist kein kalkulierter, ausgehandelter Friede, weil dieser Friede nicht wirklich seine Wurzeln in der Gottesliebe hat, sondern in der Suche nach Vorteilen.
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Hier liegt der Grund, weshalb Friedensverhandlungen stets schwierig sind und das, was dabei herauskommt, immer mit einem gewissen Ablaufdatum versehen bleibt. Es sind in der Regel Kompromisse, bei denen aus strategischen Gründen das Streiten beigelegt wird. Jesus Christus schafft aber den Frieden nicht aus Strategie, sondern aus Liebe zu Gott, weswegen es ein Friede ist, der in der Welt so nicht zu finden ist, wie Er sagt.
Der Friede muss erbeten werden. In jeder katholischen Messe wird genau das gemacht und dabei die Herkunft des Friedens in Erinnerung gerufen, wenn man das Gebet um Einheit und Frieden mit den schon zitierten Worten Jesu aus dem Johannesevangelium einleitet: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“.
Auch den Kampf um den Frieden muss es geben
Neben dem Gebet um den Frieden muss es aber auch den Kampf um ihn geben, den Kampf gegen die menschliche Sucht nach Selbstbehauptung. Diesen Kampf kämpft man allerdings nicht gegen andere, sondern gegen sich selbst. Deswegen braucht man das Gebet um den Frieden – nicht nur, um ihn wie einen Lottogewinn geschenkt zu bekommen, sondern um an ihm mitzuwirken. Und das heißt, um das eigene Herz zu erneuern in Demut, Liebe und Vergebungsbereitschaft.
Keine einfache Sache, denn der Kampf gegen das Rechthabenwollen, das Besitzenwollen, das Siegenwollen und am Ende auch gegen das blinde Kämpfenwollen ist ein schwerer. Weswegen es gut ist, dass Jesus in diesem Zusammenhang seiner Jüngergemeinde Mut macht, wenn Er sagt: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ (Joh 14,27).
Es gibt also eigentlich keinen Grund, an uns selbst und an dieser unfriedlichen Welt zu verzweifeln. Denn da, wo man den Kampf gegen sich selbst gewinnt, da zieht der Friede Christi ein. Ein Friede, wie die Welt ihn nicht geben kann, weil sie Frieden in der Regel allein mit der bloßen Verhinderung von Krieg verwechselt, womöglich noch durch Aufrüstung und Abschreckung. Dann schweigen zwar die Waffen, aber nur, weil man sie in großer Zahl im Arsenal zum Zweck der Bedrohung lagert.
Nein, der Friede, den die Welt nicht geben kann, ist der Friede der grundsätzlichen Preisgabe aller Aggression gegeneinander. Und das ist nur denkbar, wenn alle sich zuvor zum Gott des Friedens bekehrt haben. Daran zu arbeiten ist der Anfang aller Arbeit für den Frieden. Eine schwere Arbeit, die manchmal in die Resignation führen kann.
Frieden beginnt mit Bekehrung
Das Zweite Vatikanische Konzil hat deswegen in seiner Konstitution „Gaudium et spes“ (GS) das Wesen des Friedens reflektiert und sagt dazu:
„Der Friede besteht nicht darin, dass kein Krieg ist; er lässt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein ‘Werk der Gerechtigkeit’“ (GS 78).
Wobei das Konzil sich nichts vormacht und die Schwere des Friedenstiftens durchaus benennt, die in der grundsätzlichen Anfälligkeit des Menschen für das Böse und Unfriedliche begründet ist:
„Darum ist der Friede niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe. Da zudem der menschliche Wille schwankend und von der Sünde verwundet ist, verlangt die Sorge um den Frieden, dass jeder dauernd seine Leidenschaft beherrscht und dass die rechtmäßige Obrigkeit wachsam ist“ (GS, ebd.).
