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Politische Naivität unter Christen

Das Zittern der Zauderer

Die Stimmen derer, die sagen, ein guter Christ müsse auch ein guter Demokrat sein, und ein guter Demokrat könne nicht rechts sein und erst recht nicht AfD wählen, diese Stimmen werden zwar nicht mehr, aber lauter. In den vergangenen Tagen konnte man in christlichen Medien gleich mehrere von ihnen lesen.

Im Interview mit dem Münsteraner Portal Kirche+Leben warnte Ursula Nothelle-Wildfeuer vor dem „Rechtsruck“ in Gesellschaft und Kirche. Immerhin sah sie noch keine Weimarer Verhältnisse aufkommen, aber selbstredend mahnte die Sozialethikerin mit Doppelnamen in professoralem Ton mehr „Mitte“ an: „Wir müssen aber darauf Acht geben, dass die Gräben zwischen den verschiedenen Ansichten nicht so tief werden, dass es keine Mitte mehr gibt.“

In ebenjenem Portal schrieb ein Redakteur tags darauf:

„Wer AfD wählt, stützt eine – mindestens in Teilen, siehe Thüringen – rechtsextreme, antidemokratische Partei. Die einen anderen Diskurs will, die sich abwendet von Toleranz, Solidarität und christlichen Werten wie Nächstenliebe. Die eine andere Gesellschaft will. Deshalb verbieten sich auch inhaltliche Anleihen bei der AfD.“

Auch er macht in der Kirche Konservative aus, die das Diskussionsklima vergiften würden. Also gibt Joest zu bedenken: „Klare Worte gegen Rechts braucht es auch in der Kirche. Etwa in Richtung radikaler Abtreibungsgegner.“ Als Beispiel nennt er ausgerechnet die Initiatoren des „Marschs für das Leben“.

Die heutigen „europäischen Werte“ sind meist nicht christlich

In der Tagespost, lange die letzte konservative Bastion katholischer Publizistik, polterte Sebastian Sasse nach dem AfD-Europaparteitag, nun müsse „auch dem Letzten klar geworden sein, was die AfD unter ‘Europa’ versteht. Für sie ist die EU nicht das große Friedenswerk, das die christlichen Gründerväter unter dem Eindruck des großen Völkermordens im Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt haben.“ Den Christen, „die sich bisher so gerne von den blauen Phrasendreschern haben einlullen lassen“, rief er zu: „Lasst euch nicht instrumentalisieren.“

Das sind nur drei aktuelle Beispiele von vielen. Und, sicher, einige der Pioniere der EU waren Christen, und der Staatenverbund ist ein einzigartiges Friedensprojekt. Doch christlich ist er längst nicht mehr. Wenn ihre Exponenten heute von „europäischen Werten“ sprechen, sind das in den meisten Fällen keine christlichen. Das EU-Parlament stimmte im vergangenen Jahr dafür, das Recht auf Abtreibung in die Charta der Grundrechte aufzunehmen – wohlwissend, dass in einigen EU-Ländern strengere Regelungen gelten. EU-Vertretungen hissen Regenbogenfahnen, und der Europäische Gerichtshof entschied schon vor Jahren, alle EU-Staaten müssten die „Homo-Ehe“ anerkennen.

In den vergangenen Jahren sind ganze Sammelbände über die vermeintlich rechte Gefahr unter Christen erschienen. Und die Schlagzahl der Warnungen nimmt zu. Das hat einen einfachen Grund: Ihre Urheber spüren die Veränderungen, den sanften, aber merkbaren politischen und gesellschaftlichen Klimawandel. Der einschläfernde Mantel, den die vier Merkel-Kabinette und deren mediale Entourage über Deutschland gelegt haben, hat Löcher bekommen, durch die der raue Wind sicherheits-, außen- und wirtschaftspolitischer Realität weht.

Sie hauen auf die drauf, die nichts zu sagen haben

Die Ampel-Regierung ist zu schwach, um die nötigen Pflöcke einzuschlagen, wie es etwa die Mitte-Rechts-Regierung in Rom gerade steuerpolitisch, die verschmähte Orbán-Regierung bevölkerungspolitisch oder das von Sozialdemokraten geführte Kabinett in Kopenhagen migrationspolitisch tun. SPD, Grüne und FDP haben sich nur deshalb noch nicht zerfetzt, weil sie in der Beliebtheitsskala nach unten gerutscht sind und – das ist ungleich folgenschwerer – weil sie sich gesellschaftspolitisch weitgehend einig sind. Ob Regenbogen-Kult, liberale Abtreibungsregelungen, Multi-Kulti und so fort: die rot-grün-gelben Parteioberen – wohlgemerkt nicht unbedingt ihre Wähler – ziehen hier alle an einem Strang.

Hier bräuchte es eine Kirche, die mutig, klar und entschieden ihre Stimme erhebt. Und da Kirche nicht nur aus Bischöfen und Priestern besteht, sondern aus allen Getauften, müssten auch die Kirchgänger, die sonntags im Gottesdienst sitzen, an den Gesslerhüten dieser Zeit grußlos vorübergehen.

