Direkt zum Inhalt
„Regretting Motherhood“

Darf man bereuen, Kinder bekommen zu haben?

Was haben ein Babybauch und Manolo Blahniks gemeinsam? Beide werden in der Glamourwelt der Stars und Sternchen liebend gerne präsentiert. Man stellt sein Schwangersein also ebenso gerne aus wie Designerschuhe. Auch auf Instagram inszenieren sich Tausende von Frauen nicht nur mit Gucci-Handtaschen, sondern in ihrer Rolle als Mama. Manche halten in trendigen Sportklamotten selbstgebackenen Kuchen in die Kamera, andere zeigen sich in Kuschelstimmung mit ihrem Kind, dem sie ein zartes Küsschen auf den Kopf drücken.

Seit einigen Jahren gibt es zudem – und dieser Trend nimmt zu – sogenannte Tradwives, also Mütter, die in den Sozialen Medien das klassische Rollenbild propagieren und das mit entsprechenden Fotos und Videos im Stil der 1950er-Jahre-Ästhetik illustrieren. Selbstgebackenes Brot und raffinierte Bratenrezepte dürfen ebenso wenig fehlen wie Petticoat und Schürze. Die stete Botschaft: Seht her, es ist ein riesiger Spaß, sich um Haushalt, Mann und Kinder zu kümmern.

Die Schattenseiten des Mutterseins

Die Schattenseiten des Mutterseins, die es freilich auch gibt, haben in dieser grell ausgeleuchteten Welt der topgestylten Selbstinszeniererinnen keinen Platz. Ohnehin ist die Hemmung, sich negativ über die eigene Mutterrolle zu äußern, gesamtgesellschaftlich immer noch groß. Um dieses Tabu zu brechen, gibt es nun wiederum Mütter, die sich ebenso entschlossen haben, an die Öffentlichkeit zu gehen – und zwar genau damit. Auch sie tummeln sich auf den digitalen Plattformen, nur ohne die ewig angeknipste Bestlaune. Im Gegenteil. 

An Kuchenbacken ist nicht zu denken, die Bilderbücher würde man am liebsten in die Tonne treten. Stattdessen gibt es zahlreiche Geständnisse und Beichten, die inhaltlich alle auf dasselbe hinauslaufen: Wäre ich doch bloß nie Mutter geworden.

Der dazu passende Hashtag heißt „Regretting Motherhood“. Inspiriert von dem Titel einer im Jahr 2015 veröffentlichten Studie, die die Debatte überhaupt erst ins Rollen brachte. Veröffentlicht von der israelischen Soziologin Orna Donath, die Interviews mit 23 Frauen im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70 führte – sie alle bereuten ihre Mutterschaft. Das ist zwar nicht repräsentativ, zugleich finden sich unterschiedliche Studien, die bestätigen, dass es sich nicht nur um die Position einer Mikrogruppe handelt. So befragte etwa im Jahr 2016 das Meinungsforschungsinstitut Yougov über 1.200 Eltern und kam zu dem Ergebnis, dass 20 Prozent der deutschen Mütter und Väter nicht noch einmal Kinder bekommen würden, wenn sie die Wahl hätten.

Kinderkriegen bereuen, die Kinder trotzdem lieben – ein Paradox?

In den Interviews mit Orna Donath machten die Frauen allerdings deutlich, dass sie, auch wenn sie ihre Mutterschaft bereuen, ihre Töchter und Söhne lieben würden. Das betonen auch die meisten Frauen, die auf den Sozialen Medien unter dem Hashtag „Regretting Motherhood“ unterwegs sind. Nun liegt nahe, zu fragen: Kann man es bereuen, Kinder bekommen zu haben – und sie trotzdem lieben? Klingt paradox. 

Es soll den betroffenen Frauen nicht automatisch unterstellt werden, sie würden ihre Kinder nicht lieben. Dennoch, was wäre, wenn das stimmte? Dürfte man überhaupt so weit gehen, sich dazu zu bekennen? Oder ist das nicht das tatsächliche Tabu?

