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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Sprachrevolution? Das Volk will nicht

Die Schweizer lieben „Mohrenköpfe“. So heißt hier, was in Deutschland als „Schokokuss“ oder „Schaumkuss“ bekannt ist. Seit Jahren laufen Rassismusbekämpfer Sturm gegen den „Mohrenkopf“ ­im Zuge der allgemeinen Offensive gegen das Wort „Mohr“. Dasselbe gilt für „Zigeuner“ und „Asylant“. Letzteres ist die gebräuchliche Schweizer Abwandlung für Asylbewerber.

Das alles soll nicht mehr gehen, finden empörte Aktionskreise auf Twitter, und sie erhalten Unterstützung von fast allen Zeitungen im Land. Also suchen Gastronomen eine kreative Umschreibung für das Zigeunerschnitzel, und Großverteiler gestalten neue Verpackungen für das, was nun Schokokuss heißt. Tun sie das nicht, droht der Volkssturm.

Oder eben auch nicht. Denn das besagte Volk interessiert sich für all das gar nicht. Eine repräsentative Umfrage der Pendlerzeitung 20 Minuten und des Redaktionsnetzwerks Tamedia hat ergeben, dass eine klare Mehrheit der Schweizer nach wie vor munter von Zigeunern und Mohrenköpfen spricht. Wobei das ja nicht gerade Begriffe sind, die täglich in jedem Gespräch fallen. Tun sie es dennoch, scheinen Herr und Frau Schweizer aber jedenfalls kein schlechtes Gewissen zu haben.

Das generische Maskulinum erfreut sich ungebrochener Beliebtheit

Auch die sogenannte geschlechtergerechte Sprache mit Sternchen, Binnen-I oder anderen unaussprechbaren Kunstgriffen erleidet Schiffbruch. Drei Viertel der Befragten gaben an, sich in der täglichen Kommunikation keine Gedanken darüber zu machen, ob Frauen und Männer gleichermaßen adressiert werden.

Das generische Maskulinum, das jahrhundertelang bestens funktioniert hat, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Der einfache Bürger scheint zu verstehen, dass mit „Fußgänger“ auch Leute mit weiblichen Geschlechtsteilen mitgemeint ist. Gutdotierte Fachleute scheitern offenbar an dieser Aufgabe und suchen deshalb verzweifelt nach Alternativen.

Hirnwäsche hat ihre Grenzen

Das Resultat der Umfrage zeigt: Hirnwäsche hat ihre Grenzen. Denn kaum etwas wurde in den vergangenen Jahren so forciert wie die Umgestaltung der Sprache. Davon hängengeblieben ist aber kaum etwas. Das natürliche Sprachempfinden feiert einen Sieg.

Sehr zum Unwohlsein der „Experten“. Ein Sprachwissenschaftler kommentierte die Umfrage mit Erstaunen. Dass diese „hochbrisanten“ Wörter nach wie vor fleißig verwendet werden, scheint ihn zu erschüttern. Vermutlich, weil längst erwiesen ist, dass auf den Genuss eines Zigeunerschnitzels, vielleicht gefolgt von einem Mohrenkopf, eine massive Zunahme der Gewalttaten gegen Minderheiten folgt.

Was tut man mit einem solchen Resultat? Eine logische Option wäre: Abbruch der Übung. Akzeptieren, dass es sich um ein erfundenes Problem handelt und es nicht Aufgabe des Staates in Kooperation mit den Medien ist, die Menschen umzuerziehen. Aber das ist reines Wunschdenken. Zum Zug kommt stattdessen Option 2: es weiter versuchen und gleichzeitig allen, die noch nicht mitmachen, mitteilen, dass sie a) etwas beschränkt oder b) schlechte Menschen oder c) beides sind.

Einsicht Fehlanzeige

So sagt der bewusste Sprachwissenschaftler, das Resultat zeige, dass die „Bestrebungen zur Steigerung der Sprachbewusstheit diverser Akteursgruppen bis heute wenig fruchtbar sind“. Damit gesteht er nicht nur eine Niederlage ein, sondern teilt uns auch gleich mit, dass diese „diversen Akteursgruppen“ wohl einfach zu wenig intelligent und gleichzeitig zu störrisch sind, um endlich das zu tun, was richtig und wichtig wäre. Denn sie schaffen diese „Steigerung“ einfach nicht.

