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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Verführung an der Urne

Der 3. März 2024 verspricht eine kleine Sternstunde der direkten Demokratie zu werden. Voraussichtlich wird die Beteiligung an den Abstimmungen, die an jenem Sonntag stattfinden, größer als bisher sein. Also vielleicht immerhin zur Abwechslung deutlich über statt knapp unter 40 Prozent.

Ganz generell lahmt das Interesse der Schweizer an einer aktiven Teilnahme an der Politik nämlich ein wenig. Aber dieses Mal ist das Interesse groß. Es geht um die Alters- und Hinterbliebenenversicherung, kurz AHV. Das ist die obligatorische Rentenversicherung in der Schweiz, eine von drei Säulen, mit denen das Leben – oder das Überleben – im Ruhestand abgesichert werden soll.

Eine Volksinitiative aus Gewerkschaftskreisen fordert nun eine 13. AHV. Künftig soll diese also 13 statt zwölf Mal jährlich ausgezahlt werden. Was, für so viel Mathematik reicht es bei den meisten, unterm Strich natürlich mehr Geld für die Empfänger bedeutet. Die Befürworter argumentieren, dass viele ältere und alte Menschen finanziell nicht gutgestellt sind und das Extrageld benötigen. Die Gegner fragen sich, wer das bezahlen soll.

Mehr Bezieher, weniger Bezahler

Emotional ist die Sache, weil die AHV in der Schweiz als heilige Kuh gilt. Man ist hier sehr stolz auf das System. Für dieses spricht, dass nicht Heerscharen von Ruheständlern an Suppenküchen anstehen oder unter Brücken schlafen müssen. Es scheint also zu funktionieren. Dagegen spricht, dass es zum Volkssport geworden ist, neue Einnahmequellen für die AHV zu finden, damit sie überhaupt überlebt. Denn die Altersschere sorgt dafür, dass immer weniger Erwerbstätige für immer mehr Menschen in Pension aufkommen.

Das ist ein grundlegendes demografisches Problem. Allerdings kann ein 65-Jähriger, der sein Arbeitsleben lang in diese Versicherung einbezahlt hat und nun sein Geld möchte, wenig dafür, dass wir alle älter werden und die Jüngeren wenig Lust auf Nachwuchs haben. Er hat sich seine Rente verdient, basta.

Die Initiative hat damit gute Chancen. Wer steht schon hin und verweigert der älteren Generation etwas mehr Geld? Das Problem ist nur: In den meisten Fällen wäre das ein willkommener, aber gar nicht nötiger Zuschuss, in den wenigsten Fällen ist er bitterlich nötig. Den meisten in die Jahre gekommenen Schweizern geht es nämlich bestens, da sie in wirtschaftlichen Boom-Zeiten tätig waren. Eine 13. Auszahlung der AHV erfolgt aber mit der Gießkanne, sprich: Jeder würde sie bekommen, ob er sie braucht oder nicht.

Eine Umverteilung von unten nach oben – bezogen auf Lebensjahre

Egal, sagen die Befürworter, denn das zusätzliche Geld steigert die Kaufkraft, es fließt wieder in den Kreislauf, die Wirtschaft profitiert. Dass dieser gleichzeitig auf irgendeine Weise Geld entzogen werden muss, um das Ganze zu finanzieren, blenden sie aus.

„Die Rente reicht nicht mehr“: Werbung für ein Ja zum 13. Monat AHV-Rente bei der Volksabstimmung

Die direkten Folgen lassen sich leicht prognostizieren. Wird die AHV-Kasse auf einen Schlag zusätzlich geplündert, muss sie anderweitig wieder gefüllt werden. Zumal ab etwa 2030 ohnehin ein Loch zu klaffen droht. Viele Möglichkeiten gibt es dafür nicht. Man wird die Mehrwertsteuer anheben, Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden mehr Lohnprozente in die AHV pumpen müssen. Das ist Geld, das ihnen danach nicht zur Verfügung steht. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben – bezogen auf Lebensjahre.

Demokratie als Wunschkonzert

Das aktuelle Beispiel zeigt, woran die direkte Demokratie krankt. Man kann munter Neuerungen vorschlagen, ohne gleichzeitig zu sagen, wie man mit den Konsequenzen umgehen soll. Theoretisch könnte eine Partei die Fünf-Stunden-Woche zur Abstimmung bringen. Lässt sich eine Mehrheit dafür begeistern, muss das Land danach eben schauen, wie der Staatsbankrott abgewendet werden kann. Viele Ideen klingen wundervoll, solange man sie nicht bis zum bitteren Ende durchdenkt.

Dass ein Niedriglohnarbeiter künftig an der Ladenkasse mehr ausgeben muss und gleichzeitig weniger Gehalt erhält, während selbst ein 70-jähriger Mehrfachmillionär eine 13. Rente erhält: Das kann kaum im Interesse von Gewerkschaften liegen, die hinter dem Anliegen stehen. Es ist aber das Resultat, wenn man Geld mit der Gießkanne statt mit der Pipette verteilt.

Doch hier die gute Nachricht: Die Schweizer sind geübt darin, Visionen von Machbarem zu trennen. Einst stimmten sie darüber ab, ob sechs Wochen Urlaub für alle zum Obligatorium werden sollen. Reichlich verführerisch, aber die Idee erlitt Schiffbruch. Eine Nation, deren Werktätige mehr Urlaubstage dankend ablehnen, weil der Wirtschaftsstandort daran hart zu beißen gehabt hätte: Das zeugt von Größe. Vielleicht ist das am 3. März ja auch der Fall.

 

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