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Christen im neuen Kulturkampf

Wohin sollen wir gehen?

Der sogenannte Kulturkampf tobt: Ein verbal zuweilen brutales Gerangel um Deutungshoheit und um die Macht, Narrative vorzugeben. Besonders heftig geht es in den USA zu, wo die Konzentration auf zwei Parteien zu einer starken Verhärtung geführt hat. Aber auch in Deutschland werden immer häufiger gegeneinander abgeschlossene Weltanschauungen konstruiert, die kaum noch differenzierte Blickwinkel zulassen.

Anders als in den USA handelt es sich allerdings nicht um zwei gleichermaßen einflussreiche Blöcke – Demokraten und Republikaner –, die um Macht ringen. Vielmehr begegnen wir einer öffentlichen Meinung, die vor allem von medialen Meinungseliten geprägt wird und die sich selbst ihren Kontrahenten erschafft, indem sie jeden, der nicht Gefolgschaft leistet, als „rechts“ abqualifiziert. Damit ist „rechtsextrem“ gemeint, was in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen zum sofortigen Ausschluss vom Diskurs führt. Wer als „rechts“ gilt, gerät unter Rechtfertigungsdruck und in die Defensive.

Diese Angewohnheit, statt mit Argumenten mit Delegitimierung zu arbeiten, führt zu absurden Fehlkategorisierungen, wenn etwa die Ablehnung von rechtsstaatlich mindestens fragwürdigen Corona-Maßnahmen, die Anerkennung des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf Leben oder bindungsorientierte Erziehung plötzlich „rechts“ sein sollen, einfach nur, weil sie dem Weltbild des Mainstreams nicht entsprechen.

Die Mehrheit der Getauften hat entschieden, sich dem Mainstream anzugleichen

Im Grunde lässt sich diese Vorgehensweise bezüglich jedes gesellschaftspolitischen Themas beobachten: Gleich ob Klimawandel, Migration, Wirtschaft, Ehe und Familie – es gibt eine öffentliche Meinung voller Phrasen und Schlagworte; und es gibt „rechts“. Dieses ominöse „Rechts“ ist eigentlich nur in einer Form konkret fassbar, und zwar in seiner parteipolitischen Ausprägung als AfD. Folgerichtig ist auch die AfD ein Sammelbecken unterschiedlicher Haltungen und Bestrebungen, schließlich wird versucht, alle dort hin zu treiben, die die als politisch korrekt und ethisch erforderlich deklarierte Meinung aus irgendeinem Grund nicht teilen.

Diese Gemengelage bringt Christen, die sich politisch engagieren wollen, in eine Zwickmühle: Wo sollen sie sich in diesem Zwist verorten? Der Mainstream verweigert sich dem christlichen Menschenbild – und der Wirklichkeit – immer eklatanter. Immer öfter wird der Rekurs auf christliche Werte, aber auch selbst die Benennung der Realität als „rechts“ bezeichnet. Dies zu ignorieren, würde darin münden, dass christliche Positionen irgendwann völlig aus dem akzeptierten Meinungsspektrum herausfallen würden. Viele praktizierende Gläubige erleben dies bereits. Im Extremfall wird man mittlerweile bereits für das Zitieren von Bibelversen vor Gericht gezerrt, wie es der ehemaligen Innenministerin Finnlands, Päivi Räsänen, derzeit ergeht. Vor wenigen Jahren noch ein undenkbarer Vorgang!

Dennoch hat die Mehrheit der Getauften in Deutschland sich dafür entschieden, sich dem Mainstream anzugleichen, da sie ohnehin das christliche Menschenbild nicht mehr teilt. So bieten unter dem Dach der EKD nur noch wenige bekenntnisstarke Gemeinden Refugien für Menschen, die das Evangelium ohne Abstriche annehmen. Die katholische Funktionärskaste rund um das ZdK eifert der Selbstmarginalisierung unkritisch nach.

Politische Konflikte werden in die Kirche getragen

Dies führt, nebenbei gesagt, dazu, dass politische Konflikte in die Kirche getragen werden. Der vergleichsweise sichere und von echter Diversität und Pluralität geprägte Raum der katholischen Kirche wird aufgesprengt und auf dem Niveau des säkularen Mainstreams eingeebnet. Die Gemeinschaft der Gläubigen wird nunmehr ebenfalls eingeteilt in diejenigen, die als Mehrheit den Ton angeben, und jene, die damit rechnen müssen, als „rechts“ diffamiert zu werden. Ein fataler Bruch mit der Tradition christlicher Geschwisterlichkeit, der selbst das geistliche Leben der Menschen unter den Primat der Politik zwingt.

