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Interview mit Pater Franz Schmidberger

„Wir müssen den Himmel verdienen, das geht nicht ohne Kampf und Ringen“

Stuttgart-Feuerbach. Hier liegt es also, das Priorat St. Athanasius, Sitz des deutschen Distrikts der Priesterbruderschaft St. Pius X., oder kurz: Piusbruderschaft. Der 1933 eingemeindete Stadtbezirk wirkt chaotisch, unordentlich, alte Industriebauten vermischen sich mit neuen Geschäfts- und Bürokomplexen und ein paar alten Bürgerhäusern zu einem Gebilde, das man als typisch für die heutige Zeit bezeichnen könnte. Die Multikulturalisierung ist auch hier sofort sichtbar. Und mittendrin die Piusbruderschaft und „ihre“ Kirche St. Maria Himmelfahrt. Die ist allein schon deshalb besonders, weil sie im ausgehenden 20. Jahrhundert errichtet worden ist – im Barockstil. Erbaut und eingerichtet, um Gott mit allen Sinnen begegnen zu können. Die Piusbruderschaft, nach eigenem Bekunden ein Hort der Wahrheit und Weisheit der 2.000 Jahre alten Institution katholische Kirche, ist ein rotes Tuch für alle progressiven Katholiken.

Ganz an der Spitze der Piusbruderschaft stand einst Pater Franz Schmidberger als Generaloberer. Davor und danach war er als Distriktoberer verantwortlich für die Bruderschaft in Deutschland und baute den Distrikt nördlich der Alpen auf. Als Regens des Seminars im oberpfälzischen Zaitzkofen führte er zahlreiche junge Männer zur Priesterweihe.

Inzwischen ist Pater Schmidberger im Ruhestand, aber nicht untätig. An einem nebligen Dezembertag, wenige Tage vor dem 50. Jubiläum seiner Priesterweihe am 8. Dezember, empfängt der hagere Mann in den Büro- und Wohnräumen des Priorats. Den massiven, dunklen Möbeln nach zu urteilen, hätte es so auch schon in den 1950ern von Tante Gerda eingerichtet worden sein können. Das Interieur stammt aus Wohnungsauflösungen von Gönnern. Tatsächlich besteht das Priorat erst seit 1981 und dient seit 1984 als Sitz des deutschen Distriktes.

Pater Schmidberger, der im kommenden Jahr 80 Jahre alt wird, wirkt körperlich und geistig fit. Er strahlt Charisma aus und ist gleichzeitig von einer Härte gezeichnet, wie sie typisch ist für Menschen, die schwere und große Umbruchzeiten erlebt haben. Die sich seit Langem im Widerstand gegen den Zeitgeist befinden. Die nicht aufgewachsen sind in den wohlstandssatten und verheißungsvollen 1990er Jahren. Noch bevor man sich hinsetzt, entschuldigt sich Pater Schmidberger. „Ich hätte Sie gern zum Essen bei uns eingeladen, aber heute finden Einkehrtage statt, da ist der Tisch vollbesetzt, und außerdem darf nicht geredet werden.“ Dafür nimmt sich der Pater, der noch immer ein spitzbübisches Lächeln im Gesicht trägt wie auf den Fotos aus seinen Kindertagen, anderthalb Stunden Zeit für das Corrigenda-Interview.

Herr Pater Schmidberger, wie läuft das „Experiment der Tradition“, wie Sie es nennen?

Dieser Ausdruck ist eher eine captatio benevolentiae, also eine wohlwollende Formulierung, für die andere Seite gedacht. Wir haben den Begriff aber für uns nie verwendet.

Was sagen Sie stattdessen?

Wir sagen: Wir wollen die Tradition fortsetzen, so wie sie die Kirche immer gekannt hat, wie sie die Kirche zweitausend Jahre lang verkündet hat, gelebt hat, zelebriert hat in ihren Riten, in ihren Messen, in ihren Sakramenten. Zwei mal zwei ergibt vier, diese Aussage ist kein Experiment, sondern die Wahrheit. Darum geht es.

Ist diese Tradition und ist diese Wahrheit radikal?

Wenn man unter radikal das Wurzelhafte, die Grundlage versteht, dann ja. Aber mit politischer Radikalität hat das nichts zu tun. Die Grundlage ist die Wahrheit, die der fleischgewordene Gott ist, der herniedergestiegen ist, um die Menschheit zu erlösen.

Warum braucht es dafür ausgerechnet Sie und Ihre Brüder?

Weil die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in eine große Schieflage gekommen ist, und wenn ich von Schieflage spreche, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es ist ein Zersetzungsprozess, der eingesetzt hat und der bis heute anhält. Und der massiv von den Bischöfen, gerade von denen in Deutschland, betrieben wird. Die Kirche ist am Zerbrechen. Wobei wir uns immer im Klaren sind, dass die Kirche nicht untergehen kann aufgrund der Verheißung Christi. Aber ihr äußeres Erscheinungsbild ist jämmerlich. Die Gottesdienstbesucherzahlen nehmen rapide ab, die Berufungen fehlen, die Klöster lösen sich auf, die Familien zerbrechen, die Ehen gehen auseinander, also was bleibt da übrig? Was bleibt übrig von den katholischen Schulen, von der katholischen Erziehung, von katholischen Einrichtungen und Werken? Da bleibt nichts übrig, die Kirche ist zu einem sozialen Verein geworden. Und zwar zu einem linksliberalen sozialen Verein. Das muss ich leider in dieser Deutlichkeit sagen.

