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Kolumne „Der Philosoph“

Nestwärme und Tugendbildung

Demographie ist Schicksal – „La demographie, c’est le destin“. Dieses meist Auguste Comte zugeschriebene Zitat findet sich zwar so nicht bei ihm, aber das tut der Wahrheit dieser Sentenz keinen Abbruch: Insofern nämlich die Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung wesentlich zu Wohl oder Wehe des Gemeinwesens beitragen, ist die demographische Entwicklung eines Landes in der Tat eine Schicksalsfrage.

Die Rede von der Schicksalshaftigkeit demographischer Prozesse ist jedoch dann gefährlich, wenn sie lähmend wirkt. Schließlich handelt es sich nicht um ein Schicksal, dem eine Gemeinschaft einfach hilflos ausgeliefert wäre. Vielmehr offenbart die demographische Entwicklung eines Landes gewissermaßen nur, wie es zu sich selbst und seiner Zukunft steht.

Daher darf auch die Politik, der ja die Aufgabe zufällt, die Geschicke eines Staates zu lenken, nicht in Passivität oder gar Lethargie verfallen. Stattdessen muss sie gerade auf dem Gebiet der Demographie das Heft des Handelns ergreifen.

Nicht nur um Geburtenzahlen, sondern um Tauglichkeit und Tugenden geht es

Beispielhaft geschieht dies in Ungarn, wo vor einer Woche der fünfte Budapest Demographic Summit zu Ende gegangen ist. Das Besondere an diesem Treffen von Politikern, Geistlichen, Intellektuellen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen ist neben dem Umstand, dass überhaupt strategisch über demographische Herausforderungen nachgedacht wird, vor allem die Tatsache, dass dabei die Familie als Lösungsansatz im Mittelpunkt steht.

Um die konkreten Maßnahmen, die Ungarn in den letzten Jahren ergriffen hat, und ihre Auswirkungen soll es im Folgenden aber nicht gehen. Wir wollen ganz im Sinne der philosophischen Stoßrichtung dieser Kolumne auf die grundlegende Rolle der Familie sowohl für das Individuum als auch für den Staat blicken.

Zunächst können wir feststellen, dass das demographische Problem von einer rein quantitativen auf eine qualitative Ebene gehoben wird, wenn der Fokus auf die Familie gelegt wird. Es geht dann nämlich nicht mehr bloß darum, dass einem Land eine bestimmte Zahl an Individuen fehlt, sondern um deren Tauglichkeit, ein gedeihliches Gemeinwesen aufrechtzuerhalten. Wir müssen somit fragen, wie aus einem Kind überhaupt ein selbstständiges, tugendhaftes Individuum – eine Persönlichkeit – wird.

Die Familie ist dafür der Ort

Anders als im Tierreich üblich, kommt der Mensch bekanntlich höchst unselbstständig auf die Welt. Das Kind muss zunächst intensiv gepflegt, umsorgt, behütet werden. Später muss es dann auch erzogen, und das heißt: nicht nur gefördert, sondern auch zu Höherem herausgefordert werden.

Neben der Ausbildung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten ist vor allem die sittliche Erziehung entscheidend: Der Heranwachsende muss lernen, die eigenen Gefühle, Neigungen und Interessen unter dem Gesichtspunkt eines objektiv Guten zu evaluieren und zu kontrollieren. Er muss, mit anderen Worten, tugendhaft werden. Nur so wird aus einem Kind irgendwann ein selbstständiger Erwachsener. Denn ein solcher zu sein, heißt ja gerade, sich selbst im Griff zu haben, etwa indem man in der Lage ist, sich im Lichte höherer Güter die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung zu versagen.

Die Familie ist nun der Ort, an dem all diese unwahrscheinlich anspruchsvollen Bedingungen, die zur Herausbildung einer individuellen Persönlichkeit notwendig sind, ihre Erfüllung finden. Unter dem Strich heißt das: Ohne Familie kein selbstständiges Individuum, keine Persönlichkeit.

Stabile Familienverhältnisse bilden das Fundament einer funktionierenden Demokratie

Der Zustand des Staates wiederum hängt entscheidend davon ab, ob es hinreichend viele selbstständige, tugendhafte Individuen gibt. Das gilt ganz besonders für die Demokratie. Denn wie soll das Volk (und sei es über Repräsentanten) herrschen, wenn der Einzelne sich nicht einmal selbst zu beherrschen vermag? So gesehen bilden stabile Familienverhältnisse das Fundament einer funktionierenden Demokratie.

Denn die Familie ist nicht nur, wie es immer wieder heißt, die „Keimzelle“ der Gesellschaft, in dem Sinne, dass sie in quantitativer Hinsicht den Bestand der Bevölkerung sichern soll. Vielmehr ist die Familie als Quelle individueller Persönlichkeit auch in qualitativer Hinsicht alles entscheidend für den Fortbestand des Gemeinwesens.

Dieser fundamentale Zusammenhang zwischen Familie, Individuum und Gemeinwesen lässt sich nicht dadurch widerlegen, dass auf die Existenz dysfunktionaler Familienverhältnisse verwiesen wird. Ein schlechter Vater und ein treuloser Ehemann widerlegen nicht die Wichtigkeit guter Väter und treuer Männer. Ganz im Gegenteil: Gerade anhand des Schlechten zeigt sich die Notwendigkeit des Guten!

Sie muss sich selbst an einem Guten messen lassen, das sie übersteigt

Aus der Betonung, wie wichtig die familiäre Beziehung für den Einzelnen und den Staat ist, darf aber freilich keine Vergottung der Familie werden. Die Institution der Familie muss sich selbst an einem Guten messen lassen, das sie übersteigt. Gerade im Rahmen des christlichen Familienbildes sollte man sich dessen bewusst sein.

Auf alle Fälle aber sollte dem Gerede von der Familie als einem „Unterdrückungszusammenhang“ keine Beachtung geschenkt werden. Denn wer die Familie als solche in Frage stellt, untergräbt damit letztlich die freie Persönlichkeitsbildung ebenso wie das Gemeinwesen im Ganzen. Ohne die Familie haben weder der Einzelne noch die Gemeinschaft eine Zukunft.

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