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Welche Antworten haben die Parteien?

Stiefkind demographischer Wandel

Geschäfte schließen früher, Züge fallen aus und Arbeitgeber tun alles, um Bewerber anzulocken: Die deutsche Wirtschaft leidet unter Personalmangel. In den nächsten 15 Jahren werden, laut Statistischem Bundesamt, 12,9 Millionen Erwerbspersonen in Rente gehen. Das entspricht fast 30 Prozent der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf 2021. Kamen 1962 auf einen Rentner noch sechs Beitragszahler, so waren es 2021 nur noch 1,2. Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung der Welt.

Die Folgen des seit Jahrzehnten anhaltenden Geburtenrückgangs sind Mitarbeiter- und Fachkräftemangel, eine aussterbende Bevölkerung in ländlichen Kommunen, ein Sinken der Verteidigungsfähigkeit und ein stetig steigender Renten-Bundeszuschuss. Doch haben die Parteien die dramatischen Auswirkungen einer alternden Bevölkerung im Blick? Und welche Lösungen bieten sie als Antwort auf die Herausforderungen des demographischen Wandels? Es gibt drei wesentliche Stellschrauben, an denen die Politik drehen müsste, um Deutschland zukunftsfit zu machen: das Rentensystem, Familien- und Migrationspolitik.

Stellschraube Nummer 1: Rente

Die umlagefinanzierte Altersversorgung, die derzeit zu 30 Prozent durch Zuschüsse des Bundeshaushalts gedeckt wird, könnte durch eine gesetzliche Aktienrente entlastet werden.

Dafür wirbt vor allem die FDP. Bei der Renten-Umgestaltung orientieren sich die „Freien Demokraten“ am schwedischen Modell. Schweden reformierte sein Rentensystem Ende der 1990er Jahre und führte ein System aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge ein. Teil der gesetzlichen Rente ist dort die Aktienrente.

Der Einstieg in eine teilweise kapitalgedeckte Rentenversicherung hat es in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung geschafft: Diese soll als dauerhafter Fond von einer unabhängigen Stelle verwaltet werden. Dazu plante die Regierung, im Jahr 2022 der Deutschen Rentenversicherung einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro zuzuführen. Das ist bisher jedoch nicht geschehen, die Einführung der Aktienrente wurde von der Ampel auf 2023 verlegt. Kritiker monieren zudem, zehn Milliarden Euro seien angesichts von jährlichen Aufwendungen von fast 350 Milliarden Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auch die Union vertritt in ihrem Programm eine Form der kapitalgedeckten Altersversorgung: die sogenannte Generationenrente. Bei dieser Art der Aktienrente legt der Staat für Kinder ab der Geburt bis zum 18. Lebensjahr pro Monat eine bestimmte Summe beiseite. Aus diesem angelegten Geld soll später ihre Rente finanziert werden. Die Union tritt für eine Stärkung der drei Säulen der Alterssicherung ­– der gesetzlichen, betrieblichen und privaten ­– ein. Dazu möchte sie den Sozialbeirat, der als Expertengremium die Bundesregierung in Sachen Rentenversicherung berät, der bislang aber nur für die gesetzliche Rentenversicherung zuständig ist, zu einem „Alterssicherungsbeirat“ weiterentwickeln, der alle drei Säulen in den Blick nimmt.

AfD, Linke, Grüne und SPD wollen die umlagefinanzierte Rente stärken. Die AfD durch einen höheren Steuerzuschuss, die Linke will die Beitragsbemessungsgrenze aufheben und Rentenansprüche für hohe Einkommen abflachen. Die Grünen streben eine Bürgerversicherung als Weiterentwicklung der Sozialversicherungen an, in der alle Bürger einheitlich versichert sind. Eine kapitalgedeckte Altersversorgung, die öffentlich verwaltet wird, befürworten die Grünen. Sie soll aber, anders als bei der FDP, auf Freiwilligkeit basieren. Die SPD möchte, dass alle Erwerbstätigen, auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige, in die umlagefinanzierte Rente einzahlen. Die Betriebsrente möchte die Partei ausbauen.

Einig sind sich die Parteien darin, dass möglichst viele Menschen sozialversicherungspflichtig arbeiten sollen. Der Demographie-Beauftragte der Union, Michael Frieser (CSU), sieht hier besonders bei Frauen und älteren Menschen Potenzial. Während CDU und FDP ein steigendes Renteneintrittsalter befürworten – 2030 werden es 67 Jahre sein –, lehnen SPD und Linkspartei eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ab. Grüne, FDP und AfD wollen das Rentensystem flexibler gestaltbar machen. Menschen, die das Renteneintrittsalter erreicht haben, sollen die Möglichkeit haben, länger zu arbeiten.