Wenn in der Wirtschaft ein Unternehmen Erfolg hat, dann werden sich andere Unternehmen in der Branche etwas abschauen. Die Piusbruderschaft erfreut sich überdurchschnittlich vieler Berufungen. Das Priesterseminar in Zaitzkofen ist voll. Müsste der Erfolg nicht anziehend sein für Orden, für andere kirchliche Strömungen und schließlich auch für Rom?

Ja, das müsste es sein, aber leider ist das nicht so.

Franz Schmidberger als Gymnasiast

Warum?

Weil diese Leute in großen Teilen besessen sind von einer Ideologie, die der bisherigen Lehre der Kirche, der bisherigen Ausrichtung der Kirche, dem Leben der Kirche, gänzlich entgegengesetzt ist.

Was ist das für eine Ideologie?

Das ist die reine Diesseitigkeit, die mit der übernatürlichen Heilsordnung so gut wie nichts mehr zu tun hat. Die den Gedanken der Erlösung, das Kreuz Jesu Christi, die Fortdauer des Kreuzes im heiligen Messopfer, die all das ausbremst, zur Seite stellt. Es betrifft nicht alle, aber einen großen Teil.

Sie feiern in diesen Tagen das 50. Jubiläum Ihrer Priesterweihe. Als die Berufung zum Priester in Ihnen heranwuchs, also in den 1960ern, lebten Sie in einer Umbruchzeit. Weltlich wie kirchlich fanden Revolutionen statt. Sie studierten Wirtschaftsmathematik in München, einer Großstadt, und umgeben von Versuchungen. Warum gingen Sie dennoch ins Priesterseminar?

Noch vor dem Abschluss des Diploms war der Weg klar, dass eine Berufung vorliegt, ein Ruf Gottes, und dem darf ich mich natürlich nicht versagen.

Kann ein solcher Ruf nicht übertönt werden durch den Lärm der Zeit?

Wenn man den Ruf Gottes wahrnimmt, dann muss man ihm folgen. Da geht es um das Letzte des Menschen, um sein Glück, um seine Lebenserfüllung, um die Ewigkeit und schließlich um den Himmel, also um die Rettung der eigenen Seele. Insofern war für mich klar: Ich muss diesem Ruf folgen.

„Jeder hat seine Sendung, jeder hat seine Verantwortung, die er wahrnehmen muss“

In München hatten Sie ein „Damaskus-Erlebnis“: Sie trafen einen Tiermediziner aus Ihrer Heimat, der Sie über die Krise der Kirche aufklärte. Später trafen Sie dort den Philosophieprofessor Reinhard Lauth. Inwiefern sind Einzelpersonen, also persönliche Begegnungen zwischen Menschen wichtig für eine Bekehrung?

Eine persönliche Beziehung ist von großer Bedeutung. Der Mensch ist ein Geistwesen, das mit anderen Geistwesen in Beziehung steht. Der Mensch ist ein Gesellschaftswesen und ist angewiesen auch auf die Hilfe und die Inspiration von anderen Menschen. Und da kann ein besonderes Ereignis eine große Rolle spielen im Leben. Bei mir war es der Kontakt zu Professor Lauth und seinem Schülerkreis. Dort wurde massive Kritik an der damaligen und bis heute anhaltenden kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklung geübt.

Auffallend viele intellektuelle Laien nahmen die drohenden negativen Folgen der kirchlichen Reformen wahr und kämpften dagegen an, aber wenige Kirchenmänner.

Es gab auch durchaus Kirchenmänner, die das getan haben. Zum Beispiel Prälat Georg May aus Mainz, der seit 1968 jeden Sonntag die Messe in Mainz in überlieferter Form feierte und entsprechend predigte. Oder nehmen Sie Erzbischof Lefebvre, der gesagt hat: Man muss wieder Priester ausbilden, man muss wieder der Tradition der Kirche zum Sieg helfen, man muss sie wieder lebendig machen inmitten eines Sturmes, inmitten des sich immer weiter ausbreitenden Neuheidentums. Es spielt auch keine Rolle, ob das Laien sind oder ob das Kleriker sind. Die einen und die anderen ruft Gott, und jeder hat seinen Auftrag, jeder hat seine Sendung, jeder hat seine Verantwortung, die er wahrnehmen muss.

In Ihrer Autobiografie „Erinnerungen“ schreiben Sie: „Das Leben im Dorf kannte drei Mittelpunkte: die Kirche, die Schule und das Rathaus und folglich drei Autoritätspersonen: den Pfarrer, den Lehrer und den Bürgermeister.“ Heute ist das nicht mehr so, heute sind die Strukturen andere. Inwiefern prägen die Strukturen das Denken und Handeln der Menschen und schließlich auch den Glauben?

Gott hat den Menschen geschaffen einerseits als Hirte, andererseits als Schaf. Er hat Menschen mit Autorität ausgestattet – das sind die Eltern, das sind die Lehrer, das ist der Bürgermeister, das ist der Staatspräsident und das sind in der Kirche vor allem der Papst und die Bischöfe und natürlich auch die Pfarrer. Sie müssen die Herde auf den Pfad des Guten, des Wahren und Schönen lenken. Wenn diese Autorität bricht, ist das katastrophal.

