Zombies ohne Ende und Filterkaffee
„Das ist die Endzeit. Es gibt keine Hoffnung zu überleben. So bist du gestorben.“ Das ist der defätistische Beginn des beliebten Zombie-Games „Project Zomboid“. Man spielt so lange mit einem menschlichen Charakter, bis man von den Zombies infiziert wird und stirbt. Die ersten drei Sätze sind unabwendbares Schicksal.
Die Dystopie hat die Popkultur erobert. Zombies liegen im Trend. Micky Beisenherz nennt seinen Podcast „Apokalypse und Filterkaffee“. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte im Juni einen Artikel mit der für Google optimierten Überschrift: „Studie: Wo man Zombies am besten überlebt“. Und auf YouTube haben Videos mit Titeln wie „Könntest du eine Zombie-Apokalypse überleben?“, „Ich überlebe 100 Tage in einer Zombie-Apokalypse“ und „Der Zombie-Survival-Guide“ sechsstellige Aufrufzahlen.
Warum gibt es Zombiefilme, Zombie-Games und Zombie-Lifestyle? Ein nicht zu unterschätzender Teil besteht im Kampf gegen Langeweile. Horror ist mittlerweile ein Unterhaltungsgenre, und Zombies gehören zum Inventar. Sicherlich kann man fragen, ob der moderne Mensch zu viel freie Zeit habe. Man kann das Phänomen aber auch tiefer betrachten und sich auf der kulturellen Ebene fragen: Warum sind heute Horrorshows im Trend, besonders wenn sie Zombies beinhalten?
Der Zombie ist ins Dasein geworfen
Das Horrorgenre erreichte nach der sexuellen Revolution in den siebziger Jahren seine Blüte. Auf den Kulturbruch folgte der Blutrausch. Erst kamen Teufels- und Geisterfilme. In den achtziger Jahren wurden Zombies populär. Sie sind die Endprodukte eines hedonistischen Projekts, das den Menschen gänzlich als Triebwesen versteht. Nach dem Fleisch kommen die Depression – und die Krankheiten. Zombies sind stöhnende Untote, die sich „ausgelebt“ haben und nur noch fressen und humpeln können. Sie sind eine Chiffre für das Scheitern von Woodstock und 1968.
Während es in der ersten Generation der Zombie-Apokalypse noch Mittel gegen die „Infizierung“ gab (wie bei „Resident Evil“), geht es jetzt nur noch darum, zu überleben, um dem unabwendbaren Schicksal etwas länger zu entkommen. Die Hölle wartet aber auf jeden Fall.
Zombies sind die popkulturelle Weiterentwicklung des Existenzialismus. Der Zombie hat keine Essenz, ist ins Dasein geworfen und existiert einfach als ein „zur Freiheit verdammter“ (Jean-Paul Sartre) Untoter. Besser kann man den Gottestod nicht aufführen.
Der Überlebende ist Albert Camus’ „Mensch in der Revolte“, der zeitgenössische Sisyphos, der angesichts eines unabwendbaren Schicksals einfach so lange wie möglich durchhält. Man darf sich den Überlebenden aber nicht als glücklichen Menschen vorstellen.
Den Gottestod durchlebt man, wenn man „Last of Us“ spielt
Der Autor der „The Walking Dead“-Comics, Robert Kirkman, schreibt: „Was uns gute Zombiefilme wirklich zeigen, ist, wie kaputt wir doch eigentlich sind.“ Das beschreibt er anhand der Überlebenskämpfe der Menschen in Gruppen. Sie lügen, betrügen, morden und stehlen, aber sie lieben und vertrauen auch. Am Ende endet alles tragisch.
Was heißt es, ein Überlebender zu sein? Es heißt, ein Übermensch zu werden. Man wird niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen. Es gibt keinen Trost in den sieben Einsamkeiten, weder eine Vernunft noch eine Liebe in dem, was geschieht. Diesen Abgrund gilt es auszuhalten und zu bejahen. Wer angesichts der Zombie-Apokalypse noch singen kann, hat Nietzsche verstanden.
Den Gottestod durchlebt man, wenn man „Last of Us“ spielt. Das Videogame ist hoffnungslose Hochauflösung in 4K. Die neuen Namenlosen erwachen in der Postapokalypse und kennen keinen Himmel mehr. Episch der Satz im englischsprachigen Original: „Do I need to remind you what is out there?“
Zombies verkörpern das Scheitern des Hedonismus. Was kommt nach Essen, Sex und schnellen Autos? Die Auferstehung als Zombie und Untoter. Wir kriechen auf dem Boden und fressen uns selbst. Der seelenlose Mensch ist weniger als ein Tier. Er kann sich nicht einmal mehr fortpflanzen oder etwas fühlen.
Zombies sind die fleischgewordenen Darsteller des Nihilismus in Philosophie und Popkultur
Wenn es ums Überleben geht, kommt der Humanismus an sein Ende. Auch das zeigt die Zombiekultur. Der Überlebende teilt in seinen Nächten von Gethsemane nicht sein blutendes Hemd, sondern drückt ab: „Du oder ich“.
Während das Survival-Genre einen Ursprung in einer Neuinterpretation von Albert Camus’ Roman „Die Pest“ haben könnte, ist die Zombie-Apokalypse schlimmer. Weil sie nie wieder vorübergeht. Es bleibt keine „glückliche Stadt“ übrig, in der man sterben kann.
Anders als in Camus’ Roman würde in der Zombie-Apokalypse ein Arzt wie Dr. Rieux sterben, wenn er versuchte, das Absurde auszuhalten und andere zu retten. Noch ferner scheint jemand wie der junge Mann Tarrou zu sein, der ohne Gott heilig sein will. Der Charakter Bill in „The Last of Us“ beschreibt die Lebenswelt in der Postapokalypse: „Once upon a time, I had somebody that I cared about ... It was a partner. Somebody I had to look after. And in this world, that sort of shit’s good for one thing: gettin’ you killed“ („Es gab einmal jemanden, der mir wichtig war ... Es war ein Partner. Jemand, um den ich mich kümmern musste. Und in dieser Welt ist diese Art von Scheiße nur für eines gut: dazu, getötet zu werden“).
Zombies sind die fleischgewordenen Darsteller des Nihilismus in Philosophie und Popkultur. Die postmodernen Kinder der Aufklärung. Sie haben jeden Hedonismus durchlebt. Ihre Verwesung ist eine Weiterführung des Denkens von Voltaire, Nietzsche, Sartre, Camus usf. Ihr Populärwerden in den 1980ern zeigt, dass der Mensch sich nicht damit begnügt, ein Triebwesen zu sein und einfach nur zu existieren. Wenn der Blick nicht nach oben geht, geht er nach unten.
Eine „zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ (Camus) gibt es nur in Romanen. Die Popkultur zeichnet ein deutlich brutaleres Bild. Am Ende des Naturalismus steht die Zombie-Apokalypse als Seismograph einer untergehenden Kultur. Es wird nichts mehr geglaubt, und es gibt keine Hoffnung mehr. Eine Apokalypse ohne Ende und Filterkaffee.
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