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AfD und Religion

Höckes Ideologie steht im Widerspruch zum Christentum

Sind neurechtes Denken und Christentum miteinander vereinbar? Die beiden AfD-Politiker Maximilian Krah und Björn Höcke erörtern diese Frage in Krahs YouTube-Format „Dresdner Gespräch“, das in sozialen Medien Aufmerksamkeit erregt hat. Der sächsische Katholik Krah sitzt für die AfD im EU-Parlament, in seiner Partei sorgt er wegen seiner pro-chinesischen Haltung immer wieder für Kritik.

Höcke ist pro forma zwar lediglich Thüringer Landes- und Fraktionschef, in seiner Partei gilt er aber vielen als intellektueller Wächter, der seine Partei in Grundsatzfragen zwar nicht in erster Reihe stehend, aber immer wieder nachhaltig nach seinen Vorstellungen lenkt.

Um es vorwegzusagen: Auch Nietzsche-Zitate können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der intellektuelle Gehalt des Gesprächs überschaubar bleibt. Höcke betrachtet das Christentum als Mittel zum Zweck. In seinem 2018 erschienenen Interviewbuch „Nie zweimal in denselben Fluss“ spricht er von der Kirche als Mitte des Dorfes. Als Krah dieses Bild aufgreift, macht Höcke deutlich, dass er diese Kirche nicht als Herz der Gemeinschaft betrachtet, aus dem heraus sich diese bestimmt, sondern als notwendige Klammer, um Individuen zu einer Gemeinschaft zusammenzuschmieden.

Absurde Ablehnung des Missionsbefehls und Idealisierung des Heidentums

Diese Haltung steht dem Geist des Christentums diametral entgegen: Die Gotteskindschaft in Christus durch die Taufe ist kein Mittel, um Gemeinschaft zu erzeugen. Die Gemeinschaft besteht in der Taufe. Vor allem Höcke nimmt das Christentum aber als „menschengemachte Religion“ wahr – und Krah widerspricht nicht, verweist lediglich auf die Schönheit katholischer Kunst und Architektur sowie sein wohliges Gefühl, das er etwa bei Rom-Besuchen habe. Folgerichtig können sie das Christentum nur als Instrument für ihre Politik denken.

Krah sieht im Missionsbefehl gar den Ursprung eines imperialistischen Globalismus, der anderen Völkern die eigenen Werte aufzwängen wolle. Alle Völker, die durch das Christentum geprägt seien, hätten daher einen „aggressiven Kern“. Dass Krah ausgerechnet den Missionsbefehl zur Grundlage imperialistischen Strebens umdeutet, ist eine amüsante Manifestation der Hufeisentheorie – Mission ist schließlich auch aus linker und woker Sicht ein Hauptverbrechen der Kirche. Zudem wird deutlich, warum auch der verständliche Frust unter politisch heimatlosen Christen keine Zusammenarbeit begründen kann: Hier wird die Essenz des Christentums pervertiert.

Die Idealisierung des Heidentums bzw. nichtchristlicher Religion als friedlich und selbstgenügsam ist schlichtweg absurd. Von der Schlacht bei Issos bis zu den Menschenopfern der Azteken: Wann war die heidnische Welt ein Hort der Glückseligkeit? Man fühlt sich wiederum an das linke Diktum erinnert, der Kommunismus sei eben noch nie „richtig“ durchdekliniert worden. Dasselbe scheint für das Heidentum zu gelten.

Christentum als Fremdkörper

Krah stellt den Gegensatz zwischen christlichem und identitärem Menschenbild als lediglich zeitgebundene Erscheinung dar, dem angepassten „Gegenwartschristentum“ geschuldet. Es ist nicht zu leugnen, dass im „kulturchristlichen“ Milieu in Deutschland zuweilen – längst nicht immer – „linke“ politische Positionen unkritisch mit christlichen Positionen gleichgesetzt werden. Etwa, wenn zwischen dem ökologischen Anliegen der Grünen und dem biblischen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung nicht differenziert wird, oder wenn Sozialismus als Spielart der Nächstenliebe gilt. Wieso aber sollte man denselben Fehler mit „rechten“ Positionen machen?

Höcke dagegen sieht im Christentum grundsätzlich einen Fremdkörper: In „Nie zweimal in denselben Fluss“ äußert er, die Bibel sei ihm schon in seiner Jugend fremd geblieben: „Es gab da zu viel Wüste und zu wenig Wald.“ Die jüdische Wüstenreligion, unvereinbar mit dem deutschen Wesen.

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Höcke weiß, dass das Christentum mit seinem universalen Wahrheits- und Heilsanspruch für seine Ideologie – wie sie hier zum Teil offengelegt wird – nicht empfänglich ist. So mahnt er einen „Abschied von Offenbarungsreligionen“ an: Gott offenbare sich nicht in heiligen Schriften. Womöglich ist diese Falschdarstellung Höckes protestantischer Erziehung geschuldet: Die Reduktion des Offenbarungsbegriffs auf die Schrift ist anscheinend tief verankert, wo weder Theologie noch Spiritualität eine Rolle spielen, wo der Glaube in „Kulturprotestantismus“ aufgeht.

Das Christentum kreist wesentlich um den Logos

Krah scheint den Katholizismus ähnlich zu sehen: Große Kulturleistungen, ja – die Person Christi aber wird ignoriert. Einem angeblich wissenschaftlichen Zugang zur Wirklichkeit, der vom „Logos“ regiert sei, stellt Krah den „Mythos“ entgegen. Vernunft und Emotion als Widerspruch, der Glaube als nostalgisches Wohlgefühl, das man angesichts der Realität nicht aufgeben will.