Heute gibt es noch weitere Autoritätspersonen, man denke an die Medien, klassische Medien wie soziale Netzwerke.

Die alten Autoritäten haben ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt, also kamen neue hinzu. Das sind die neuen Könige der öffentlichen Meinung, die das Volk auf Irrwege führen. Auch der Journalismus spielt zum großen Teil eine ziemlich katastrophale Rolle.

Sie schildern auch, wie Sie in der Gemeinde des Münchner Pfarrers Maierhofer während des ersten Jahres im Priesterseminar aus der Kirche ausgetretene Menschen, unverheiratete Paare oder Eltern besucht haben, die ihre Kinder nicht haben taufen lassen. Und Sie hatten Erfolg, oftmals kehrten diese Menschen wieder in den Schoß der Kirche zurück. Warum gibt es heute nicht mehr Mission in Deutschland?

Erstens hat niemand im Klerus mehr Interesse daran, und zweitens existieren auch gar nicht mehr die Personen, die das machen können.

Dabei herrscht gerade unter jüngeren Menschen wieder eine stärkere Sehnsucht nach dem Transzendenten, wie neuere Umfragen belegen.

Wir haben gerade fünf junge Leute hier, vier sind evangelisch, die wollen katholisch werden, und einer ist nicht getauft, denen gebe ich jede Woche eine Stunde Unterricht.

Andererseits gibt es auch zusehends mehr Menschen, die sagen, sie bräuchten gar keinen Gott mehr. Ihnen gehe es doch gut. Die technologische Entwicklung schreitet voran. In den USA arbeiten intelligente Menschen an der Verschmelzung von Mensch und Maschine, wodurch man sich die Lösung von noch mehr Problemen verspricht. Was entgegnen Sie einem technikaffinen Menschen, der sagt, er brauche keinen religiösen Glauben?

Man muss sehr deutlich unterscheiden zwischen Mensch und Maschine. Eine Maschine ist kein Mensch, und ein Mensch ist keine Maschine. Diesen Unterschied aufrechtzuerhalten, ist eine Herausforderung angesichts der ganzen neuen Technologien. Die haben einerseits sicher einen positiven Aspekt, aber andererseits noch vielmehr einen negativen, gefährlichen Aspekt. Ich persönlich brauche nicht die neuesten technologischen Errungenschaften.

Pater Schmidberger 1982 mit Erzbischof Marcel Lefebvre

Manch einer sagt aber, er brauche Gott nicht, ihm fehle nichts. Was antworten Sie ihm?

Ich frage ihn: Hast du einen Verstand? Kannst du mit diesem Verstand die Wahrheit erkennen? Gibt es eine Wahrheit? Gibt es eine absolute Wahrheit? Ist das eine Herausforderung? Ist das eine sittliche Herausforderung für dich, dass du die Wahrheit erkennst und aus ihr lebst? Denn allein die Wahrheit kann einen frei machen. Allein die Wahrheit kann einem das Glück auf Erden und in der Ewigkeit bescheren.

Auch auf Erden?

Ja, auch auf Erden. Ich meine damit die Erfüllung durch ein erfülltes Leben, ein glückliches Leben, ein schönes Leben. Auch das Leiden im christlichen Sinne, also im Sinne der Erlösung, kann erfüllend sein.

„Christus hat nicht den Frieden für diese Welt gebracht, sondern den Frieden mit Gott“

Macht sich die Kirche nicht selbst überflüssig, wenn sie das nicht mehr im Fokus hat? Sie sagten im vergangenen Jahr in einem Vortrag, es gäbe in der Kirche die Tendenz dazu, die Erbsünde zu leugnen, in der Folge auch die persönliche Sünde und dadurch schließlich auch die Erlösungsnotwendigkeit des einzelnen Menschen. Den Menschen zum ewigen Heil zu führen ist aber der ursprüngliche Zweck der Kirche. Wenn er wegfällt, wozu brauche ich dann noch eine Kirche?

Das ist genau richtig, so ist das. Wozu soll ich mich dann noch mit Religion beschäftigen? Wozu soll ich mir das Leben schwermachen? Da genieße ich lieber das Leben, schöpfe es vollkommen aus und mache mir die Freuden dieser Welt zu eigen. Dass aus diesem Geist nichts Positives erwächst, das ist klar, das brauchen wir nicht weiter zu diskutieren.

Sie prangern in Ihren Schriften, Predigten und Vorträgen oft den „Liberalismus“ beziehungsweise den „Modernismus“ an. Was verstehen Sie darunter?

Liberalismus ist die Freiheit von jeder Autorität und die Freiheit von der Wahrheit. Und natürlich die Freiheit von der Kirche, von Gesetzen, Vorschriften und so weiter. Das ist die totale Beliebigkeit des Menschen. Der Modernismus ist eine Tendenz in der Kirche, die sich vor allem Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts breitgemacht hat und die Pius X. mit aller Energie verurteilt hat. Der Modernismus vertritt, dass die Religion aus dem Unterbewusstsein des Menschen kommt. 

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Für ihn gibt es keine äußere Religion, keine äußere Autorität, die die Religion vermittelt, keine Lehre der Kirche, keine Sakramente. Und er behauptet, dass alle Religionen heilsfähig sind. Der Relativismus ist hierbei wurzelhaft vorhanden, der Relativismus und der Subjektivismus. Jeder hat seine Religion, jeder seine eigene Wahrheit, jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden. Es gibt keine objektive Norm für den Menschen. Und, ganz wichtig: Für ihn gibt es eine Geschichtlichkeit der Wahrheit.

