Wie der Heilige Geist über die britischen Inseln braust

Wenn man an ein Wiederaufleben des christlichen Glaubens denkt, ist Großbritannien sicherlich nicht der erste Ort, der einem in den Sinn kommt. So sind es vor allem die negativen Nachrichten von der Insel, die Deutschland erreichen, insbesondere die Verhaftungen von Abtreibungsgegnern in den sogenannten „Pufferzonen“ rund um Abtreibungskliniken. In einem viral gegangenen Video aus dem Jahr 2022 ist Isabel Vaughan-Spruce zu sehen. Sie wurde von der Polizei verhaftet und durchsucht, weil sie vermuteten, dass sie möglicherweise still in ihrem eigenen Kopf betete. Sie gewann den Fall vor Gericht, wurde jedoch seitdem mehrmals von Polizisten festgenommen, die behaupteten, ihre bloße Anwesenheit könne als Belästigung gewertet werden.
In Schottland ist es sogar möglich, verhaftet zu werden, wenn man in der eigenen Wohnung betet, wenn diese sich zufällig innerhalb der Pufferzone befindet. Geschichten wie diese sind jedoch auch zugleich ein Beweis dafür, dass das englische Christentum lebendig und wohlauf ist.
Organisationen wie SPUC und ADF International waren aktiv an Protesten und Kampagnen im Parlament für Pro-Life-Anliegen beteiligt. Zuletzt kämpften sie gegen den Versuch, die Sterbehilfe zu legalisieren, was großes Aufsehen erregte und zu lebhaften Diskussionen in den Medien führte. Bis jetzt wird die Vorlage immer noch im britischen Unterhaus diskutiert und hat noch nicht das Oberhaus erreicht. Es wird immer noch für das Scheitern dieses Vorschlags gekämpft.
Dagegen erklärte das deutsche Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 die Regelung des Paragrafen 217 Strafgesetzbuch für nichtig, der die „gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellte. Das Thema wurde kaum diskutiert, und wenn doch, überwiegend aus linksliberaler Sicht, wie so oft in den deutschen Medien. Es folgten keine großen medialen Stellungnahmen und Reaktionen der beiden Kirchen in Deutschland.
Predigten über Klimawandel? Nee, Theologie und überlieferte Messe!
In England hingegen scheint der Glauben unter jungen Menschen überraschend aufzublühen. Obwohl das Land offiziell anglikanisch und protestantisch ist, gehen mehr junge Katholiken in die Kirche als Protestanten. Von den 16 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, die regelmäßig in die Kirche gehen, sind 41 Prozent katholisch. Allein in der Erzdiözese Westminster wurden dieses Jahr zu Ostern 500 Erwachsene in die Kirche aufgenommen, von denen die Hälfte Katechumenen waren, Menschen also, die sich auf die Taufe vorbereiteten. Die andere Hälfte gehörte vorher keiner christlichen Konfession an. Es geht also auch darum, Konvertiten aus anderen Glaubensrichtungen und Atheisten zu gewinnen, und nicht nur die Anglikaner zu ermutigen, „den Tiber zu überqueren“.
Während die anglikanische Staatskirche Großbritanniens keine Erfolge für sich verzeichnen kann, ist die Pfingstbewegung anscheinend am Aufblühen: Sie konnte mehr Menschen zum Kirchgang ermuntern, vor allem durch die Sozialen Medien und enthusiastisch gefeierte Gottesdienste. Ein Grund für den ausbleibenden Erfolg für die Anglikaner könnte daran liegen, dass sie sich zu sehr auf „Klimaschutz“, „racial & social justice“ und „Flüchtlinge“ konzentrieren. Mit diesen Themen klingen sie eher wie eine NGO und nicht wie eine Kirche. Ähnlich verhält es sich mit der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Im Gegensatz zu dem jungenhaften und lebendigen Ansatz der Pfingstbewegung verhalten sich die katholischen „Oratories“ oder spezielle Gebetshäuser der Kongregation des heiligen Philipp Neri mit Sitz in London, Oxford und Birmingham. Diese sind besonders erfolgreich darin, Konvertiten zu gewinnen, und sind bekannt für ihre „Smells and Bells“-Herangehensweise an die hl. Messe. Viele Intellektuelle und Studenten wurden nicht durch Predigten über den Klimawandel oder den Krieg in der Ukraine, sondern durch Theologie und die Schönheit der Liturgie gewonnen. Die Zahl der Gemeindemitglieder in den Oratories hat sich in kürzester Zeit verdoppelt oder vervierfacht. Die Messe auf Latein wird regelmäßig angeboten und ist häufig voll.