Andererseits sind auch die Antagonisten des Mainstreams alles andere als Garanten eines christlichen Wertegerüsts, obgleich konservative Werte christlichen Maßstäben äußerlich oft gleichen. Bedeutet diese verfahrene Situation, dass Christen sich der Polarisierung beugen müssen? Dass sie zentrale Glaubenssätze, vernunftgemäßes und differenziertes Denken aufgeben müssen, um entweder dem Mainstream oder seinen Gegnern zu gehorchen? Eine Frage, die breit diskutiert werden müsste. Stattdessen wird der Einzelne mit der Frage, wie er zur Gesamtgesellschaft stehen sollte, so alleingelassen wie wohl in keiner anderen Epoche.

Sicher müssen Christen den Kampf um Gestaltungsspielraum wahrnehmen. Andererseits sollten sie auch erkennen, dass sie hier eine dritte Position einnehmen müssten, die von beiden politischen „Lagern“ geflissentlich unterschlagen wird. Denn im Kulturkampf, wie er derzeit geführt wird, werden zwar ständig starke ethische und moralische Impulse evoziert, dies ist aber lediglich eine Strategie, um die eigene Position unangreifbar zu machen. Eigentlich geht es in diesem Streit nicht um Wahrheit, sondern lediglich um die Installation von Narrativen: von Lesarten, wie die Wirklichkeit interpretiert werden solle.

Christen können geschlossenen Echokammern etwas entgegensetzen

Weder das links-grüne Projekt des gesellschaftlichen Umbaus, der Auflösung von naturgegebenen Identitäten zugunsten selbstkonstruierter Kategorien und der Zerstörung unserer gewachsenen Kultur, noch neurechte identitäre Konzepte, die als Gegenbewegung zu diesem Abrissvorhaben entstanden sind, bieten ein umfassendes Bild der Wirklichkeit, das dem Menschen und seiner Natur entspricht: Sozialromantisches Gutmenschentum ist ebenso wenig christlich wie die Instrumentalisierung des Glaubens als identitätsstiftender Kitt für die Konstruktion einer bürgerlich-konservativen (in Ausnahmefällen gar „völkischen“) Lebenswirklichkeit.

Das Christentum hat hingegen einige Ressourcen zu bieten, um geschlossenen Echokammern und Denken in festgefügten Bahnen etwas entgegenzusetzen: Nächstenliebe und das Bewusstsein für die unverlierbare Würde des Einzelnen ermöglichen es, von Dämonisierung und Entmenschlichung abzusehen. Man könnte dazu einladen, eine neue Sachlichkeit im Diskurs zu etablieren, die auch die jeweils eigene Position wieder kritischer hinterfragt. Die konsequente Absage an Hass, Verachtung und Gewalt ist ein unschätzbarer Wert, der die Debatte positiv prägen kann.

So könnte christliches Engagement einen nachhaltigen Kulturwandel einläuten. In diesem Sinne bedeutet „Kulturkampf“ für einen Christen, in einer Welt der „false dichotomies“, der Scheingegensätze, die Stimme zu sein, die auf Fehlschlüsse an beiden Polen unermüdlich hinweist, die Hysterie geißelt, Einseitigkeit aufdeckt. Damit würden sie nicht nur dem eigenen Glauben entsprechen, sondern allen einen Dienst erweisen, die sich in der moralinsauren, vergifteten Atmosphäre unseres Politikbetriebs heimatlos und unwohl fühlen und die sich eine Rückkehr zu einer vernunftgeleiteten Entscheidungsfindung wünschen.

Christen werden nach christlicher Politik verlangen

Spricht man unter konservativen beziehungsweise lehramtstreuen Christen diese dritte Option an, herrscht oft eher Skepsis: zu naiv, utopisch, naiv, kraftlos; ungeeignet für politisches Handeln. Solche Vorwürfe zeigen aber letztlich nur, dass das Christentum maßlos unterschätzt wird. Es wird weltlichem Denken unterworfen, so als sei es nicht Vermittler von Wahrheit, sondern eine Weltanschauung unter vielen. Zu meinen, dass man nur bestehen könne, wenn man sich einer der beiden säkularen Lager anschließt, ist daher Ausdruck von Selbstsabotage. Sie führt dazu, dass das Christentum, anstatt Kultur und Diskurs zu prägen, zum Instrument einer politischen Seite degradiert wird.

Die Crux an der Sache ist freilich, dass für die skizzierte dritte Position keine parteipolitische Repräsentanz existiert. Würde die Gestaltung unserer Gesellschaft allerdings zuvörderst von Parteien ausgehen, wäre das ein Missstand, den es zu ändern gälte. Menschen werden schließlich nicht im politischen Raum geformt, sondern in der Zivilgesellschaft, in Familie und sozialem Umfeld. Hier gilt es, Christentum zu leben, zu implementieren, zu verbreiten.