Was bedeutet das?

Die Geschichtlichkeit der Wahrheit bedeutet, dass die Wahrheit sich im Lauf der Geschichte verändert, dass sie an eine Zeit gebunden ist. Doch das ist sie nicht, sie ist immer gültig.

Pater Schmidberger als neuer Generaloberer der Piusbruderschaft 1983

Woran machen Sie diese Tendenzen in der Praxis fest?

Das prägendste Beispiel ist wohl das Religionstreffen in Assisi 1986, zu dem Papst Johannes Paul II. geladen hatte. Er lud verschiedene Religionen ein, um für den Frieden zu beten.

Was ist falsch daran?

Erstens: Zu welchem Gott wollen die überhaupt gemeinsam beten? Buddhisten kennen gar keinen persönlichen Gott, Hindus haben Tausende von Göttern, und die Moslems kennen keine Dreifaltigkeit, keinen fleischgewordenen Gott, keine Inkarnation, keine Menschwerdung Gottes. Wie soll das also funktionieren?

Zweitens: Christus hat nicht den Frieden für diese Welt gebracht, sondern den Frieden der Herzen, den Frieden mit Gott. Das ist etwas ganz anderes. Er hat gesagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Das heißt: Die Trennung zwischen Wahrheit und Irrtum.

„Wer glaubt, viele Religionen führten zu Gott, der zerstört die Mission wurzelhaft“

Ist das der Grund, weshalb die Kirche im Vergleich zu früheren Zeiten kaum noch missioniert?

Wer glaubt, viele Religionen führten zu Gott, der zerstört die Mission wurzelhaft, der erstickt jede missionarische Anstrengung im Keim.

Es gab in der Kirchengeschichte immer wieder große Krisen. Alle 500 Jahre waren sie sogar lebensbedrohlich. Immer gingen die Gegenreformen vom Klerus aus: Ob Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert, Bernhard von Clairvaux im 12. oder Ignatius von Loyola samt seiner Gefährten Peter Faber und Franz Xaver im 16. Jahrhundert: Sie bewahrten und verteidigten das Erbe. Der Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila notierte: „Im düsteren und stickigen Gebäude der Welt ist das Kloster der Raum, der sich zu Sonne und Luft öffnet.“ Gilt das heute immer noch?

Nur aus kleinen Anfängen heraus, im Großen und Ganzen nicht. Es gibt die Substanz nicht mehr, und vor allem ist die Gegnerschaft derart gewaltig – die haben alle Schalthebel in der Hand, so dass sie alle Versuche dieser Art sofort unterbinden könnten. Die Gegenbewegung muss aus kleinen Gruppen heraus in die Wege geleitet werden. 

Pater Schmidberger 1983 in der Schule St. Mary’s in den USA

Und ich denke, dass die Piusbruderschaft dabei eine wesentliche Rolle spielt. Wir haben fünf Seminare, derzeit 264 Seminaristen und mehr als 700 Patres in 30 Ländern auf allen Kontinenten. Es geht darum, kleine Zellen zu schaffen, kleine Kreise, von denen die Gesundung ausgeht, die Ausstrahlungs- und Anziehungspunkte sind.

Betrachtet man die 55-jährige Geschichte der Piusbruderschaft, fällt auf, dass es trotz der konsistenten Haltung immer wieder zu kleineren und größeren Abspaltungen kam, mal getrieben durch modernistische, mal getrieben durch sedisvakantistische Tendenzen. Von außen wirkt die Bruderschaft als verschworene Gemeinschaft. Warum kam und kommt es immer wieder zu Abspaltungen?

Weil der Teufel als Fürst dieser Welt immer versucht, die Wahrheit zu torpedieren. Er will gegen das Heilige, gegen das Gesunde anrennen, und die Dinge kaputtmachen. Und wir Menschen sind nach dem Sündenfall unserer Stammeltern dafür empfänglich. Das hat Gott selbst angekündigt: „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen“ (1 Genesis 3,15). Der Teufel wird immer versuchen, das Werk der großen Frau, der Miterlöserin, der Muttergottes kaputtzumachen.

Warum lässt Gott das zu?

Das dient vor allem unserer Bewährung. Wir müssen Verdienste sammeln. Wir müssen den Himmel verdienen, das geht nicht ohne Kampf und Ringen.

Sie waren elf Jahre lang Generaloberer, später Distriktoberer in Deutschland sowie Regens in Zaitzkofen. Sie waren quasi Manager und hatten viele Mitarbeiter. Wie führt man Menschen?

Zunächst einmal muss man den Menschen ernst nehmen als ein geistiges Wesen, mit Verstand, mit Willen, mit Freiheit. Man darf nicht versuchen, die Menschen zu zwingen, in eine gewisse Richtung zu gehen, sondern man muss ihnen vor allem die Wahrheit vor Augen führen. Das heißt, ihnen sagen, dass sie ihr Lebensglück und ihre Lebenserfüllung nur finden werden, wenn sie die Wahrheit in ihrer ganzen Fülle akzeptieren und daraus ihr Leben gestalten. Und das gilt auch in der täglichen Arbeit, auch sie ist ein Bestandteil des Erlösungswerks Jesu Christi.