Ironischerweise kreist aber gerade das Christentum wesentlich um den Logos: Es ist unbestechlich verwurzelt in der Wirklichkeit und in der historischen Tatsache des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu. Wahrscheinlich unbeabsichtigt macht Krah die Unvereinbarkeit seines Konzepts mit dem christlichen Glauben deutlich: Das Christentum stellt sich der Wirklichkeit und verwandelt sie wesentlich. Krahs Mythos erfindet einen Rückzugsort, um die Realität besser verkraften zu können. Beide verorten Gott also außerhalb der Wirklichkeit: Höcke mit einem deistischen Gottesbild, demzufolge zwar ein Gott oder eine Schöpferkraft die Welt ins Sein gebracht hat, diese aber nun sich selbst überlässt, Krah, indem er Gott lediglich einen Platz im Mythos zubilligt.

Noch erstaunlicher ist die Geschichtsvergessenheit, die Höcke – selbst Geschichtslehrer – an den Tag legt. Er versucht beispielsweise, eine „romanische“ von einer „germanischen“ Wesensart abzugrenzen. Wer aber vom „Germanen“ spricht, spricht von einem Konstrukt, dessen Wurzeln in römischer Geschichtsschreibung liegen, in der römischen Wahrnehmung der „Barbaren“ an Rhein und Elbe, nicht in Selbstzeugnissen und Selbstverortung der entsprechenden Völker.

Am deutlichsten sprechen hier wohl die Entscheidungen jener Vorfahren selbst: Obgleich sie Rom brandschatzten, waren sie sich nicht zu schade, die Identität der Besiegten anzunehmen. Ein Römisches Reich, nicht ein deutsches oder germanisches Reich, war tausend Jahre lang Ausdruck deutscher Identität. Man fühlt sich an Versuche des Nationalsozialismus erinnert, die eigene geschichtslose Ideologie durch angebliche archäologische Funde historisch zu verankern.

Höcke beschwört ein romantisch-stilisiertes Bild eines Heidentums, das es so nie gab

Auch angesichts des angeblichen „Schuldkults“ und der mangelnden Vaterlandsliebe der Deutschen bleibt der eigentliche Elefant im Raum unbenannt: Christentum und zwei verlorene Weltkriege werden dafür verantwortlich gemacht. Dass gerade der Nationalsozialismus durch Gleichschaltung, Entchristlichung und nicht zuletzt durch den Holocaust selbst Vernichter deutscher Identitäten war, ignoriert Höcke – was nicht zu seinem Mythos passt, wird nicht rezipiert.

Als hätte es die Barmer Theologische Erklärung von 1934, das theologische Manifest der Bekennenden Kirche, nie gegeben, wünscht sich Höcke ein „reformiertes“ Christentum, das besser zu den Erfordernissen der Zeit respektive seiner Politik passe: „Einen Glauben, der das Heilige des Christentums und den Heldenmut des Heidentums vereint.“ Dieser Satz ist zugleich skurriler und erschreckender Höhepunkt des Gesprächs: Höcke beschwört das romantisch-stilisierte Bild eines Heidentums, das so nie existiert hat.

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Der echte Heldenmut dagegen, der sich im Christentum in hingebender Liebe äußert, wird negiert. Die Idee eines anschlussfähigen „Christentums“, das in einer Mischung aus Pantheismus und Deismus eine identitätssichernde Funktion erfüllt, äußert der Romantiker Höcke bereits in seinem Buch – allerdings scheint er zu wissen, dass ein kitschiges Germanien voller Eichenwälder auf Anhänger der Religion des Kreuzes keine allzu hohe Anziehungskraft ausübt.

Keine Alternative im Einsatz für ein christliches Europa

Seine Partei fischt lieber mit konkreten Inhalten wie etwa mit der Ablehnung der Genderideologie (christliche) Anhänger. Der Versuch des medialen und kulturellen Mainstreams, solche Inhalte als originär „rechts“ zu charakterisieren, spielt Höcke dabei in die Hände: Denn angesichts der Aushöhlung des christlichen Fundaments Europas, zum Beispiel durch Relativismus und Materialismus, sind viele Christen völlig zu Recht beunruhigt. Wenn der Eindruck entsteht, dass christliche Haltungen nur durch rechte Politik vertreten würden, wird es für Christen schwerer, sich von Positionen abzugrenzen, die nur scheinbar auf einem christlichen Welt- und Menschenbild beruhen.

AfD-Politiker schwärmen regelmäßig davon, sie wollten das christliche Abendland retten. Freilich gibt es in der Partei auch Politiker, denen dies ein echtes Anliegen ist, doch bleibt die Frage, wie sich diese von der von Höcke offen beabsichtigten Instrumentalisierung schützen wollen.

Hinzu kommt, dass sich insbesondere Katholiken in Deutschland nach jahrzehntelanger parteipolitischer Präsenz erst daran gewöhnen müssen, auf politischer Ebene keine Entsprechung ihres Glaubens vorzufinden. Höcke und Krah zeigen allerdings ganz unverhohlen, dass ihre politische Ideologie keine Alternative im Einsatz für ein christliches Europa sein kann, sondern dazu im Widerspruch steht oder gar eine weitere Bedrohung darstellt.

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