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Kolumne „Ein bisschen besser“

Wo rohe Kräfte sinnlos walten

Manchmal empfehlen Therapeuten Wuttherapien in Form von lauten Schreien oder das Eindreschen auf ein Kissen. Ich habe das in meinem Leben vielleicht zwei, drei Mal gebraucht, aber das ist schon länger her. Einmal passierte es, als mein Auto, es war eine Citroen DS, zum x-ten Mal liegen geblieben war. Ich trat ihr eine Beule in den Kotflügel, was mir hinterher für uns beide leid tat.

Ein bisschen besser ist die Klassikertherapie. Wie sie gerade in Kombination mit der klassischen Wuttherapie wirkt, habe ich am Wochenende erfahren, als ich mit einem gewissen Spaß zum Vorschlaghammer griff und der altersschwachen Küche in unserem in die Jahre gekommenen Haus in Italien zu Leibe rückte.

Befreiungsschläge einer berstenden Seele

Meine Frau Judith verzog sich beim ersten Wumms, während ich so richtig in Stimmung kam. „Wo rohe Kräfte sinnlos walten“, jauchzte ich. Wumms! „Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß.“ Wumms! „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben“. Wumms! „Wehe, wenn sie losgelassen.“ Wumms! „Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“ Wumms.

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Es waren die Befreiungsschläge einer berstenden Seele und abends zum Schweinebraten, den Judith köstlich mit Kartoffelgratin angerichtet hatte, quollen die Zitate aus der Schillerschen „Glocke“ weiter aus mir hervor, wie aus einem Zwei-Meter-Mann mit Durchfall: „Drinnen waltet die züchtige Hausfrau“, sagte ich beim Küchentisch. Judith schaute skeptisch. „Da werden Weiber zu Hyänen“, fügte ich hinzu. Judith ging zum Angriff über und forderte mich ultimativ auf, die Klassikertherapie zu beenden. Nur mit einem „Ach! Die Gattin ist’s, die teure“, konnte ich Schlimmeres verhindern.

Der Abend hätte einen schönen Lauf nehmen können

Rumgekriegt habe ich sie erst, als wir uns niederlegten. Ich hauchte ihr ein „Oh zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, der ersten Liebe goldne Zeit“ ins Ohr, und ich merkte, wie die Widerstände schwanden. Ich murmelte mit Verlangen in der vibrierenden Stimme: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet.“

Als Judith darauf tatsächlich prüfend näher kroch, sagte ich noch: „Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken“, worauf der Abend eigentlich einen schönen Lauf hätte nehmen können, wenn nicht in dem Augenblick das Töchterchen ins Bett gekrochen wäre.

Die Klassikertherapie sieht für diese Situation folgendes glockenreines Zitat vor: „Er zählt die Häupter seiner Lieben.“ Ich aber gebe zu: Ich hätte am liebsten doch aufs Kissen eingedroschen. Wumms. Wumms.

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