„Bei den Bischofsweihen 1988 bestand eine Notlage“

Kardinal Ratzinger merkte Ihnen gegenüber an, die Polemiken Erzbischof Lefebvres hätten einen Konsens schwierig gemacht. Er spielte dabei vor allem auf den Offenen Brief an, den Lefebvre an Rom gewandt veröffentlicht hatte. Im Juni 1988 weihte er vier Bischöfe ohne Erlaubnis Roms. Mehrere Kardinäle baten Sie als Generaloberen, bis Mitte August zu warten, dann gäbe es eine Erlaubnis dafür. Wäre im Nachhinein betrachtet ein strategisch umsichtigeres, passiveres Vorgehen besser gewesen?

Es war die richtige Entscheidung und die richtige Ausführung der Entscheidung im richtigen Augenblick. Denn es bedurfte eines öffentlichen Zeugnisses für die alte, überlieferte Liturgie und für die Lehre der Kirche. Es bedurfte eines hörbaren Aufrufes an die ganze Welt, dass der Weg – ich sage es mal salopp – der Konzilskirche ins Verderben führt. Es ging darum zu zeigen, dass der Karren gegen die Wand gefahren wird und wir gerade versuchen zu retten, was zu retten ist. Und aus diesem Rettungswerk heraus sie wieder aufzubauen und zu erneuern, so wie das in der Kirche immer wieder durch Mönche und Klöster geschehen ist, wie Sie vorhin geschildert haben.

Sie sprachen vorhin von den über 700 Patres. Nur Bischöfe können Priester weihen, richtig?

Nur ein Bischof kann einen Priester weihen.

Die Piusbruderschaft verfügt noch über zwei Bischöfe, Bernard Fellay und Alfonso de Galarreta. Wenn die Bruderschaft bestehen soll, muss es in den nächsten Jahren weitere Bischöfe geben, denn ohne Bischöfe keine Priester.

Das ist richtig, deshalb steht das für uns auch irgendwann demnächst an. Ich sage nicht, wann, und ich sage nicht, in welchen Maßen. Aber es stehen irgendwann Bischofsweihen an.

Wie soll das gehen, wo die Bruderschaft kirchenrechtlich nicht geregelt ist?

Pater Schmidberger (M.) mit Erzbischof Lefebvre (vorne l.), Abbé Paul Aulagnier, Bischof Tissier de Mallerais und Abbé Claude Boivin 1989 vor der Wallfahrtskirche N. D. Gardienne de la Foi in der Schweiz

Ein Bischof hat zwei Funktionen: Er hat einerseits das Weiheamt inne und andererseits eine Jurisdiktion. Letztere sind die Diözesanbischöfe, die oft einen oder mehrere Weihbischöfe zur Seite haben. Wenn bei uns eines Tages Bischöfe geweiht werden sollten, dann wird das so sein, wie es 1988 gewesen ist. Es werden Weihbischöfe geweiht, also Bischöfe, die keine Jurisdiktion, also keine Befehlsgewalt haben, sondern die vor allem für die Priesterweihen da sind, um die Firmung zu spenden, um Kirchen und Kelche zu weihen und so weiter.

Beide Bischöfe gehen auf die siebzig zu. Die Weihen müssten also in den kommenden Jahren vollzogen werden.

Es wird daran gedacht, aber ich kann nicht sagen, wann das stattfinden wird und wie viele Bischöfe dann tatsächlich geweiht werden. Aber ja, das wird in nächster Zeit die große Herausforderung sein. Die Bruderschaft wird mit Rom hier sprechen müssen, das ist ein wesentlicher Punkt, denn in einer normalen Situation können Bischöfe nicht ohne Erlaubnis des Papstes geweiht werden.

Gibt es unter Papst Leo XIV. eine Chance, vollumfänglich in die Kirch eingegliedert zu werden?

Wir betrachten uns als vollumfänglich in der Kirche. Ob es eine juristische Anerkennung geben wird, kann allein die Zukunft zeigen. Dies auszuloten, ist die Aufgabe des Generaloberen der Bruderschaft und seines Rates. Jedenfalls ist die Synodalität, wie sie heute verstanden wird, keine gute Voraussetzung.

Die Bruderschaft hat 1988 gegen den Willen des Papstes Bischöfe geweiht.

In extremen Fällen ist es möglich, ohne das Wissen des Papstes Bischöfe zu weihen. Das gab es in den kommunistischen Ländern. Dort haben Bischöfe andere Bischöfe ohne die Erlaubnis des Papstes geweiht, ohne dass Rom benachrichtigt worden ist. Das wurde dann erst im Nachhinein mitgeteilt. Solche Einzelfälle gab es in extremen Situationen.

War 1988 eine solche Notsituation?

Es gab eine solche. Ohne die vier Weihbischöfe der Bruderschaft wäre die überlieferte Liturgie und sogar der unverkürzte Glaube weitgehend abgestorben, einer „biologischen Lösung“ zum Opfer gefallen.

„Das Wichtigste ist das Gebet“

Pater Schmidberger, Sie stehen im 80. Lebensjahr. Was gab und gibt Ihnen die Kraft, gegen all die Widerstände, die äußeren wie die inneren, aufrecht zu bleiben?

