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Ist das christlich?

Links ist vorbei? Nicht bei Mutter Kirche

„Links ist vorbei“, ein Satz, der im zurückliegenden Jahr an unterschiedlichsten Orten ausgesprochen wurde, mal mit einem Aufatmen, mal als trotzige Ankündigung kommender Änderungen. Die Bürgerlich-Konservativen im Publikum hörten ihn stets mit dem Gefühl vorsichtiger Erleichterung. Sei es, dass die Irrungen der Ampelzeit endlich vorbei schienen; seien es gläubige, lehramtstreue Katholiken, die in der erratischen Regierungszeit von Papst Franziskus oft eine hohe Frustrationstoleranz aufbringen mussten.

Und während sich die nach Merz’ markigen Wahlkampfreden aufgekeimten Hoffnungen auf einen tatsächlichen Politikwechsel zunehmend im Nebel des Berliner Regierungsalltages auflösen, scheinen sich mit Papst Leo XIV. die Verhältnisse zumindest bei Mutter Kirche langsam zu entspannen, ja zu normalisieren.

Rom atmet auf – deutsche Redaktionen nicht

Der neue Papst sieht wieder aus wie ein Papst. Stil und Auftreten verankern ihn sichtbar in der Tradition seiner Vorgänger. Die Farbe seines Brustkreuzes, seiner Mozetta oder die angekündigte Rückkehr in die Päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast mögen nur vorsichtige Korrekturen bedeuten. Sie genügen jedoch, um in deutschen Redaktionsstuben für sorgenvoll gefurchte Häupter zu sorgen. So monierte etwa der Spiegel unlängst Leos Mangel an fortschrittlicher Änderungswut und bescheinigte ihm „Langeweile als Führungsprinzip“. Sein Vorgänger Franziskus sei ein „charismatischer Menschenfänger“ gewesen, Leo dagegen erinnere an einen „Behördenchef, der eine lästige Pflicht absolviert“, kurz, er stehe für „Restauration“.

Doch wie sehr sich Stil und Inhalte in Rom ändern mögen, die katholische Kirche in Deutschland hält unbeirrt an ihrem progressiven Kurs fest, der sich vor allem daran orientiert, was der gesellschaftliche Diskurs jeweils gerade vorgibt. Nach der Klimathematik, der man vom Klimafasten bis zur nachhaltigen Beheizung kirchlicher Immobilien alles unterordnete, gilt es nun, auch weiter „Zeichen zu setzen“.

Klaudia Rudersdorf, Bundesvorsitzende von Kolping Deutschland, beschreibt sich als „liberal“ und „progressiv“

Und wo könnte man das schöner tun als im Kampf für Demokratie? Der wird gerade nirgendwo so leidenschaftlich wie durch die Abwehr der AfD geführt. Sie wolle „die Demokratie abschaffen“, heißt es, weshalb sie von allen Hebeln der Macht fernzuhalten sei, da können die Wahl- und Umfrageergebnisse so hoch sein, wie sie wollen. Diese Gelegenheit, Staatstreue zu demonstrieren, lässt sich die kirchensteuerfinanzierte Kirche selbstverständlich nicht entgehen. Wie schon beim Klima versuchen Bischöfe und Kirchenfunktionäre, an den Mainstream anzudocken, um sich im Abglanz der öffentlichen Bedeutung zu sonnen und gleichzeitig die eigene Inhaltslosigkeit zu kaschieren.

Verbotsbeschlüsse – moralisch aufgeladen, theologisch leer

Das zeigt sich nicht nur in Kanzelappellen, sondern in konkreten Beschlüssen. So setzte sich am 15. November der Diözesanrat des Erzbistums Berlin zusammen und änderte die Wahlordnung für die Pfarrei- und Gemeinderäte in seinem Einflussbereich so ab, dass AfD-Mitglieder wohl künftig nicht mehr für Laiengremien kandidieren können. Wörtlich: Die „Mitgliedschaft in Parteien oder Organisationen, die ... von Verfassungsschutzbehörden als gesichert extremistisch eingestuft sind“, sei „unvereinbar mit einer Mitwirkung in Pfarrei- und Gemeinderäten“. Wer sich zur Wahl stelle, habe sich „aktiv zu den Werten unserer Kirche“ zu bekennen. Der Ausschluss trifft Mitglieder, die „völkischen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ propagierten. Das Bekenntnis ereignete sich übrigens unter den Fittichen eben jenes Erzbischofs Heiner Koch, der sich nicht gescheut hatte, die inzwischen zur Antisemiten-Ikone gewandelte einstige Schulstreikerin Greta Thunberg mit Jesus zu vergleichen.

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Ähnlich wie das Berlin-Brandenburger Katholikengremium äußerte sich das deutsche Kolpingwerk mit einem Beschluss genau eine Woche früher. Der katholische Sozialverband mit deutschlandweit 200.000 Mitgliedern stellte auf seiner Bundesversammlung in Köln klar: Seine Werte stünden „im grundsätzlichen Widerspruch“ zu Positionen und Handeln der AfD.

