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Kolumne „Ein bisschen besser“

Absturz einer Papierschwalbe

Bei uns zu Hause kommen wir mit sehr wenig Bürokratie aus. Außer auf der Toilette führen meine Frau Judith und ich einen weitgehend papierlosen Haushalt, bis auf eine eher ungeliebte Regalreihe zwischen der Damenunterwäsche und meinen Schuhen im Schlafzimmerschrank, in der sich einige Ordner befinden, leben wir weitgehend unbeschwert von Unterlagen.

Die Steuerordner liegen beim Berater, Strafzettel schmeißen wir weg, und die Urkunden schlummern ohne Anspruch auf Vollständigkeit in eben jenem Schlafzimmerfach. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte eine in dieser Hinsicht strukturiertere Frau geheiratet, aber da sich Judith so was ähnliches auch von mir wünscht, gleicht sich das wieder aus, und wir sind glücklich miteinander.

Ordentlich und legal wäre fad und leer

Auf jeden Fall ist unser Modell ein bisschen besser, als all der Irrsinn um uns herum. Keine Website geht mehr auf, ohne dass sie mich fragt, ob ich Cookies a) alle erlaube, b) nur eine Auswahl erlaube oder c) verbiete. Abgesehen davon, dass für Generation Sesamstraßen-Cookies immer noch Kekse sind, frage ich mich, welche Dünnbirne sich so einen Schwachsinn ausdenkt.

Da „Verbieten“ oft zur Nichtbenutzbarkeit führt, gibt es keine Wahl. Das gleiche sind jene Nutzungsbestimmungen, die immer um Einverständnis betteln. Hätte ich alle Nutzungsbestimmungen gelesen, die ich in meinem Leben unterschrieben habe, hätte ich keine Zeit für Judith. Meine Existenz wäre zwar ordentlich und legal, aber auch fad und leer.

Einen anderen Effekt, ich nenne ihn mal das „Trump-Aiwanger-Paradoxon“, erlebe ich beim Umgang mit der Schädlichkeit des Tabaks. Sie wird mit abstoßenden Bildern auf jeder Zigarettenschachtel dokumentiert, was aber bei Raucherinnen und Rauchern die Bindung zur Zigarette eher stärkt. Man geht gemeinsam durch dick und dünn, das Gefühl der Gemeinsamkeit wiegt stärker als jede Gefahr. Man ist eine Schicksalsgemeinschaft, was mich wieder zu Judith bringt.

Eine Einvernehmlichkeitserklärung vorm ersten Kuss gab es nicht

Das Schicksal hat uns miteinander bekanntgemacht, und von da an haben wir es selbst in die Hand genommen. Eine Einvernehmlichkeitserklärung vorm ersten Kuss gab es nicht und trennen können wir uns schon deswegen nie, weil wir die Urkunde darüber verbaseln würden.

Wie Schwalben segeln wir durch unser schönes Leben und sind ganz froh, keine Papierschwalben zu sein. Denn die stürzen bei Regen ab und den gibt es manchmal, wenn ich zum Beispiel wieder an diese eine Regalreihe unter der Damenunterwäsche muss.

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