Das Wichtigste ist das Gebet. Das heißt, eine persönliche Beziehung zu Gott aufzubauen. Und daraus folgend, aus dem Glauben heraus sein Leben zu gestalten und Gott auch in entscheidenden Augenblicken um seine Hilfe anzurufen. Als Priester stehe ich im Dienste der Kirche, die Christus selbst gestiftet und die zweitausend Jahre lang bestanden hat bis zum heutigen Tag. Die Kirche ist eine göttliche Stiftung, die von Menschen getragen ist, und folglich auch Fehler und Schwächen hat. 

Zur Person Franz Schmidberger

Franz Schmidberger wurde 1946 als jüngstes von vier Kindern in eine Bauernfamilie im schwäbischen Riedlingen hineingeboren. Als Kind litt er unter schweren Wachstumsstörungen, weshalb seine Eltern ihn aufs Gymnasium schickten, da es zweifelhaft war, ob er aufgrund seiner körperlichen Leiden den elterlichen Hof einmal würde übernehmen können. Der ältere Bruder war bereits im Kindesalter verstorben. Nach dem Abitur begann Schmidberger 1966 das Studium der Wirtschaftsmathematik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, das er 1972 als Diplom-Mathematiker abschloss. In München begann er sich intensiv mit den Folgen des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Kirchenkrise zu beschäftigen. Dabei vernetzte er sich mit einer Gruppe um den Philosophieprofessor Reinhard Lauth. Kurz darauf zog er ins schweizerische Ecône und trat in das Priesterseminar der von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X. ein. Am 8. Dezember 1975 wurde er zum Priester geweiht. 1978 gründete er als deutscher Distriktoberer im Auftrag Lefebvres das Priesterseminar im oberpfälzischen Zaitzkofen. 1982 wurde er zum Generalvikar der Bruderschaft, 1983 zum Generaloberen ernannt. Das Amt führte er bis 1994 aus. Anschließend diente er als erster Assistent dem neue Generaloberen Bischof Bernard Fellay. Von 1996 bis 2000 war Pater Schmidberger Distriktoberer in Österreich, von 2006 bis 2013 erneut in Deutschland. Anschließend war er bis 2020 Regens in Zaitzkofen. Seitdem befindet sich der Geistliche im Ruhestand, was aber nicht heißt, dass er nicht täglich die heilige Messe feiert und Katechesen hält. Am 13. Dezember findet anlässlich seines 50-jährigen Priesterjubiläums ein großes Fest in der Messe Friedrichshafen statt.

Über die Priesterbruderschaft St. Pius X.

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX, lateinisch Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X.) ist eine 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründete römisch-katholische Priestergemeinschaft, die die heilige Messe und die Sakramente ausschließlich nach dem Messbuch von 1962 feiert und damit in der über Jahrhunderte überlieferten Form (Tridentinische Messe). Ihren Gründungsimpuls nimmt sie aus der Ablehnung mehrerer Lehren und Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die von ihr als nicht mit dem katholischen Glauben vereinbar ablehnt werden.

Die FSSPX wurde 1975 von der Kirche kanonisch aufgehoben. Seit den unerlaubten Bischofsweihen von 1988 (Lefebvre weihte vier Bischöfe ohne päpstlichen Auftrag) verschärfte sich deren Situation: Die vier Bischöfe wurden von Rom exkommuniziert (Papst Benedikt XVI. hob im Januar 2009 die Exkommunikation auf). Etliche Patres verließen daraufhin die FSSPX und schlossen sich zur Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) zusammen, die in voller Gemeinschaft mit Rom besteht.

Die Priester der FSSPX üben ihr Amt ohne kanonische Mission aus, spenden jedoch nach Ansicht des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte gültige, aber unerlaubte Sakramente. Beichtjurisdiktion und Ehe-Assistenz wurden unter Papst Franziskus ausdrücklich erlaubt. Eine vollständige kanonische Regularisierung ist bisher nicht erfolgt, über eine von der FSSPX angestrebte Personalprälatur konnte bisher keine Einigkeit mit Rom erzielt werden.

Der deutsche Distrikt der FSSPX ist einer der größten und aktivsten Distrikte weltweit. Sitz des Distriktoberen ist seit vielen Jahren das Priorat St. Athanasius in Stuttgart-Feuerbach. Der Distrikt umfasst aktuell (Stand 2025) etwa 60 Priester, mehrere Brüder und Schwestern sowie rund siebzig Priorate, Kapellen und Schulen. Aktuell gehören der Priesterbruderschaft nach eigenen Angaben weltweit über 700 Priester an.

Wichtigste Einrichtungen des deutschen Distrikts sind das Priesterseminar in Zaitzkofen (Oberpfalz) sowie zahlreiche Schulen (unter anderem Grundschule in Memmingen, Grund- und Mittelschule Herz-Jesu in Saarbrücken sowie die von Dominikanerinnen geleitete Schule St. Dominikus in Rheinhausen-Niederhausen und das St. Theresien-Gymnasium in Ruppichteroth-Schönenberg).

Der derzeitige Distriktobere ist Pater Stefan Pfluger (seit 2018). Der deutsche Distrikt gibt die Monatszeitschrift Mitteilungsblatt heraus und betreibt die Internetseite fsspx.de.