Dass Mütter ihr Kind lieben, wird vorausgesetzt. Das ist dann kein Problem, wenn es tatsächlich so ist, wie in den meisten Fällen. Doch was, wenn eine Mutter diese Liebe, aus welchen Gründen auch immer, nicht aufbringen kann? Der Mythos der liebenden Mutter wiegt schwer. Ein Ballast also für die, die diese Grundvoraussetzung nicht erfüllen, und den ein Vater weit weniger zu tragen hat. 

Männern ist es auch heutzutage gestattet, das eigene Kind aufgrund von Karriere und Job zu vernachlässigen; ein distanziertes Vater-Kind-Verhältnis wird von der Gesellschaft kaum beargwöhnt. Indes darf bei Müttern bloß kein Verdacht aufkommen, sie würden sich, egal wie der Beruf sie fordert, nicht genug ums Kind kümmern.

Mütter werden in vielerlei Hinsicht alleingelassen

Zahlreiche Mütter stecken seit Jahrzehnten in einem Dilemma: Sie wollen dem Ideal der liebenden Mutter, die immer für ihre Kinder da ist, entsprechen und außerdem mehrheitlich berufstätig sein. Kind plus Karriere – das muss laufen. Allein: Es läuft eben nicht so glatt wie man es gerne hätte. Die Bewegung „Regretting Motherhood“ dürfte ein nächster Beleg dafür sein. Dass darauf mit viel Empörung und Unverständnis reagiert wird, zeigt, dass es umso wichtiger ist, darüber zu sprechen.

Keinem ist geholfen, wenn man negiert, dass es Mütter gibt, die sich in ihrer Rolle nicht wohlfühlen. Und zugleich kann die Debatte darüber helfen, zu erkennen, um was es eigentlich tatsächlich geht. Vielleicht ist es gar nicht die Mutterrolle, die so belastend ist, sondern politische, gesellschaftliche oder individuelle Bedingungen. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass Mütter in vielerlei Hinsicht alleingelassen werden.

Auch eine Selbstbefragung tut not. Ist man wirklich bereit, sich auf die Bedürfnisse eines Kindes einzulassen? Kann man zurückstecken, ohne sich so zu fühlen, als wäre man zu kurz gekommen? Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, sprechen oft darüber, dass sie sich wie festgenagelt fühlten, weil man ein Kind ja nicht einfach zurückgeben kann. Als belastend schildern viele auch, dass das Leben nun nicht mehr weitergehen würde wie zuvor.

Wer denkt dabei an die Kinder?

Man mag einwenden, dass man das doch vorher wissen könne, was mit einem Kind auf einen zukommt. Tatsächlich aber kann man es wohl erst dann wissen, wenn es soweit ist. Nebenbei bemerkt: So ist es eigentlich mit allen Situationen, die das Leben bereithält. Das ist keine Rechtfertigung. Tatsächlich wäre viel gewonnen, wenn man nicht leichtfertig an das Thema Kinderkriegen herangeht.

Trotz notwendiger Debatten, die dadurch angestoßen werden, bleibt: „Regretting Motherhood“ macht traurig. Vor allem: Wer denkt an die Kinder? Die Entdeckung, dass man womöglich gar nicht gewollt ist, dass die Mutter an ihrer Rolle leidet, dürfte jedes Kind schwer erschüttern und Schuld- und Schamgefühle in ihm auslösen. Noch dazu bleibt dieser Umstand nicht im Privaten, sondern wird meist mit einer großen Öffentlichkeit geteilt. Ohne Zustimmung der Kinder – sie werden gar nicht erst gefragt, ob sie überhaupt derart exponiert werden wollen. 