Die AfD ist die einzige Partei, die im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit auf Bildungslücken hinweist. 17 Prozent der arbeitsfähigen Erwachsenen in Deutschland haben keinen beruflichen Abschluss sowie 37 Prozent aller Migranten nicht, hält die Partei in ihrem „Konzept zur Sozialpolitik“ fest. Eine Lösung sieht sie in der Hebung des Bildungsstands und der Bildungsfähigkeit. Es solle laut der AfD mehr Geld in Bildung und Forschung fließen als in die Bewältigung der Migrations- und Asylfolgen. Auch die Grünen haben einen Ansatz in ihrem Bundestagswahlprogramm von 2021, der Bildung mitdenkt. Sie wollen in berufliche und berufsbegleitende Bildung investieren, der Meisterbrief soll kostenfrei sein.

Stellschraube Nummer 2: Migration

Die wichtigste Stellschraube ist für die FDP neben der aktienfinanzierten Rente die Schaffung eines neuen Einwanderungsrechts nach dem Vorbild von Einwanderungsländern wie Kanada oder Neuseeland. Deutschland müsse sich „endlich als Einwanderungsland begreifen“, hält die Partei in einem Beschluss von Juni 2021 fest. Wie Kanada, will die FDP ein Punktesystem nach Kriterien wie Ausbildung, beruflicher Qualifikation oder Sprachfähigkeit für Einwanderer einführen. Auch die Grünen wollen Einwanderung erleichtern mithilfe einer „Talentkarte“ und einer schnelleren Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse.

Die Probleme des demographischen Wandels durch Zuwanderung zu lösen, lehnt die AfD ab. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Migranten größtenteils Geringqualifizierte seien, die die Sozialsysteme zusätzlich belasteten anstatt zu entlasten, argumentiert die Partei.

Stellschraube Nummer 3: Familienpolitik

Die AfD ist die einzige Partei, die sich in ihrem Programm unter „Die demographische Krise und ihr Ursachen“ mit Gründen für die demographische Entwicklung in Deutschland auseinandersetzt und diese erklärt. Um der „demographischen Krise“ entgegenzuwirken, setzt sie vor allem auf monetäre Anreize für Familien. Sie ist mittlerweile die einzige Partei, die noch ein Familiensplitting befürwortet. Die Union hatte diese Besteuerungsmethode, bei der die Anzahl der Kinder eine Rolle spielt, zuletzt in ihrem Regierungsprogramm 2013 bis 2017, verabschiedete sich dann jedoch davon.

Beim Familiensplitting wird nicht nur das Einkommen der Eltern zusammengefasst und gemeinsam versteuert, wie das beim Ehegattensplitting der Fall ist. Die Anzahl der Kinder wird beim Familiensplitting berücksichtigt, so dass Eltern mit Kindern einen Steuervorteil haben. Anfang Dezember 2022 brachte die AfD einen Antrag für ein Familiensplitting im Deutschen Bundestag ein. Dieser wurde jedoch von den anderen Parteien abgewiesen. SPD und Linke kritisieren, dass bei dieser Form der Entlastung Familien mit geringem Einkommen nicht profitieren. Darüber hinaus sind sich alle Parteien bis auf die AfD einig, dass das Familiensplitting Frauen dazu ermutigen würde, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Finanzielle Entlastungen für Eltern befürwortet die AfD in Form von Rückzahlungen bereits eingezahlter Rentenbeiträge bzw. Freistellungen zukünftiger Beiträge bei Geburt eines Kindes sowie einen früherer Renteneinstieg für Eltern mehrerer Kinder. Sie möchte ein Betreuungsgeld für Kinder bis drei Jahren, das sich als Lohnersatzleistung am bisherigen durchschnittlichen Nettolohn der letzten drei Jahre orientiert. Damit will die AfD Eltern fördern, die Kinder unter drei Jahren zu Hause betreuen.

Der Wiedereinstieg von Eltern in den Beruf nach der Babypause soll, gestaffelt nach der Anzahl der Kinder, durch Lohnsubventionen an die Arbeitgeber vereinfacht werden. Auch will die Partei mittels Kampagnen für Familiengründung werben und über die damit verbundenen Leistungen informieren. Die Aufnahme einer „kinderfreundlichen Gesellschaft“ soll als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden.

Auf Ebene der Familienpolitik strebt die Union einen Grundfreibetrag für Kinder an, der einen Einstieg in das Kindersplitting bedeutet. Dieser würde den Kinderfreibetrag ersetzen. Am Ehegattensplitting hält die Partei fest. Finanziell wollen die Christdemokraten Familien unter die Arme greifen, indem sie „haushaltsnahe Dienstleistungen“ wie Reinigung der Wohnung oder Gartenarbeit vermehrt steuerlich berücksichtigen möchten. Das KfW-Wohneigentumsprogramm soll auf Familien ausgeweitet werden. Darlehen, Tilgungszuschüsse oder Zinsverbilligungen sollen nach Anzahl der Kinder gestaffelt werden.