In die Messzentren der FSSPX kommen nach Schätzungen etwa 15.000 bis 20.000 regelmäßige Gottesdienstbesucher, deren persönliche Identifikation mit dem katholischen Glauben überlieferter Prägung hoch ist und die die Sonntagspflicht beherzigen. Neben der heiligen Messe wird regelmäßig die Beichte praktiziert, Andachten und Gebete mit Ernst begangen, auf Glaubensunterweisungen und Katechismusunterricht großer Wert gelegt. An vielen Prioraten gibt es Gruppen der 1977 gegründeten Katholischen Jugendbewegung (KJB), wo sich junge Menschen zwischen 15 und 30 Jahren intensiv mit dem Glauben auseinandersetzen und Gemeinschaftsleben pflegen.

Es ist wichtig zu begreifen, dass wir nicht in eigener Verantwortung handeln, sondern in der Verantwortung Jesu Christi, wir sind von Christus Gesandte. Deshalb müssen wir auch immer wieder Gott um seine Hilfe anrufen, und er hat versprochen, uns zu helfen. Er gewährt die Hilfe auch, Gott ist treu und allmächtig.

Was raten Sie einem jungen katholischen Ehepaar mit kleinen Kindern, dem bewusst wird, dass ein christliches Leben im gewohnten Umfeld zusehends schwieriger wird?

Erstens gilt es, das eigene Haus, das eigene Heim zu einem Hort des christlichen Glaubens zu machen. Es gibt die Herz-Jesu-Thronerhebung, die wir neu belebt haben in unserer Bruderschaft. Familien sind dazu angehalten, Christus in den Mittelpunkt ihres Familienlebens zu stellen. 

Pater Schmidberger bei einer Papst-Audienz 2005 mit Benedikt XVI.

Zweitens müssen diese Familien das tun, was die japanischen Katholiken fast 250 Jahre lang getan haben: Sie haben von ungefähr 1630 bis 1860 ohne priesterliche Versorgung gelebt. Sie haben ihre Kinder selbst unterrichtet, haben ihnen selbst den Katechismus gelehrt, und sie haben die Kinder selbst getauft. Als dann zwischen 1860 und 1870 wieder Missionare kamen, haben die japanischen Katholiken diese gefragt, ob sie denn mit dem Papst in Verbindung stehen, ob sie an die große Frau glauben und ob sie verheiratet sind. Auf diese Weise wollten sie feststellen, ob das auch wirklich Katholiken sind, die da kommen. So treu im Glauben waren diese Japaner, obwohl sie fast 250 Jahre keinen Priester gesehen hatten. Das ist etwas Heldenhaftes, etwas Außerordentliches.

Also halten Sie nichts von der Benedikt-Option, dass sich Gläubige zusammenschließen sollen, dorthin ziehen, wo man gemeinsam den Glauben leben kann?

Wenn man kann, dann sollte eine junge Familie dorthin ziehen, wo es eine katholische Schule gibt. Oder sie sollte eine gründen. Schulen haben eine große Bedeutung! Sie können die gesunden Zellen sein, von denen ich vorhin sprach. Nicht umsonst betreiben wir 100 Schulen. Schulen sind ein großer und wichtiger Aufgabenbereich.

„Man muss von Zeit zu Zeit sich zurückziehen, um allein mit Gott zu sein“

Auch in den entchristlichsten Teilen Mitteleuropas gibt es junge, aufrechte Katholiken. Was raten Sie Ihnen? Was können Sie tun, als Einzelne oder als Gruppe?

Erstens sollen sich die Einzelnen zusammenschließen zu Gruppen, um sich kennenzulernen, um Freundschaften zu bilden. Zweitens sollen sie sich intensiv darum bemühen, sich weiterzubilden im christlichen Sinne. Drittens sollen sie von Zeit zu Zeit Exerzitien machen. Das ist ein wichtiger Punkt! Man muss von Zeit zu Zeit sich zurückziehen, um allein mit Gott zu sein und sich die großen Fragen des Lebens zu stellen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was ist der Sinn meines Lebens, warum bin ich auf Erden, was fordert Gott von mir, was erwartet er von mir, wie kann ich mein Heil finden, wie kann ich meine Zeitgenossen mittragen? Das sind die großen Fragen, die der Mensch sich stellen muss, und die werden in Exerzitien gestellt.

Das heißt, man muss erst einmal mit sich selbst im Klaren sein, bevor man auf andere einwirken kann?

Absolut, von einer brüchigen Basis aus kann ich andere nicht retten. Man muss selbst eine gediegene Grundlage haben.

Ob Überbevölkerung, Atomangst oder Klima-Hysterie: Seit Jahrzehnten gibt es alarmistische Ideologien, die ihren Anhängern raten, weniger oder gar keine Kinder mehr zu bekommen. Wie erklären Sie das Paradox, dass diesseitige Ideologien so oft im kollektiven Selbstmord enden, wohingegen glaubenstreue Katholiken, die ihre Heimat im Himmel haben, immer noch Kinder in diese Welt setzen?

Zunächst einmal muss man begreifen, dass der Mensch für das Jenseits geschaffen ist, nicht für das Diesseits. Das Diesseits ist ein Weg, ist eine Schule, die er gehen muss, um das Jenseits zu erwerben. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass das Diesseits den Menschen gar nicht erfüllen kann. Der heilige Augustinus hat es sehr schön formuliert: „Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ Der Mensch ist bei Gott daheim, er stammt von Gott ab, und er ist auf Gott angewiesen. Es gibt kein Leben in Fülle ohne Gott.

Das heißt, wer die Augen auf Gott hin richtet, für den sind die irdischen Probleme und Ängste nicht mehr so groß?

