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Kolumne „Ein bisschen besser“

Das Mullah-Prinzip

Bei uns zu Hause sind wir weit weg vom Mullah-Regime. Auch inhaltlich. Meine Frau Judith betet mir zwar häufig was vor, aber falls ich nicht spure, greift nicht unmittelbar die Scharia. Umgekehrt habe ich ein glasklares Rollenbild, nehme aber hin, dass es 24 Stunden am Tag erschüttert wird. Unser Leben ist ein ständiges Ringen. Wir wissen nie, wie es geht, sondern immer nur, wie es gegangen ist.

„Wollen wir heute Bollo essen“, fragt Judith zum Beispiel, was ihre Abkürzung für Spaghetti Bolognese ist. Ich liebe diesen Ausdruck, weil er nach italienischer Gosse klingt. Aber ich bin dieser Kartoffeltyp. Aufgewachsen in der niedersächsischen Tiefebene, in der um diese Jahreszeit die Kartoffel die einzige schattenspendende Pflanze ist. 

Die erschütterliche Meinung ist ein bisschen besser als die unerschütterliche

Eine dicke Ofenkartoffel mit Sour Cream und Lachs schlage ich vor. „Ach ja?“, sagt Judith, und schaut mit einem Lächeln haarscharf an mir vorbei. Ich seufze. Heute schlägt Pasta Kartoffel, aber morgen werde ich gewinnen. Ganz sicher.

So nehmen die Dinge ihren Lauf und gemeinsam hegen wir tiefes Misstrauen gegen die, die sich ihrer Sache stets todsicher sind. Sie müssen entweder alles wissen oder nichts: Elon Musk ist ein größenwahnsinniger Egomane.  Stimmt, aber er ist einer der genialsten Unternehmer unter der Sonne. 

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Donald Trump hat jede Vorstellung vom Völkerrecht gebrochen, als er die Bunker der Mullahs bombardierte. Stimmt, aber er hat die Gefahr eines großen Krieges fürs erste abgewendet. „Vielleicht“, wirft Judith ein. Cola Zero ist ohne Zucker, stimmt, aber warum trinken ausgerechnet die Dicken dann immer Cola Zero? „Im Zweifel für den Zweifel“, rufe ich Judith zu. „Die erschütterliche Meinung ist ein bisschen besser als die unerschütterliche.“

Wie schön Augenblicke ohne Zweifel sind

„Wir gehen in den Pool!“, unterbricht uns das Töchterchen und meint das aufgeblasene Planschbecken auf den Pflastersteinen im Hinterhof. Wir mixen uns bei 32 Grad einen kühlen Drink aus Apfelsaft und Sprudel, machen eine Wasserschlacht zwischen Topfblumen und Mülltonnen und lassen die Klänge von Buena Vista Social Club aus dem Fenster im ersten Stock über den Hof schweben. 

Jeder von uns dreien ist sicher, dass wir im karibischen Paradies vor der Haustür gelandet sind. Wie schön Augenblicke ohne Zweifel sind, denke ich, und verstehe jetzt besser, wie das Mullah-Prinzip funktioniert.

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