„Erste kleine Schritte im Glauben“
Eine Konvertitin aus Oxford erzählte gegenüber Corrigenda: „Es waren die ersten kleinen Schritte im Glauben, mit denen mir das Oratorium eine zusätzliche Ebene bot, zunächst eine kulturelle, glaube ich, und eine theologische, da mir der Katholizismus hinsichtlich der Lehre und meiner Verbundenheit mit Europa als Zivilisation als der richtige Weg erschien … und der dort angebotene Katechismus war ziemlich gut.“
Dass soziale Medien eine große Rolle spielen, ist unter jungen Katholiken in England kein Geheimnis. Für viele ist es die erste Erfahrung mit dem Katholizismus oder sogar dem Christentum, die es ihnen ermöglicht, den Glauben kennenzulernen, bevor sie in die Kirche gehen. Es hilft, ähnlich Gesinnte zu vernetzen und sie von der Wahrheit des Glaubens zu überzeugen.
Elena Atfield konvertierte in ihren Zwanzigern zum Katholizismus. Sie ist auf X (ehemals Twitter) aktiv und hat durch ihre Social-Media-Aktivitäten viele Menschen erreicht. „Mein eigener Weg vom nonkonformistischen Protestantismus zur katholischen Kirche begann in Social-Media-Foren und -Nachrichten“, schilderte sie gegenüber Corrigenda. „Das moderne Großbritannien weist eine besondere Lücke auf, wenn es um eine Kultur geht, die sich mit gewichtigen Fragen über den Sinn des Lebens beschäftigt. Der Katholizismus ist in der Lage, diese Lücke zu füllen, wie ein verborgener Schatz, der versteckt wurde, aber immer noch da ist und auf jeden Menschen wartet.“
Vielleicht hat es geholfen, dass der neue Atheismus in England besonders stark war. Zwei der sogenannten „Vier Vorreiter“ waren Briten: Christopher Hitchens und Richard Dawkins. Das löste bei vielen Katholiken einen heftigen Widerstand aus, verfeinerte ihre Argumente und ermutigte sie, an den Kulturkämpfen teilzunehmen. Es ist eine seltsame Laune der Geschichte, dass der Katholizismus zum ersten Mal seit der Reformation bald wieder die Hauptreligion Englands sein könnte.
Amerikanisierung einmal anders
Der Bruch Heinrichs VIII. mit Rom, um sich von Katharina von Aragon scheiden zu lassen, führte dazu, dass der englische Staat oft antikatholisch war. Priester und Nonnen wurden verfolgt, die Klöster geplündert und aufgelöst. Antikatholische Gesetze führten dazu, dass katholische Schulen und die öffentliche Feier der Messe mehrere hundert Jahre lang illegal waren. Erst im 19. Jahrhundert gelang die katholische Emanzipation, also die Gleichstellung mit der anglikanischen Mehrheit. Doch diese lange Geschichte der Verfolgung führt dazu, dass die englische katholische Kirche es gewohnt ist, gegen den kulturellen Mainstream zu kämpfen.
Das bedeutet auch, dass der traditionelle Katholizismus in England besonders stark vertreten war. Viele der berühmtesten englischen Katholiken des 20. Jahrhunderts, wie J. R. R. Tolkien, aber auch Sympathisanten wie Agatha Christi, waren starke Befürworter der überlieferten Messform, wie sie bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanum überall zelebriert wurde. Die Latin Mass Society fördert unablässig den alten Ritus der Messe und organisiert Pilgerfahrten für junge Menschen nach Walsingham, wo sich ein mittelalterlicher Marienschrein befindet.
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Eine gemeinsame Sprache mit den Vereinigten Staaten bedeutet auch, dass sich die dortige katholische Missionierung in Großbritannien auszahlt. Vor einigen Jahren erfreute sich der Podcast „The Bible in a Year“ sowohl in Amerika als auch in England großer Beliebtheit. Innerhalb eines Jahres folgten weitere Podcasts zum Katechismus und zum Rosenkranz, die ebenfalls beliebt waren, sowie der Launch der religionsübergreifenden „Hallow“-App. Zu den bekannten Förderern und Nutzern dieser App gehören unter anderem der Tech-Milliardär Peter Thiel und US-Vizepräsident James David Vance.