Wenn die Bürger das christliche Weltbild wieder als schlüssiges Konzept erleben und den Glauben authentisch vorgelebt bekommen, werden sie auch wieder nach christlicher Politik verlangen. Und dies würde wieder Möglichkeiten eröffnen, um sich auch parteipolitisch aufzustellen oder zumindest effektiv in Parteien hineinzuwirken. Zudem bietet die deutsche Parteienlandschaft sehr viel mehr als lediglich die Parteien, die im Bundestag vertreten sind.

Sich von der Fixierung auf Parteipolitik lösen

Hier wird als Gegenargument gern angebracht, dass eine Stimme für die „Sonstigen“ eine verlorene Stimme sei. Diese Aussage ist im Grunde ein Offenbarungseid. Wenn dem so ist, leben wir in einer Scheinpluralität, die dringend aufgelöst werden muss.

Sowohl das Engagement im vorpolitischen Raum als auch das Wagnis, sich den großen Parteien zu entziehen, sind keine kurzfristigen Lösungen. Angesichts des unangemessenen, unfairen Drucks auf Menschen, die ein christliches Menschen- und Weltbild vertreten, steigt daher die Versuchung, „das kleinere Übel“ zu wählen und sich unter Aufgabe wichtiger Glaubenssätze auf eine Seite zu schlagen.

Allerdings ist das kleinere Übel genau genommen erst dann eine legitime Wahl, wenn es keine bessere Alternative gibt. Man beachte: Besser bedeutet nicht „bequem“! Sehr wohl haben wir Alternativen, die uns ermöglichen, ohne Verleugnung christlicher Grundsätze auch in einem neuen „Kulturkampf“ zu wirken: Dann, wenn wir unsere Perspektive ändern und uns von der historisch gewachsenen Fixierung auf Parteipolitik lösen.

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Kommentare

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Kommentar
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Paul
Vor 7 Monate 2 Wochen

Auf Gott zu vertrauen ist und bleibt das Leitbild eines jeden Christen. Nicht Parteien werden für eine Wende zum Besseren sorgen, sondern Gott. Im Gebet und in einem christlichen Leben können wir viel mehr bewirken, wie mit politischen Manövern.

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Markus
Vor 7 Monate 2 Wochen

Die einzig relevante politische Handlung muss die Liebeshandlung sein. Den politischen Kontrahenten auf der persönlichen Ebene seines Menschseins wahrnehmen und mit ihm mitleiden, wenn ihn Gedankenstarre und Angst zu Äußerungen und Handlungen treiben, die wir nicht teilen können oder uns sogar verletzen. Das wäre der christliche Weg im Sinne Jesu, meine ich. Und auch der einzige, der wirklich funktioniert.

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Christ
Vor 7 Monate

Ein bisschen bequem, sich mit Realpolitik nicht die Hände schmutzig zu machen und sich dabei christlich überlegen zu fühlen. Das ist dieselbe moralische Überheblichkeit,
wie sie grüne Ökos pflegen.

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Markus
Vor 7 Monate 2 Wochen

Die einzig relevante politische Handlung muss die Liebeshandlung sein. Den politischen Kontrahenten auf der persönlichen Ebene seines Menschseins wahrnehmen und mit ihm mitleiden, wenn ihn Gedankenstarre und Angst zu Äußerungen und Handlungen treiben, die wir nicht teilen können oder uns sogar verletzen. Das wäre der christliche Weg im Sinne Jesu, meine ich. Und auch der einzige, der wirklich funktioniert.

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Paul
Vor 7 Monate 2 Wochen

Auf Gott zu vertrauen ist und bleibt das Leitbild eines jeden Christen. Nicht Parteien werden für eine Wende zum Besseren sorgen, sondern Gott. Im Gebet und in einem christlichen Leben können wir viel mehr bewirken, wie mit politischen Manövern.

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Christ
Vor 7 Monate 2 Wochen

Parteien mit dem C im Namen sollten schon mehr Verantwortung übernehmen.
PS: Korrektur: Jemand anders hier im Forum schrieb, dass es der SWR war, in dem die Pastorin als Wort zum Tage die Ampelfiguren lobte, es sei hiermit richtiggestellt, obwohl es gleichgültig ist, denn
beide ÖR-Sender sind grün-links indoktriniert und verwechselbar.

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Christ
Vor 7 Monate 2 Wochen

Nun, der Mehrheit der Getauften haben die jeweiligen Leitungsebenen jedenfalls frühzeitig reichlich Vorlagen geliefert, z.B. schon im September 2013:
https://chrismon.evangelisch.de/personen/heinz-juergen-voss-19542-"Dame… und Männer­busen: ...warum die Einteilung in zwei Geschlechter schadet..."
Im katholischen Wort zum Tag des DLF lobte kürzlich eine katholische Pastorin die neuen queeren Ampelfiguren, um "vielfältige Liebe sichtbar zu machen". WO also, (außer in dieser Theorie), wären diejenigen zu finden, die den Glauben so authentisch vorleben, dass sich das christlich-politische Vakuum füllen würde?