Selbst wenn das anonymisiert der Fall sein sollte, ändert das nichts daran, dass Frauen, die sich in den Sozialen Medien über das Nicht-Muttersein-Wollen identifizieren, das auf Kosten der Kinder tun – der Schritt zur Instrumentalisierung ist da nicht weit. Dadurch werden weitere Wunden geschlagen.

 

Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?

18
8

2
Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar
1
Flo
Vor 2 Monate 1 Woche

Über das Thema darf (und muss vllt. sogar) gesprochen werden. Aber besser in der Seelsorge, unter Freundinnen oder Vertrauenspersonen - NICHT in der Öffentlichkeit oder so, dass die Kinder das (später) rausfinden können.
Denn je nach Alter oder weiterer Kontextsituation ist es, als führe man einen Schlag mit der Axt gegen einen noch jungen Baum: Man verpasst ihm eine Kerbe fürs Leben oder fällt ihn gleich ganz.

1
Dinah
Vor 2 Monate 1 Woche

Dass Elternschaft nicht einfach ist, haben ja schon unsere Ureltern Adam und Eva erfahren. Was mögen sie wohl gedacht haben, als sie das Drama zwischen Kain und Abel miterleben mussten? Es hat dann sehr lange gedauert, bis sie wieder ein Kind bekommen haben …

Warum dieses Drama? Ein Hinweis liefert die Urmutter Eva, die nach der Geburt des Kain sagt, „sie habe einen Mann erworben“. Was ist das denn für eine merkwürdige Aussage, wenn man ein Kind bekommen hat? Wer spricht denn so? Nun, in die heutige Sprache übersetzt meint Eva wohl, „was habe ich nicht alles aufgegeben für dieses Kind!“ Oha, ein Tauschgeschäft war das also für Eva, oh weh, man ahnt, da kommt nix Gutes bei rüber. Der weitere Verlauf zeigt das.

Was kann man heute jungen Eheleuten raten? Seid offen für Kinder, aber plant sie nicht ein. Erzwingt nichts und seid zueinander voller Respekt und Zuneigung. Vor allem, verratet und verkauft einander nicht, wahrt euer Geheimnis. Und habt Vertrauen in das Leben und in Gott.

1
Flo
Vor 2 Monate 1 Woche

Über das Thema darf (und muss vllt. sogar) gesprochen werden. Aber besser in der Seelsorge, unter Freundinnen oder Vertrauenspersonen - NICHT in der Öffentlichkeit oder so, dass die Kinder das (später) rausfinden können.
Denn je nach Alter oder weiterer Kontextsituation ist es, als führe man einen Schlag mit der Axt gegen einen noch jungen Baum: Man verpasst ihm eine Kerbe fürs Leben oder fällt ihn gleich ganz.

1
Dinah
Vor 2 Monate 1 Woche

Dass Elternschaft nicht einfach ist, haben ja schon unsere Ureltern Adam und Eva erfahren. Was mögen sie wohl gedacht haben, als sie das Drama zwischen Kain und Abel miterleben mussten? Es hat dann sehr lange gedauert, bis sie wieder ein Kind bekommen haben …

Warum dieses Drama? Ein Hinweis liefert die Urmutter Eva, die nach der Geburt des Kain sagt, „sie habe einen Mann erworben“. Was ist das denn für eine merkwürdige Aussage, wenn man ein Kind bekommen hat? Wer spricht denn so? Nun, in die heutige Sprache übersetzt meint Eva wohl, „was habe ich nicht alles aufgegeben für dieses Kind!“ Oha, ein Tauschgeschäft war das also für Eva, oh weh, man ahnt, da kommt nix Gutes bei rüber. Der weitere Verlauf zeigt das.

Was kann man heute jungen Eheleuten raten? Seid offen für Kinder, aber plant sie nicht ein. Erzwingt nichts und seid zueinander voller Respekt und Zuneigung. Vor allem, verratet und verkauft einander nicht, wahrt euer Geheimnis. Und habt Vertrauen in das Leben und in Gott.