Zu den bekannten Persönlichkeiten gehört auch Bischof Robert Barron, der mehrmals Großbritannien besucht hat und unter anderem im britischen Parlament zu Gast war. Er führt mit „Word on Fire“ ebenfalls einen sehr erfolgreichen religiösen Onlinedienst. Er ist außerdem aktiv auf X und Youtube.
Erfolg konfessioneller Schulen und was die Deutschen nicht machen
Ein weiteres Element ist wahrscheinlich der Erfolg konfessioneller Schulen. Sie dürfen in Großbritannien 50 Prozent ihrer Plätze an Schüler des jeweiligen Glaubens vergeben, oft nur auf Empfehlung des Pfarrers. Da sie gleichzeitig erschwinglich sind und in den Ofsted-Schulbewertungen, einem staatlichen Bewertungssystem für alle Schulen, gut abschneiden, sind sie besonders attraktiv. Viele Eltern, die sonst vielleicht ferngeblieben wären, kommen regelmäßig zu den Gottesdiensten, um ihren Kindern die Aufnahme in eine gute Schule zu ermöglichen, und bleiben häufig auch nach der Schulzeit auf den Kirchenbänken.
Letztendlich ist die große Frage, warum es in Deutschland keinen blühenden Katholizismus wie in Frankreich oder England gibt oder eine blühende evangelische Pfingstbewegung wie in Amerika. In den Gottesdiensten überwiegt graues Haar. Es gibt wenig Kinder, und wenn sie dort sind, sind es nicht wenige Kinder von Immigranten. Das soll diese nicht verunglimpfen, sondern bedeutet, dass die Deutschen sich nicht gegenseitig zum Glauben bewegen.
Die Bischöfe rufen die Völker nicht zu Gott!
Den vorangegangenen Generationen muss bewusst sein, dass sie es versäumt haben, ihre eigenen Kinder im Glauben zu erziehen, insbesondere wenn man bedenkt, dass die katholische und evangelische Kirche in Deutschland durch die Kirchensteuer vergleichsweise reich ist.
Vielleicht verhält es sich so, wie Papst Benedikt XVI. sagte und Papst Franziskus es bekräftigte: Wir brauchen eine Kirche, die ärmer, aber treuer ist. Viel zu oft haben die Predigten mehr mit Politik als mit Gott zu tun, und der Mehrheit der deutschen Bischöfe scheint es um einen „Synodalen Weg“ zu gehen, der die Kirche der Gesellschaft entgegenbringt, als dass die Bischöfe die Gesellschaft zu Gott rufen. Das muss sich ändern, und vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an Großbritannien nehmen, das zeigt: Es geht auch anders.
Kommentare
Es ist schön zu hören, dass sich auch in Europa immer wieder Menschen auf ein Leben mit Christus einlassen und ein neues Leben beginnen.
Leider darf das nicht davon ablenken, dass in England bereits ein beachtlicher Anteil der Bevölkerung mohamedanischen Glaubens sind und diese Menschen sind kaum bereit aus ihrer Community auszubrechen und alle Brücken hinter sich abzubrechen. Wenn man dann noch die Geburtenraten betrachtet sind die Chancen hier eine nachhaltige Veränderung zu erwarten.
Trotz allem freut es mich für jeden Menschen der Christ wird.
@Isabel Wieviele Moslems sind es? Ich kenne keine echten Zahlen.
Mission is possible! Ich bin selbst Ostern 2024 getauft worden - bei den Oratorianern des Heiligen Philipp Neri in Wien. Und die dortigen Patres sind auch alle große Tolkien-Fans.
@Heiko Hofmann die dortigen Geistlichen sind bis auf wenige Ausnahmen die einzigen Geistlichen mit einer klassischen Bildung, was man von der Petrusbruderschaft und der Piusbruderschaft leider nicht behaupten kann.
Beim UK wird immer etwas vergessen es gab keine Brüche im 20 Jhd im System . Wenn man sich z. B. die Legislative anschaut, funktioniert es immer noch so wie seit 1708
das ist eine große Stärke