Frieden beginnt also mit Bekehrung, wenn es nicht ein Friede mit Verfallsdatum sein soll. Hier hat der neue Papst einen wichtigen und oft vernachlässigten Aspekt hinzugefügt. Es ist die Wahrheit, die der Kompass für Liebe und Gerechtigkeit ist. Sie ist jedoch schwer umkämpft von denen, die sie als wandelbar und konstruierbar verkaufen wollen.
„Wo Worte zweideutige Bedeutungen annehmen, ist es schwierig, authentische Beziehungen aufzubauen“
Weswegen die Erwähnung der Wahrheit im Kontext der Friedenssicherung besonders aufhorchen lässt. Bei seiner Audienz für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps am 23. Mai führte der Papst aus:
„Wirklich friedliche Beziehungen können nicht ohne Wahrheit aufgebaut werden, auch nicht innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Wo Worte zweideutige und ambivalente Bedeutungen annehmen und die virtuelle Welt mit ihrer veränderten Wahrnehmung der Realität unkontrolliert die Oberhand gewinnt, ist es schwierig, authentische Beziehungen aufzubauen, weil die objektiven und realen Voraussetzungen der Kommunikation verlorengehen. Die Kirche kann sich ihrerseits niemals ihrem Auftrag entziehen, die Wahrheit über den Menschen und die Welt auszusprechen, auch wenn sie, wenn nötig, zu einer deutlichen Sprache greift, die vielleicht ein anfängliches Unverständnis hervorruft.“
Nachdem der weiße Rauch sich nun verzogen hat, bleibt der Mann in Weiß zurück, der ein Hoffnungsträger für jenen Frieden werden kann, der seine Wurzeln in der Wahrheit findet und nicht im Kalkül variabler Absichten. Wer bis hierhin gelesen hat, ist eingeladen, dafür zu beten, dass die Welt, die den Frieden nach dem Wort Jesu Christi nicht geben kann, ihn als Geschenk Gottes entdeckt, das sie erhält, sobald sie die Waffen aus der Hand legt und sich bekehrt.
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Kommentare
Schöner, positiver und zugewandter Text, wie man ihn sich gerade im Nicht-MSM-Bereich noch öfter wünscht.
... dass der Wunsch „Der Friede sei mit Euch!“ ein durchaus gängiger liturgischer Gruß ist, mit dem ein katholischer Bischof einen Gottesdienst beginnt. Er ist angelehnt an den Gruß Christi bei Seiner ersten Begegnung mit den Jüngern nach der Auferstehung. Insofern nichts Besonderes. Und doch etwas Besonderes.
Zustimmung. Man muss sich schon wundern, mit welch religiösen und kulturellen Analphabeten man es inzwischen überall zu tun hat. Der Gipfel war die Bemerkung, Leo habe die versammelte Menge im Gegensatz zu Franziskus nicht begrüßt.
Vielen Dank, dass Sie die Notwendigkeit der Bekehrung des Menschen hervorheben.
Nur wie oft geschieht das nicht, man nennt sich Christ und ist dennoch nicht bekehrt, ein Christ lediglich dem Namen nach.
Vielen Dank für den schönen Text und den Gedanken, dass der Friede des (auferstandenen) Herrn (oftmals) nicht deckungsgleich mit dem Frieden der Welt ist.
Sie schreiben so schön:
„Und das ist nur denkbar, wenn alle sich zuvor zum Gott des Friedens bekehrt haben.“ und zitieren dann entsprechende Texte des VK II.
Andere Texte des VK II und auch die Theologie, die darauf folgte, sowie einige symbolische Aktionen höchster kirchlicher Würdenträger stehen – nach Auffassung der Kritiker – aber gerade dafür, dass eine Bekehrung zum Gott des Friedens (Christus) nicht nötig ist.
Müsste die Kirche – wenn die Kritiker Recht haben – dies nicht klarstellen und diesen Eindruck korrigieren, wenn sie wirklich einen Beitrag zum Frieden stiften will?
Danke und beste Grüße