Hier bräuchte es auch christliche Medien, Redakteure und namhafte Journalisten sowie dezidiert christliche Organisationen, die sich einmischen, „ob gelegen oder ungelegen“, wie Paulus im Brief an Timotheus schreibt, die den Diskurs zu prägen versuchen und die schiefgewordenen Säulen der Gesellschaft wieder geradestellen, so dass sie tragen.

Doch was tun all diese? Sie richten ihre Stimme nicht gegen die, die politisch und medial das Sagen haben. Sie sind nicht das Salz in der Suppe, sind nicht der Sauerteig, der den ganzen Laib durchwirkt, sind nicht die Stadt auf dem Berg. Sie überlegen es sich zweimal, ob sie ihren Glauben nach vorne stellen, sich ohne Kompromisse dazu bekennen und den tonangebenden Institutionen die Leviten lesen: „Tritt dafür ein, ziehe sie zur Rechenschaft, weise sie zurecht und ermutige sie!“

Stattdessen hauen sie auf die drauf, die wenig bis gar nichts zu melden haben – die AfD in der Parteienlandschaft, die glaubenstreuen Konservativen in der Kirche. Doch es ist nicht mehr als ein nervöses Zittern dieser Zauderer, die oft dieselben Leute sind, die sich für ihren Glauben öffentlich rechtfertigen und jenen zu gefallen versuchen, für die sie bestenfalls harmlose Anhänger oder nützliche Idioten einer überkommenen Institution sind.

Die einzige Option in einer entchristlichten Parteienlandschaft

Nun ist es so, dass es in Deutschland heute keine christlichen Parteien gibt, auch wenn zwei Parteien nach wie vor das C im Namen tragen. Die AfD, das sei hier betont, zählt ebenso wenig dazu, wie ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland auch einmal in aller Klarheit betonte („Wir sind keine christliche Partei.“)

Da die Parteien in Deutschland eine herausragende Stellung genießen und ohne sie keine relevante Politik zu machen ist, gibt es nun zwei Möglichkeiten: eine Partei gründen oder sich in den bestehenden Parteien einbringen. Für eine Parteigründung fehlt heute jegliches Fundament. Also bleibt die zweite Option. Und die betrifft mehrere Parteien, auch die AfD.

Ebenso notwendig sind das Erkennen und die Annahme des Kulturkampfes. „Die Problematik der sogenannten christlichen Demokratie im parlamentarischen Rahmen besteht bei uns darin, dass sie sich trotz ihrer Profillosigkeit in einem harten ideologischen Kampf befindet“, notierte der große katholische Publizist Erik von Kuehnelt-Leddihn bereits vor Jahrzehnten. Bis heute hat sich daran wenig geändert, wenn man sich die immer noch relevanten Erben Merkels in der CDU anschaut.

Den Kulturkampf annehmen – oder verlieren

Doch wer in einem Kulturkampf zum Gegner erklärt wird und ins Visier gerät, der muss den Kampf annehmen und sich wehren, oder der andere siegt. Weite Teile der Mainstream-Christen und der Mainstream-Christdemokraten haben das nicht begriffen. Sie sind politisch naiv und begnügen sich, wenn in der Politik die „christlichen Werte“ bedacht werden. Doch wenn in der politischen Debatte von diesen „christlichen Werten“ die Rede ist, meint das meist Laissez-faire-Politik, Toleranz, Schwäche und großzügige Sozialgaben. Christentum ohne Kreuz, ohne Mühen, ohne Hölle, sondern als Wohlfühlreligion.

Was das zeitgeistige Wischi-Waschi des Synodalen Wegs in der Kirche, ist die „Mitte“ in der Politik. Der Publizist Wolfang Bok brachte es neulich in einem Gastkommentar der Neuen Zürcher Zeitung auf den Punkt:

„Irgendwie nur ‘Mitte’ sein zu wollen, führt erst zur Profillosigkeit – und dann zum politischen Schleudertrauma, wie es die CDU gerade erlebt. Kaum besinnt sich ein führendes Mitglied auf nationale Interessen und fordert Leistung statt Hängematte, schon meldet sich einer zu Wort, der, von Gefallsucht getrieben, getreu linker Losung enge Brandmauern gegen das Unsagbare zieht und das eigene Führungspersonal der rechten Abweichung bezichtigt.“

Selbstbewusstsein statt Opferhaltung

Abgesehen davon, dass die „Mitte“ keine genuine Position sein kann, weil sie abhängig ist von den Polen links und rechts, unten und oben, ist die Mitte als politische oder strategische Haltung in disruptiven, unsicheren Zeiten schlicht unsexy oder gar gefährlich. Die Mitte wird herumgeschubst, vereinnahmt und je nach Bedarf aufgenommen oder fallengelassen.