Man müsse nun dieses Bewusstsein endlich vergrößern, sagt er weiter, damit „heikle oder gar diskriminierende Begriffe“ aus dem Alltag verschwinden. Auch diese Umschreibung ist elegant gelöst: Er definiert damit, dass jeder, der sie dennoch weiterverwendet, diskriminierend handelt. Wobei es natürlich, wie er anfügt, „jedem selbst überlassen“ sei, ob er ein bestimmtes Wort benütze. Vielen Dank, das ist sehr großzügig. Aber vermutlich auch naiv, denn früher oder später werden diese Wörter schlicht verboten sein, weil Freiwilligkeit nicht zum Ziel geführt hat.

Man kann diese Debatte zwischen festgefahrenen Seiten belächeln, doch das greift zu wenig weit. Denn sie führt dazu, dass echte Probleme in Vergessenheit geraten.

Die Sprachdebatte ist ein Ablenkungsmanöver

So versuchen feministische Kreise beispielsweise seit vielen Jahren, das Wort „Krankenschwester“ zu eliminieren. Im offiziellen Kontext wird es schon lange nicht mehr verwendet, aber aus dem täglichen Sprachgebrauch bringt man es einfach nicht weg. Kleine Mädchen wollen eben weiterhin „Krankenschwester“ werden und nicht „Pflegefachfrau“.

Nur gäbe es im Bereich der Pflege weit größere Baustellen als die korrekte Bezeichnung: Die Entlöhnung, die Arbeitsbedingungen, die Steigerung der Qualität des Berufs, damit es nicht bald noch mehr an Nachwuchs mangelt. Aber wenn man die Debatte verfolgt, hat man den Eindruck, man könnte ein Krankenhaus mit eintausend Betten auch mit fünf Angestellten betreiben – solange man diese bitte korrekt mit „Pflegefachleuten“ bezeichnet.

Man kann sich heute fünf Sterne auf der Gutmenschen-Skala holen, wenn man sich öffentlich über angeblich abwertende bis diskriminierende Begriffe aufregt. Gleichzeitig befreit man sich damit von der Last, Lösungen für wirkliche Missstände zu suchen. Die Sprachdebatte ist ein Ablenkungsmanöver. Dieses funktioniert leider sogar, wenn die Leute nicht mitmachen.

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Kommentare

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Kommentar
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Markus Fugger …
Vor 10 Monate

Genau so sieht´s aus! Dem Artikel ist nichts hinzuzufügen!

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Florian Hettig
Vor 9 Monate 3 Wochen

Ich werde immer dankbarer, dass es Medien wie CORRIGENDA gibt.

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Thomas Peh
Vor 9 Monate 2 Wochen

Ich bin Jahrgang 1946. Wir haben in der Schule gelernt flüssig zu sprechen,also nicht zu stottern. Heute soll das stottern in der sog."Gendersprache" noch herausgehoben werden.l Das ist meines erachtens der Idiotischste Mist den es geben kann. Man sollte die Deutsche Sprache nicht durch irgendwelche Gruppen verhunzen lassen,sondern so sprechen wie man es gelernt bekommen hat.Auch die Begriffe wie "Neger,Mohrenkopf,Zigeuner,Indianer" etc. stammen aus altem Sprachtum und sollen nicht durch irgendwelche erfundenen Namen ersetzt werden. Das ist alles der pure Blödsinn durch nicht ausgelastete Personen.

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Florian Hettig
Vor 9 Monate 3 Wochen

Ich werde immer dankbarer, dass es Medien wie CORRIGENDA gibt.

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Klaus Joachim Holz
Vor 10 Monate

Ich bin dafür, für "Asylant" die israelische Variante zu verwenden: "Eindringlinginge".

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Markus Fugger …
Vor 10 Monate

Genau so sieht´s aus! Dem Artikel ist nichts hinzuzufügen!