Direkt zum Inhalt
Kolumne „Ein bisschen besser“

Pension Oma

Als wir neulich mal mit dem alten Auto unterwegs waren, stieg bei Wuppertal der vierte Zylinder aus, und es ruckelte ziemlich und viel Wumms war auch nicht mehr dahinter. Wir schwitzten ein bisschen und dann hatte der vierte Zylinder auch genug geruht. Autos, die sich selbst reparieren, gibt es heute auch nicht mehr, ging mir durch den Kopf. Ich dachte an Karl Valentins „Die Zukunft war früher auch besser“. Von Elon Musk fiel mir nichts dazu ein.

Nostalgie ist die sehnsuchtsvolle Hingebung zu vergangenen Gegenständen und Praktiken und meine Vermutung, warum sie uns manchmal ereilt, ist, dass wir von der Vergangenheit wissen, dass wir sie überlebt haben, was wir von der Zukunft eben nicht so genau wissen.

Irgendwie riecht Deutschland gerade nach Vergangenheit: Mottenpulver und Lavendel

Beziehungsweise wir genau wissen, dass wir sie irgendwann nicht überleben. Deswegen fühlt sich Vergangenheit kuschelig und behaglich an. Sie riecht nach Mottenpulver und Lavendel. Irgendwie riecht Deutschland gerade so. Meine Frau Judith und ich können das verstehen. Wir kuscheln auch gern mit dem, was vom Damals ins Heute reicht.

Mit dem Töchterchen sind wir am zweiten Freitag dieses Monats bei „Pension Oma“ vorbeigefahren. Dort gibt es Sachen wie: Opa, der sofort Faxen mit der Kleinsten macht und beim Frühstück mit Laugenbrezeln gute Witze erzählt, die – tut mir leid – wirklich in dieser Frühstücksrunde bleiben müssen. Es gibt Teppich im ganzen Haus, so dass ich immer Schuhe und Strümpfe ausziehe. Es gibt einen brennenden Kamin. Es gibt Handyempfang ausschließlich auf dem hinteren Lehnstuhl im Wintergarten.

Es gibt um acht „das erste deutsche Fernsehen mit Tagesschau, tatatam“. Es gibt in Judiths altem Mädchenzimmer Federkernmatratzen mit frischem Bettzeug, das nach Lavendel ohne Mottenpulver duftet. Es gibt Bilder noch fernerer Generationen an der Wand, abgezogen unten in der Dunkelkammer neben dem Hobbykeller, die Judith, die Fotografin ist, in 20 Minuten wieder funktionstüchtig machen könnte. Und es gibt die Oma, deren Seele in all dem steckt, während sie oben die Spätzle hobelt.

Nostalgie als Lebensform

Wir alle wissen, dass es ein bisschen besser ist, wenn wir zu früh Pension Oma wieder den Rücken kehren, wir sind dann alle für ein oder ein paar mehr Augenblicke ein bisschen traurig. Aber, weil wir es eben nicht zur Neige ausgekostet haben, ist noch etwas von allem übrig fürs nächste Mal.

Irgendwann werden wir nicht mehr die Kraft haben, früher zu fahren und ich hoffe, dass das genau dann passiert, wenn ich selbst ein Opa bin, der Faxen macht, und Judith eine Oma, die Spätzle brät. Ich schaue zu ihr herüber und stelle fest, dass ich noch circa ein halbes Jahrhundert oder mehr darauf warten muss. Bis dahin ist die Zukunft Morgenabend auch erstmal überstanden, und Nostalgie bleibt für uns eine Lebensform für jeden zweiten Freitag im Monat.

4
2

Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar