Das Gipfeltreffen – und wie es wirklich lief

Wahrscheinlich hat er noch seine bulgarische Schäferhündin Buffy getätschelt, sie mag es wie alle Hunde, unten am Hals fest gekrault zu werden. „Welchen Anzug soll ich in Anchorage anziehen?“, hat er vielleicht noch gefragt, und dann hat eine Stimme, die wir nicht kennen, geantwortet: „Hast du denn mal auf die Wetterapp geguckt?“ Er hat sich dann für den warmen Dunklen entschieden, eher figurbetont. Der strahlt eine gewisse Würde aus, hat aber auch etwas von einer Rüstung.
Auf der anderen Seite der Welt bricht der andere auf. Er trägt diesen amerikanischen, immer ein bisschen zu weit geschnittenen Anzug. Und weil er ihn immer trägt, hat er auch nicht lange überlegen müssen. Als er aus dem Haus eilt – es ist schon wieder zu spät geworden und er hasst diese Hetze – sagt Melania: „Warte, ich habe noch einen Brief für ihn, kannst du ihm den geben?“ Er versenkt ihn mit seinen überraschend schmalen Händen in der Innentasche seines Sakkos. Vielleicht gibt sie ihm einen flüchtigen Kuss.
Hat er sich das vorher überlegt?
Judith und ich sitzen vor dem Bildschirm. Meine Frau hält nichts von Trump und noch weniger von Putin und liest während des Treffens der beiden demonstrativ einen italienischen Krimi. Ich bin Sammler historischer Augenblicke und beobachte gebannt, wie jemand von innen die Tür der Air Force One öffnet und dieser Präsident in dieses graue Licht Alaskas tritt, sehr genau auf seine Füße achtet, als er die lange Flugzeugtreppe hinuntersteigt. Bloß jetzt nicht stolpern wie einst sleepy Joe, es wäre der blödeste Stolperer seines Lebens.
Der Protokollchef hat die roten Teppiche, die eine Gasse durch eindrucksvolles Kriegsgerät bilden, so verlegt, dass sie sich kreuzen. Der Amerikaner ist als erster an der Kreuzung, sie waren ja auch als erste auf dem Mond, die Amis. Der Russe kommt von links. Trump wartet. „Was hättest du gemacht?“, frage ich Judith, die den Krimi jetzt doch zur Seite gelegt hat. Der Amerikaner applaudiert, fast als würde er den Gast anfeuern, einen Schritt zuzulegen. Hat er sich das vorher überlegt?
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Judith fällt der Größenunterschied auf. „Putin ist klein“, sagt sie. Ich weiß, dass sie kürzeren Männern immer etwas misstrauisch gegenüber ist und bin froh, dass ich mit meinen 1,80 oder so gerade noch in ihr Normalmaß passe. Ich erzähle ihr, dass irgendwo hinter den beiden die Adjutanten sind, die den nationalen Atomkoffer tragen. Beide Präsidenten könnten in Minuten auf Knopfdruck das Land des anderen vernichten.
„Hören die Bomben jetzt auf?“
Sie machen es heute nicht. Später wird der Amerikaner dem Russen den Brief seiner Frau geben. „Lieber Präsident Putin, jedes Kind hat die gleichen stillen Träume in seinem Herzen“, lauten die ersten beiden Zeilen. „Sie träumen von Liebe, Chancen und Sicherheit vor Gefahr.“ Der Russe wird ihn sofort lesen. Er wird dann bei der Pressekonferenz einen Satz sagen, der mir hängenbleibt. Man sei hier in Anchorage nahe der Datumsgrenze. „Es ist nur ein Schritt vom Gestern ins Morgen.“
Dann sitzen sie wieder in ihren Präsidentenmaschinen und jetten in entgegengesetzte Richtungen. Ich an ihrer Stelle würde jetzt erst mal den obersten Knopf öffnen und die Krawatte lockern. Wahrscheinlich würde ich auch einen Drink nehmen, weswegen ich auch nicht Präsident bin, denn die beiden trinken nicht.
Was denkst du, Judith, frage ich. „Es ist ein Anfang, mit dem ich wenig anfangen kann. Hören die Bomben jetzt auf?“, sagt sie. „Und was denkst du?“ „Es ist ein bisschen besser“, sage ich.
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