Zwar betreffe dies zunächst nur jene, die in „Wort und Tat ... an Überzeugungen festhalten, die mit den Werten von Kolping Deutschland unvereinbar sind“. Doch der Verband schob sofort nach: „Wer Mitglied in der AfD ist, kann nicht zugleich Mitglied bei Kolping Deutschland … bleiben.“ Es folgt noch der Hinweis auf die „Werte“ des Grundgesetzes Demokratie, Vielfalt und Menschenwürde. Der Hinweis auf Gott und das christliche Menschenbild fehlt auffällig.

Christliche Maßstäbe – oder politische Loyalitätsbeweise?

Und der Kolping bleibt sich treu. Auf seiner Bundesversammlung wählten die Delegierten mit Klaudia Rudersdorf eine neue Vorsitzende, die ihr Selbstverständnis als dezidiert „liberal“ und „progressiv“ beschreibt. In Bezug auf die AfD legte sie nach. Jeder Mensch habe ein Recht auf Würde. Die AfD verstoße dagegen, indem sie gegen Flüchtlinge und Migranten hetze, erklärte sie in der WAZ. Verdächtig sei bereits, wer sich für das traditionelle Familienbild mit seiner klassischen Rollenverteilung von Mann und Frau starkmache. Familie sei schließlich „viel mehr“, inklusive Patchwork und gleichgeschlechtlicher Paare.

Dem unvoreingenommenen Beobachter drängt sich bei so viel Vielfaltspathos, das dann doch wieder in der altbekannten Einfalt endet, zweierlei auf: Erstens verbietet der Gedanke, dass jeder Mensch Gottes Ebenbild ist, pauschale Verurteilung und Ausgrenzung. Zweitens wird Gläubigen, die AfD-Mitglieder sind, damit implizit ihr Christsein abgesprochen, ungeachtet ihres persönlichen Handelns. Wer diesen Gedanken konsequent zu Ende denkt, müsste AfDler exkommunizieren, also ganz aus der Kirche werfen.

Und es stellt sich die Frage, ob Christen das Hochziehen von Brandmauern nicht der Politik überlassen sollten. Ob diese Leidenschaft zum Ausschluss zugunsten eines „heiligen Rests“ nicht nur undemokratisch, sondern auch genuin unchristlich ist.

Das verlorene Schaf suchen, nicht beschimpfen

Aber wie soll einer mit Menschen umgehen, die er für vom Weg abgekommen hält, so, wie es der Kolping oder sonstige deutsche Funktionärskatholiken und Amtsträger mit Mitgliedern der AfD tun? Handeln die, die verdammen und ausschließen, im Sinne Jesu? Die Bibel gibt hierzu einige Hinweise. Im Gleichnis vom verlorenen Schaf legt Jesus den Sachverhalt ganz einfach dar: „Wenn jemand hundert Schafe hat und eines von ihnen sich verirrt, lässt er dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurück, geht hin und sucht das verirrte?“

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Im Gleichnis beschimpft der Hirte das Schaf nicht, er stößt es nicht aus, sondern er sorgt sich, geht ihm nach, bis er es gefunden und wieder in die Herde heimgeholt hat. Ein christlicher Umgang mit AfD-Mitgliedern bestünde so verstanden auch für ihre Gegner nicht im Ausschluss aus kirchlichen Ämtern, sondern im Bemühen um ihr Wohl, das zugleich das Wohl aller ist.

Wer AfD-Gegner nach dem Grund ihrer Ablehnung fragt, erhält oft zur Antwort, es gelte, Toleranz und Vielfalt zu verteidigen. Nun zeigt sich Vielfalt im fruchtbaren Nebeneinander unterschiedlicher Meinungen und Anschauungen, nicht in der Einfalt einer verordneten Einheitsmeinung. Und Toleranz gründet nach dem bekannten Diktum Kurt Tucholskys auch im „Verdacht, der andere könnte Recht haben“. Sie soll davor schützen, eigene Positionen absolut zu setzen und anderslautende vorschnell zu verurteilen. Denn im Bedürfnis nach Reinheit neigen die Verfechter des vermeintlich Guten oft zu Hast und Eile. Das Gleichnis vom Weizen und dem Unkraut vermittelt eine andere Haltung: Es lehrt Geduld und Akzeptanz, dass Gut und Böse bis zum Endgericht nebeneinander existieren, und warnt vor voreiliger Verurteilung.

Christliches Ethos zeigt sich nicht in der Verdammung und Ausgrenzung, sondern im Zuhören, in der Bereitschaft zur Vergebung, nicht siebenmal, sondern sogar siebzigmal siebenmal. Und es bewährt sich in der Gelassenheit, andere Ansichten aushalten zu können und um eine Verständigung zu ringen. Denn in des Vaters Haus sind viele Wohnungen. Auch im Kolping und deutschen Pfarrgemeinderäten.

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