Auch sollen Familien pro Erwachsene und Kind einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer bei Kauf von Wohnraum erhalten. Nach dem Motto „familiengerechte Arbeitswelt und keine arbeitsmarktgerechte Familie“ will die Union flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit für Eltern. Darunter fällt auch der Ausbau von Kitas.

In ihrem Bundestagswahlprogramm von 2021 schreibt die SPD unter dem Punkt „gut aufwachsen“: „Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt davon ab, dass sich Menschen für Kinder entscheiden.“ Um das zu erreichen, setzt sie auf bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn die Partei sieht es als ihr Ziel an, Vollbeschäftigung zu fördern. Dazu möchte sie ein Vier-Säulen-Modell einführen. Darin enthalten ist ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub nach der Geburt eines Kindes – Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hat angekündigt, diesen 2024 einzuführen – und Änderungen beim „ElterngeldPlus“. Dieses soll ausgebaut werden zu einer Elternteilzeit nach dem ersten Lebensjahr eines Kindes.

Erwerbstätige Eltern sollen die Möglichkeit haben, jeweils zehn Monate „ElterngeldPlus“ zu erhalten – vorausgesetzt, beide Elternteile reduzieren gleichzeitig ihre Arbeitszeit. Die dritte Säule ist eine dauerhafte Ausweitung der pandemiebedingt erhöhten Kinderkrankentage auf 20 Tage pro Kind, Jahr und Elternteil. Zuletzt will die SPD die Familienpflegezeit auf 15 Monate mit Anspruch auf Lohnersatz bei einer Arbeitszeitreduzierung ausweiten.

Nur AfD und FDP haben klare Konzepte

Zusammengefasst lässt sich sagen: FDP und AfD sind die Parteien, die die Herausforderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt, am ehesten im Blick haben. Ihr jeweiliges Programm beinhaltet konkrete Vorschläge, wie man auf ihn reagieren könnte. Dabei gehen die Parteien von unterschiedlichen Ansätzen aus: Während die AfD vor allem monetäre Anreize schaffen möchte, um so eine Steigerung der Geburtenrate zu erreichen, setzt die FDP auf gezielte Einwanderung und eine Umstellung der Rentenfinanzierung.

In den Grundsatz- beziehungsweise Bundestagswahlprogrammen der Union finden sich keine derart ausformulierten Konzepte. Sie hinterlässt den Eindruck, dass sie eher hier und da an kleinen Stellschrauben drehen will: Familien etwas entlasten, Vorsorge und Prävention im Gesundheitswesen ausbauen, damit Menschen künftig länger arbeiten können, und in eine Form der kapitalgedeckten Altersversorgung einsteigen.

Für die drei linksgerichteten Parteien scheint der demographische Wandel auch eine untergeordnete Rolle zu spielen. SPD, Grüne und Linke wollen die umlagefinanzierte Rente stärken, indem Wohlhabendere zur Kasse gebeten werden, zum Beispiel durch eine Vermögenssteuer. Darüber hinaus fordern sie, dass mehr Menschen, allen voran Frauen, Erwerbsarbeit in Vollzeit nachgehen. Dafür wollen sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.

Welche Antworten hat die Ampel-Regierung?

Wie hat’s die Ampel-Regierung mit dem demographischen Wandel? Anfang dieses Jahres kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das „Rentenpaket II“ an, in dem der im Koalitionsvertrag versprochene Einstieg in eine teilweise kapitalgedeckte gesetzliche Rentenversicherung enthalten sein soll. Bis jetzt ist jedoch nichts geschehen.

Bewegung gibt es hingegen bei der Arbeitsmigration: Ende März beschloss das Bundeskabinett den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Dort ist die Rede von der Einführung eines Punktesystems nach dem Vorbild Kanadas, das Auswahlkriterien wie Sprachkenntnisse, Berufserfahrung oder Alter berücksichtig. Darüber hinaus soll die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen erleichtert werden.

Als eine familienpolitische Maßnahme möchte die Ampel die Kindergrundsicherung einführen. Diese soll ab 2025 Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und Bildungs- und Teilhabepaket bündeln und dadurch einen unbürokratischen Zugang für finanziell nicht so gut gestellte Eltern erleichtern. Bei der Kindergrundsicherung geht es der Regierung jedoch nicht um eine Antwort auf den demographischen Wandel, sondern darum, Kinderarmut entgegenzusteuern.

Allerdings kommt die Studie „Zukunft mit Kindern“ der Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 2012 zu dem Ergebnis, dass die Kindergrundsicherung der sinkenden Geburtenrate entgegenwirken könne. Darüber, wie viel Geld der Bundeshaushalt für die Einführung der Kindergrundsicherung zur Verfügung stellen wird, herrscht noch Uneinigkeit innerhalb der Ampel-Regierung.

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