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Kolumne „Ein bisschen besser“

Nach dem Regen wird der Boden hart

„Ameagari“ ist ein japanisches Wort für einen flüchtigen Zustand, der eine Szene beschreibt: Die, wenn es wie aus Eimern geregnet hat, alles durch und durch nass ist, dann die Sonne wieder rauskommt, über manchen Flächen dampft‘s, es riecht leicht süßlich. Wir brauchen auf deutsch drei Zeilen, um diesen Zustand zu beschreiben. 

Und meine Frau Judith und ich und die Freundin, die von sich sagt, dass ihr Herz japanisch schlägt, und mit der wir den Abend während des Gewitters auf ihrer überdachten Terrasse verbringen, reden darüber, ob Zustände, für die es keine Worte gibt, überhaupt existieren. Ich behaupte als Mann des Wortes: „Nein“. Judith als Frau der Bilder sagt „Na, klar“. Und die Freundin sagt: „Ame futte, chi katamaru“, was so viel heißt wie „Nach dem Regen wird der Boden hart.“

Durch die Regengüsse des Lebens gegangen

Da hat der Japaner recht, denke ich. Harte Brocken sind wir doch alle, die wir durch die Regengüsse des Lebens gegangen sind. In meinem Leben hatte Japan ansonsten bisher keine Hauptrolle gespielt. Judith, Italien, Lugana, Risotto mit Steinpilzen – ja, aber Japan? Was wäre daran ein bisschen besser?

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Ich hatte nie einen Walkman, und als ich ihn haben wollte, war er schon überholt. Taxifahrer im Toyota habe ich stets bemitleidet, und wenn sich Judith und ich den Morgenmantel teilen, hat der Streifen, einen Gürtel und ist aus Frottee, und er ist nicht gewickelt und aus blauer Seide. 

„Die Liebe und der Husten lassen sich nicht verbergen“

Ich glaube auch, dass Judith meine Cowboystiefel lieber mag, als wenn ich Sandalen trüge, wo der große Zeh rausguckt, selbst wenn sich die im Falle eines Falles schneller abstreifen lassen. „Ich habe“, verkünde ich an diesem Abend, „eine ungebrochene Identität zu westlichen Werten.“ „Eher maskulinen übrigens“, sagt meine Frau und ich weiß genau, wie das schon wieder gemeint ist.

Aber die Frage nach dem unbeschreiblichen Zustand, den es dennoch gibt, nagt in mir. Judith und ich befinden sich in so einem. Ich würde ihn „Wolke acht“ nennen und ich bräuchte drei Zeilen, um ihn zu beschreiben. Wie der Japaner das ausdrücken würde: „To seki to wa kakusarenu“, sagt die Freundin, „Die Liebe und der Husten lassen sich nicht verbergen.“ Zwei Flaschen Lugana später sind Judith und ich nach Hause gegangen. Das Gewitter hatte sich verzogen, es roch süßlich, „Ameagari“, sagt Judith und wir husten glücklich vor uns hin.

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