Viele Jugendliche sind von Angst geprägt, die sie sogar am Kinderkriegen zweifeln lassen. Viele Erwachsene sind orientierungslos. Sie befinden sich auf der Suche. Weder in Schulen noch in der Kultur findet ernsthaftes Christentum statt. Dabei böte es Antworten nicht nur auf die Fragen heute, sondern auf die ewigen Fragen. Doch wer ein ernsthaftes Angebot machen will, darf dies nicht in einer Opferhaltung tun, sondern mit souveräner Gelassenheit und mit einem vom eigenen Glauben überzeugten Selbstbewusstsein.

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Kommentare

Comment

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Kommentar
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jj
Vor 9 Monate

Insbesondere zum letzten Absatz "Selbstbewusstsein statt Opferhaltung" große Zustimmung.

Orientierungslosigkeit ist das Stichwort. Die Grundlage, auf dem die Übel der Moderne gedeien können. Unsicherheit, Angst, Apathie werden instrumentalisiert und unter dem Vorwand "Schutz" beflügelt, gespeist und ausgenutzt, um die Strukturen des sozialen Zusammenhalts zu untergraben, allen voran die Familie. Über diesem Punkt können und müssen Christen und Nicht-Christen zusammenkommen, wenn wir noch etwas gegen die drohende totalitäre Zukunft der westlichen Welt unternehmen wollen.

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Marc P.
Vor 9 Monate 1 Woche

Die EU, auch wenn gerne so dargestellt, war nie als Friedensprojekt gedacht. Die ersten Pläne dazu kamen von NS-Wirtschaftsminister Walter Funk, er veröffentlichte auch während seiner Amtszeit im Dritten Reich Bücher wie u. a. "Europäische Gemeinschaft".

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Alexander Niessen
Vor 8 Monate 3 Wochen

Toleranz ist eine Bejahung des Boesens. Man braucht also nicht immer tolerant zu sein, besonders wenn es um die jetzigen Zustaende in Deutschland geht. (Man toleriert ja nicht ein schoenes Steak dinner im Restaurant, sondern man feiert es.) "Naechtenliebe" Ich bin verantworlich fuer jemanden den ich sehen kann, der Nachbar ist. Wenn aber illegal 100.000 Wirtschaftsmigranten kommen hat dies nichts, aber auch gar nichts mit der christlicher Naechstenliebe zu tun. Dann ist dies nur eine diffuse Groesse in der sich jeder in seine eigene anonymitaet fluechten kann. --- Ich empfehle Fulton Sheen.

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Gipfelstürmer
Vor 8 Monate 3 Wochen

Die (C)DU, samt noch wokeren JU, verkennt die gegenwärtige Situation total. Der Kulturkampf, der sich wohl allmählich in den nächsten 15-20 Jahren entscheidet, wird ihr Schicksal besiegeln. Ein Kulturkampf, der vor allem in Westeuropa vom unchristlichen linken Lager dominiert und diktiert wird.

Die Einsicht kommt wohl erst, sobald der Kulturkampf, die Umfragen und die Missbräuche an der Partei sich dramatisch zugespitzt haben.

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hildegard tscholl
Vor 9 Monate

Kompliment Herr Steinwandter. Sie haben viele Dinge mutig angesprochen. Was die Parteien in Deutschland betrifft, kann ich nur begrenzt mitreden, was das gelebte Christentum betrifft aber sehr wohl und das dürfte auch auf politische Debatten einen Einfluss haben. Christliche Grundwerte hängen eng mit dem sittlichen Naturgesetz zusammen, sodass Christen und Menschen mit einem guten Gewissen und Verstand die Zusammenhänge erkennen und entsprechend handeln können.

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Michael Breisky
Vor 9 Monate

Was Europa zu Stolz berechtigt, ist sein christlich-humanistisches Erbe. Im Rückblick haben beide Elemente "getrennt marschierend" ein erstaunliches Ganzes geschaffen. Seit einigen Jahren scheinen wir Europäer diese Leistung mit ihren gewaltigen Kosten vergessen zu wollen. Weiter so, und wir werden bestenfalls zum Wurmfortsatz eines anderen Kontinents; nicht einmal aussuchen, welcher Kontinent das ist, werden wir können.

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jj
Vor 9 Monate

Insbesondere zum letzten Absatz "Selbstbewusstsein statt Opferhaltung" große Zustimmung.

Orientierungslosigkeit ist das Stichwort. Die Grundlage, auf dem die Übel der Moderne gedeien können. Unsicherheit, Angst, Apathie werden instrumentalisiert und unter dem Vorwand "Schutz" beflügelt, gespeist und ausgenutzt, um die Strukturen des sozialen Zusammenhalts zu untergraben, allen voran die Familie. Über diesem Punkt können und müssen Christen und Nicht-Christen zusammenkommen, wenn wir noch etwas gegen die drohende totalitäre Zukunft der westlichen Welt unternehmen wollen.

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Marc P.
Vor 9 Monate 1 Woche

Die EU, auch wenn gerne so dargestellt, war nie als Friedensprojekt gedacht. Die ersten Pläne dazu kamen von NS-Wirtschaftsminister Walter Funk, er veröffentlichte auch während seiner Amtszeit im Dritten Reich Bücher wie u. a. "Europäische Gemeinschaft".