Der Mensch hat im Diesseits seine Verpflichtungen, seine Möglichkeiten, die er nutzen muss. Wenn man keinen Halt mehr hat in Gott, keinen Halt in der Religion, im Glauben, in den Sakramenten mehr hat, dann sind die Probleme größer. Denn wo soll man die Hilfe hernehmen, um das Leben zu bestehen? Das Leben ist hart. Das Leben ist sehr hart, es ist kein Kinderspiel.

Wir erleben nicht nur eine Krise der Kirche, sondern auch eine der Gesellschaft und des Staates. Sie sind ein Bewunderer Konrad Adenauers. Was sagen Sie zur heutigen Christdemokratie?

Die heutige Christdemokratie hat mit Adenauer praktisch gar nichts mehr zu tun. Aber solche Persönlichkeiten wie Adenauer oder wie Papst Pius XII. bräuchten wir heute dringend! Das waren Gestalten – der eine in der Politik, der andere in der Kirche! Gerade Pius XII. war eine erhabene, väterliche und gütige Gestalt. Und sie waren sich bewusst über ihre Verantwortung für ihre Herden.

Als Alternative erscheint vielen ehemaligen CDU/CSU-Wählern die AfD, die teilweise noch naturrechtliche Prinzipien in ihren politischen Forderungen aufnimmt. Auch Anhänger der Piusbruderschaft fühlen sich politisch zu ihr hingezogen. Doch in den Führungsreihen dieser Partei gibt es erstaunlich wenig Christen. Wie erklären Sie sich das?

Pater Schmidberger 2024 in St. Maria Himmelfahrt in Stuttgart-Feuerbach

Ich mache keine Parteipolitik, das möchte ich zunächst deutlich machen. Wenn ein Kommunist zu mir kommt, dann verkünde ich ihm das Evangelium. Und wenn ein AfD-Mann zu mir kommt, dann verkünde ich ihm das Evangelium. Zu Ihrer Frage: Das Christentum enthält zwei Elemente, die Natur und die Übernatur. Es bedarf einer gesunden Natur, und es bedarf der Übernatur. Soweit ich das beurteilen kann, vertritt die AfD zum Beispiel in der Familienpolitik gesunde natürliche Prinzipien. In diesem Bereich zähle ich die AfD zum Teil des Christentums.

Aber: Das genügt nicht! Die gesunde Natur ist nur eine Voraussetzung, damit die Gnade wirken kann. Die Natur kann nur dann letztinstanzlich gesund werden durch die Gnade, nur diese kann die Natur heilen und erheben. Denn wir sind ein sündiges Geschlecht, wir alle sind von der Erbsünde betroffen. Und es bedarf der Gnade, um diese Dinge wieder in Ordnung zu bringen.

„Der Katholik hat eine Verantwortung, in Gesellschaft und Staat mitzuwirken“

Es gibt oft die Diskussion darüber, ob sich die Kirche in die Politik einmischen sollte.

Ja, die Kirche soll sich einmischen in die Politik, aber nicht in die Tagespolitik. Das ist ein deutliches Unterscheidungsmerkmal. Sie soll sich einmischen, wenn es um die ewig gültigen Prinzipien geht. So wie es die Päpste zum Beispiel in der Soziallehre getan haben. Sie nahmen Stellung zur Familie, zur Geburtenrate, zu Verhütung, zur Kleidung, Wirtschaft, Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Sie haben aber nicht Stellung bezogen zur Tagespolitik. Außer diese war so verhängnisvoll geworden wie zum Beispiel unter Hitler. In erster Linie ist die Kirche aber dafür da, die Menschen zum Heil zu führen. Dazu zählt, dass eine gesunde Natur besteht, die aber letztendlich nur durch die Gnade ganz geheilt werden kann.

Liest man Ihre Schriften und hört man Ihre Predigten, so scheint es, als seien Sie eher nicht der große Apokalyptiker, sondern blickten mit Hoffnung in die Zukunft. Andere, so wie die Anhänger Oswald Spenglers, meinen, das Abendland ginge unter, so wie es andere Kulturen auch schon taten. Wird Europa in 100 Jahren noch beziehungsweise wieder christlich sein?

Die Christen sind nicht dazu beauftragt, darüber Spekulationen anzustellen. Ja, natürlich kann man trefflich darüber diskutieren und spekulieren. Aber eine gute Basis bildet das nicht. Wir müssen unseren Auftrag in der Zeit erfüllen, mit den Mitteln und Talenten, die Gott uns zur Verfügung stellt. Zunächst einmal müssen wir unsere eigene Ewigkeit sicherstellen, für unser eigenes Seelenheil arbeiten, das bedeutet aber auch, für so viel wie möglich andere Menschen da zu sein. Ihnen den Weg weisen, ihnen den gleichen Weg zu begünstigen und in der Gesellschaft einen Rahmen zu schaffen, in dem ein wirklich christliches Leben möglich ist. 

Das beginnt in der Familie und in der Schule, geht über die Dorfgemeinschaft bis zum Staat. Es ist unsere Aufgabe, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, um die Menschen zu ihrem Ziel zu führen.

 

Also hat der Katholik die Verantwortung, in Gesellschaft und Staat mitzuwirken.

Er hat sogar eine große Verantwortung. Ich kann mich selbst überhaupt gar nicht retten, wenn ich nicht versuche, die anderen zu retten.

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